piwik no script img

+++Krieg in Nahost+++Feuerpause im Libanon ist brüchig, aber hält bislang

Dschihadistische Gruppen erobern Gebiete in Aleppo und Idlib. Palästinensische und israelische Banken dürfen weiter zusammenarbeiten. Iran will reden.

Wiedersehen nach Beginn der Waffenruhe: Im Süden Libanons umarmen sich Menschen bei ihrer Rückkehr nach Hause Foto: ap, dpa

dpa afp reuters | Dschihadisten und mit ihnen verbündete Kämpfer haben nach Angaben von Aktivisten dutzende Städte und Dörfer im von der Regierung kontrollierten Norden und Nordwesten Syriens erobert. „Mehr als 50 Dörfer und Städte in den Regionen Aleppo und Idlib stehen nun unter der Kontrolle von Hajat Tahrir al-Scham (HTS) und verbündeter Fraktionen“, erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Freitag.

Zuvor hatten die Dschihadisten in der Nähe von Aleppo eine überraschende Großoffensive gestartet. Nach Angaben der Beobachtungsstelle hat es seit Mittwoch mindestens 242 Todesopfer gegeben.

Ein Sicherheitsbeamter sagte, die syrische Armee habe Verstärkung nach Aleppo geschickt. Die Angreifer seien „nicht bis an die Grenzen der Stadt gelangt“, fügte er hinzu.

Der Kreml forderte die syrischen Behörden auf, die Ordnung in Aleppo wieder herzustellen. Die Behörden müssten „in diesem Gebiet so schnell wie möglich Ordnung schaffen und die verfassungsmäßige Ordnung wiederherstellen“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow vor Journalisten. Peskow verurteilte die Offensive der Dschihadisten als „Angriff auf die Souveränität Syriens“. (afp)

Prekäre Waffenruhe

Trotz eines israelischen Luftangriffs auf ein Waffenlager der Hisbollah im südlichen Libanon scheint die Waffenruhe mit der Miliz bislang weitgehend zu halten. Zwar warf Israels Militär der Hisbollah vor, seit Inkrafttreten der Feuerpause am frühen Mittwochmorgen mehrfach gegen die Vereinbarung verstoßen zu haben – während umgekehrt die selbst nicht aktiv am Krieg beteiligte libanesische Armee, die eine wichtige Rolle bei der Umsetzung des Abkommens spielt, Israel mehrerer Verstöße beschuldigte. Der monatelange intensive gegenseitige Beschuss zwischen der Hisbollah und Israel hat aber aufgehört. (dpa)

Netanjahu droht Hisbollah

Wie fragil die Feuerpause ist, zeigen Äußerungen von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu: Er drohte mit der Fortsetzung des Krieges, sollte die proiranische Hisbollah die Vereinbarung brechen. Er habe die Armee angewiesen, sich für diesen Fall auf einen „intensiven Krieg“ vorzubereiten, sagte Netanjahu in einem Interview des Senders Channel 14. Die Waffenruhe könnte von kurzer Dauer sein, warnte der Ministerpräsident. Was genau er unter einer Verletzung des Abkommens versteht, ließ er offen.

Libanons Armee warf Israel wiederholte Angriffe auf libanesisches Gebiet mit „verschiedenen Waffen“ vor. Das israelische Militär hatte am Donnerstag selbst mitgeteilt, dass die Luftwaffe wegen „terroristischer Aktivität“ ein Waffenlager der Hisbollah angegriffen habe. Laut Medien war es der erste Luftangriff seit Inkrafttreten der Waffenruhe. Nach Angaben des israelischen Militärs waren zudem Soldaten im Einsatz, um zu verhindern, dass weitere Hisbollah-Mitglieder gen Südlibanon vordringen. Trotz der Schuldzuweisungen scheine aber keine der beiden Kriegsparteien – weder Israel noch die Hisbollah-Miliz – an einer sofortigen Rückkehr zu den Kämpfen interessiert zu sein, schrieb die „New York Times“. (dpa)

EU: Waffenruhe ist entscheidend

Die Europäische Union rief Israel und die Hisbollah dazu auf, die Waffenruhe einzuhalten. Dies sei entscheidend, um die Sicherheit der Menschen sowohl im Libanon als auch in Israel zu gewährleisten und damit Vertriebene auf beiden Seiten der Grenze in ihre Häuser zurückkehren könnten, erklärte der Außenbeauftragte Josep Borrell im Namen der EU. Die Souveränität der beiden Staaten müsse vollständig respektiert werden und grenzübergreifende Angriffe müssten aufhören.

