piwik no script img

Krieg in SyrienOffenbar neue Chance für Diplomatie

Die syrische Armee gewinnt Gelände, die Menschen in Aleppo sterben. Jetzt bietet der UN-Sondergesandte den Rebellen Geleit an – Russland findet das interessant.

Gibt es noch Hoffnung für Aleppo? Foto: reuters

Beirut afp/rtr | In die Syrien-Krise kommt neuer diplomatischer Schwung. Der russische Präsident Wladimir Putin wird Agenturmeldungen zufolge am 19. Oktober zu Gesprächen über die Lage in Syrien und der Ukraine nach Paris reisen. Putin wolle mit dem französischen Präsidenten Francois Hollande zusammenkommen, meldeten russische Nachrichtenagenturen am Donnerstag unter Berufung auf Außenminister Sergej Lawrow.

Russland werde alles in seiner Macht Stehende tun, um die Lage in Syrien zu deeskalieren. Die Regierung in Moskau sei auch willens, über französische Vorschläge zu einer Resolution des UN-Sicherheitsrats zu beraten.

Der UN-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura, hat derweil einen ungewöhnlichen Vorstoß gewagt. Er bot am Donnerstag den Kämpfern der einstigen Al-Nusra-Front persönliches Geleit an, sollten die Extremisten den Ostteil von Aleppo verlassen. Von Damaskus und Moskau erhofft er sich in diesem Fall ein Ende der Luftangriffe auf Ost-Aleppo. Die Regierungstruppen gewannen in Aleppo weiter an Boden.

Die Geschichte werde darüber urteilen, ob Syrien und Russland die Anwesenheit von rund 900 Al-Nusra-Kämpfern einfach als Ausrede dafür nutzten, um die belagerte Stadt zu zerstören und Tausende Menschen zu töten. Unter den Belagerten sind auch etwa 100.000 Kinder. „In spätestens zwei, zweieinhalb Monaten wird Ost-Aleppo wohl vollständig zerstört sein, wenn der Beschuss so weitergeht“, sagte de Mistura. Dies gelte besonders für die weltberühmte Altstadt. Lawrow sagte nach einem Treffen mit dem französischen Außenminister Jean-Marc Ayrault, sein Land sei interessiert an de Misturas Vorschlag. Die Idee werde sorgfältig studiert.

Lawrow ist interessiert an de Misturas Vorschlag

Ayrault bemühte sich bei seinem Besuch in Moskau um die Unterstützung Russlands für eine Resolution des UN-Sicherheitsrates, die die Waffenruhe wieder in Kraft setzen und Hilfslieferungen nach Aleppo ermöglichen soll. Lawrow sagte eine Prüfung des Textes zu. Am Freitag reist Ayrault nach Washington, um auch die USA von dem Plan zu überzeugen.

Die syrische Armee hat nach Angaben von Beobachtern bedeutende Geländegewinne im Kampf um die Großstadt Aleppo erzielt. Die Truppen brachten nach schweren Kämpfen etwa die Hälfte des Bustan-al-Bascha-Viertels unter ihre Kontrolle, wie die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilte. Auch das Militär erklärte, es sei in dem Viertel vorgerückt, das eine Hochburg der Rebellen sei.

Aleppo ist seit Jahren eine gespaltene Stadt, in der Regierungstruppen und Opposition unterschiedliche Gebiete halten. Mit russischer Hilfe hat die Armee den von den Aufständischen kontrollierten Ostteil der einst größten Stadt des Landes eingekesselt und bemüht sich nun, Aleppo mit einer Großoffensive vollständig einzunehmen. Die Lage der Menschen ist Berichten zufolge verheerend. In der Nacht zum Donnerstag rief das Militär Rebellen und Bewohner von Ost-Aleppo zum Verlassen der Metropole auf. Alle, die blieben, würden sich ihrem „unausweichlichen Schicksal“ ergeben, warnte die Armee.

Russland bringt weiteres Kriegsschiff in Position

Russland verstärkt unterdessen weiter seine militärische Präsenz in der Region. Ein mit Marschflugkörpern bewaffnetes russisches Kriegsschiff lief nach Agenturmeldungen aus seinem Heimathafen Sebastopol im Schwarzen Meer in Richtung Mittelmeer aus. Dort werde die Korvette „Mirasch“ zu einer Gruppe weiterer russischer Kriegsschiffe stoßen, meldeten Nachrichtenagenturen unter Berufung auf einen Flottensprecher. Zugleich warnte das Moskauer Verteidigungsministerium die USA vor Angriffen auf Ziele der syrischen Armee. Sie müssten in Betracht ziehen, dass als Folge russische Soldaten, die etwa in Flugabwehrsystemen tätig seien, zu Schaden kommen könnten.