Israel hob derweil Versammlungsbeschränkungen in weiten Teilen des Landes wieder auf. Wegen des Beschusses der Hisbollah hatte das zuständige Heimatfrontkommando in den vergangenen Monaten vielerorts Teilnehmerzahlen bei Treffen in Innenräumen und im Freien begrenzt. In Gebieten in Grenznähe zum Libanon in Nordisrael gelten allerdings weiterhin Auflagen. Dort bleiben auch Schulen weiterhin geschlossen.

Die nach mehr als einem Jahr Krieg mühsam ausgehandelte Einigung auf eine Waffenruhe sieht unter anderem vor, dass sich die Hisbollah gemäß einer UN-Resolution hinter den Litani-Fluss etwa 30 Kilometer nördlich der israelisch-libanesischen Grenze zurückzieht. Israels Bodentruppen sollen innerhalb von 60 Tagen schrittweise aus dem Libanon abziehen. Derzeit ist die Armee aber nach eigenen Angaben weiterhin im Süden des Nachbarlandes im Einsatz, um gegen Verstöße gegen die Waffenruhe-Vereinbarung vorzugehen.

„Wir treten nun in eine neue Phase ein, in der die gleiche Entschlossenheit, die uns zu diesem Abkommen geführt hat, auch bei der Durchsetzung angewendet wird“, sagte der israelische Generalstabschef Herzi Halevi nach Militärangaben bei einer Lagebesprechung. (dpa)

Israels Armeechef: Setzen Waffenruhe entschlossen durch

„Wir wissen genau, dass die Hisbollah dieses Abkommen aus einer Position der Notwendigkeit und der Schwäche heraus geschlossen hat“, sagte Halevi. Auf jede Abweichung von der Waffenruhe-Vereinbarung werde mit Feuer reagiert, warnte er. Die Vereinbarung sieht neben einem Ende der Kampfhandlungen auch eine internationale Kommission vor, die Verstöße überwachen soll. Der Gruppe unter Anführung der USA und Frankreich gehören auch der Libanon, Israel und die im Libanon stationierte UN-Friedenstruppe Unifil an. (dpa)

Huthi-Miliz will Israel weiter angreifen

Die wie die Hisbollah ebenfalls mit dem Iran verbündete Huthi-Miliz im Jemen droht Israel ungeachtet der Waffenruhe im Libanon mit weiteren Angriffen. Die Miliz setze den Kampf in „sämtlichen Bereichen“ fort, auch mit „militärischen Einsätzen“, sagte Anführer Abdel-Malik al-Huthi. „Es ist wichtig, auf den Erfolgen an der libanesischen Front aufzubauen und sich in Richtung weiterer Eskalation zu bewegen, vor allem vom Irak und dem Jemen aus.“ Die Unterstützung der Palästinenser im Gazastreifen, wo Israel seit dem Angriff der Hamas Krieg gegen die islamistische Organisation führt, gehe weiter.

Die Huthi beherrschen große Gebiete vor allem im Jemen und hatten nach Ausbruch des Gaza-Kriegs im Oktober 2023 begonnen, vor allem Schiffe mit angeblicher Verbindung zu Israel zu beschießen. Das britische Datenprojekt ACLED zählte seitdem nahezu 300 Angriffe der Miliz auf die Schifffahrt im Roten Meer sowie auf Israel. Dutzende Schiffe wurden seitdem angegriffen, der Verkehr auf der wichtigen Seehandelsroute über den Suez-Kanal wurde massiv beeinträchtigt. (dpa)

Israel erlaubt weiter Zusammenarbeit mit palästinensischen Banken

Israel erlaubt Berichten zufolge derweil weiterhin Geschäftsbeziehungen zwischen israelischen und palästinensischen Banken. Das israelische Sicherheitskabinett stimmte für die Verlängerung einer Ausnahmeregelung, die dies ermöglicht, wie israelische Medien übereinstimmend meldeten. Die Regelung gilt demnach nun bis zum 30. November 2025.