Russland unterstützt im Syrien-Konflikt Präsident Baschar al-Assad militärisch. Weil das Land sich an der Offensive auf Aleppo beteiligt, kam es zuletzt zum Zerwürfnis mit den USA, die die Syrien-Gespräche mit der Regierung in Moskau abbrachen. Am Mittwoch nahmen die Außenminister beider Staaten aber wieder Kontakt auf.

Bei einem Bombenanschlag in Syrien nahe der türkischen Grenze wurden unterdessen einer oppositionsnahen Gruppe zufolge mindestens 25 Rebellen getötet. Bei den Opfern handle es sich um Aufständische, die von der Türkei im Kampf gegen die Islamisten-Miliz IS unterstützt würden, teilte die Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. Dutzende Kämpfer seien verletzt worden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Die militärische Option in Syrien ist längst ausgereizt. Jeder Rückzieher vor einem Waffengang ist deshalb wünschenswert. Die diplomatischen Rückkehrer in die Scheinwelt von vorgestern fallen nicht durch Lösungen auf, mehr durch Bestandspflege. Wir brauchen aber Lösungen.

  • „…rund 900 Al-Nusra-Kämpfern…“

     

    Herr Mistura sollte schon alle mitnehmen. Sonst hat es wenig Sinn.

     

    „In spätestens zwei, zweieinhalb Monaten wird Ost-Aleppo wohl vollständig zerstört sein, wenn der Beschuss so weitergeht“

     

    Wenn die Kämpfe weiter so verlaufen, wie bisher, werden sie nicht mehr so lange dauern.

     

    „Zugleich warnte das Moskauer Verteidigungsministerium die USA vor Angriffen auf Ziele der syrischen Armee. Sie müssten in Betracht ziehen, dass als Folge russische Soldaten, die etwa in Flugabwehrsystemen tätig seien, zu Schaden kommen könnten.“

     

    Interessante Formulierung.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      "Interessante Formulierung"

       

      ... aber leider völlig falsch.

      Hier das Original: http://tass.com/politics/904603

      • @jhwh:

        Ich habe jetzt keine Zeit, den englischen Text zu durchforsten. Die Formulierung oben würde bedeuten, dass Russland entschlossen ist, die Truppen Assads gegen Luftangriffe zu verteidigen und würde die Einrichtung der lange geforderten Flugverbotszone über Aleppo bedeuten. Allerdings nur für "westliche" Flugzeuge.

         

        Einerseits kühlt es vielleicht den Eifer einiger Leute in Washington ab, den Krieg in eine neue Runde zu schicken. Andererseits erhöht es die Gefahr einer direkten Konfrontation Russland - USA. Jedenfalls hat der russische Verteidigungsminister schon mal vorsorglich daran erinnert, dass F-35 und F-22 für die russische Luftabwehr keineswegs unsichtbar sind.

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          So ähnlich steht es auch im TASS-Artikel. Nur daß die russischen Soldaten, die zu Schaden kommen könnten, natürlich nicht an FLA-Systemen, sondern mit der Verteilung humanitärer Hilfe und der Unterstützung von Friedensverhandlungen in den Dörfern beschäftigt sind. (verlieren nie den Humor, die Russen)

          Außerdem kam der Hinweis, daß wg. der kurzen Vorwarnzeiten die (natürlich syrischen) FLA-Besatzungen bei ihrer Reaktion auf ev. Raketenangriffe keine Rücksicht auf die Nationalität der "Absender" nehmen können.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Die syrische Armee geht davon aus, daß noch ca. 2500 regierungsfeindliche Kämpfer in Aleppo eingeschossen sind.

      (https://www.almasdarnews.com/article/amns-exclusive-interview-saas-supreme-military-commander-aleppo/)

      Diese Kämpfer kommen aus ungefähr 20 verschiedenen Gruppen. Zahlenmäßig am stärksten sind die al-Nusra Front (neuerdings Jabhat Fateh al-Sham) and Nour al-Din al-Zinki (das sind die, die vor laufenden Kameras einen 12-Jährigen enthauptet haben) verteten.

      • @jhwh:

        "...einen 12-Jährigen enthauptet haben.."

         

        Was wollen Sie? Alles lupenreine Demokraten...