Außenministerin Annalena Baerbock und ihre britischen und französischen Kollegen hatten in einer Erklärung gefordert, die Zusammenarbeit der israelischen und palästinensischen Finanzinstitute weiter zu erlauben. Die westlichen Verbündeten warnten, dass im Falle einer Kappung der Bankverbindungen „erhebliche wirtschaftliche Turbulenzen im Westjordanland“ drohten, die wiederum die Sicherheit Israels und der Region insgesamt gefährden würden. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) habe maßgebliche Schritte ergriffen, um dem Risiko der Terrorismusfinanzierung zu begegnen, hieß es in der Erklärung.

In den Palästinensergebieten zahlen die Menschen mit israelischen Schekeln. Palästinensische Banken sind auf die israelischen Geldinstitute angewiesen, um die Währung zu erhalten. Andernfalls könnten Palästinenser unter anderem ihre Zahlungen für Dienstleistungen aus Israel, darunter Stromlieferungen, nicht mehr begleichen. Zudem würde Steuergeld, das Israel für die PA einsammelt, nicht mehr an die Behörde fließen. (dpa)

Der Iran plant weitere Zentrifugen

Der Iran will weitere Zentrifugen zur Anreicherung von Uran in seinen Anlagen in Fordow und Natanz installieren. Das geht aus einem vertraulichen Bericht der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) hervor, den Reuters einsehen konnte. Der IAEO-Bericht fußt auf Informationen, die der Iran der Behörde übermittelt hat. Der Iran hat bereits weit über 10.000 Zentrifugen in Natanz und Fordow sowie in einer oberirdischen Anlage in Natanz in Betrieb. In dem Bericht werden Pläne zur Installation von 32 sogenannten Kaskaden vorgestellt, die jeweils 174 Zentrifugen umfassen. Außerdem will der Iran demnach eine Kaskade mit 1152 fortschrittlichen IR-6-Zentrifugen installieren.

Keine Erwähnung findet in dem Bericht die Anreicherung von Uran auf einen Reinheitsgrad von bis zu 60 Prozent, was relativ nahe an der Anreicherung auf etwa 90 Prozent liegt, die für den Bau von Atombomben benötigt werden. Kurz vor der Sitzung des Gouverneursrats der 35 Mitgliedsstaaten der IAEO in der vergangenen Woche hatte der Iran angeboten, seinen Bestand an bis zu 60 Prozent angereichertem Uran zu begrenzen. Diplomaten zufolge war dies an die Bedingung geknüpft, dass das Gremium keine Resolution gegen den Iran verabschiedet.

Obwohl die IAEO feststellte, dass der Iran die Anreicherung auf diesem höchsten Niveau verlangsamte und dies als „konkreten Schritt in die richtige Richtung“ bezeichnete, verabschiedete der Gouverneursrat trotzdem eine Resolution. Sie war von Großbritannien, Frankreich, Deutschland und den Vereinigten Staaten vorgeschlagen worden und enthält die Aufforderung an den Iran, die Zusammenarbeit mit der IAEO zu verbessern. Westliche Staaten befürchten, der Iran strebe den Bau von Atombomben an. Die Regierung in Teheran weist das zurück. Diesen Freitag will der Iran mit Vertretern Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens Gespräche über sein umstrittenes Atomprogramm führen. (reuters)

Atomgespräche in Genf

Vor dem Hintergrund zuletzt gestiegener Spannungen führen Deutschland, Frankreich und Großbritannien am Freitag in Genf Gespräche mit dem Iran. Laut der iranischen Regierungssprecherin Fatemeh Mohadscherani stehen vor allem die Aufarbeitung der bilateralen Beziehungen sowie der Nahostkonflikt im Mittelpunkt. Auch das umstrittene iranische Atomprogramm und eine mögliche Wiederaufnahme der Atomverhandlungen sollen demnach zur Sprache kommen.

Für Deutschland nimmt der Politische Direktor im Außenamt, Günter Sautter, teil. Aus dem Iran reist Vizeaußenminister Madschid Tacht-Rawantschi an. Aus Sicht westlicher Diplomaten geht es in Genf unter anderem darum, eigene Standpunkte darzulegen und eine Eskalation zu vermeiden.

Irans Belieferung Russlands mit Drohnen für den Ukraine-Krieg und sein Konflikt mit Israel tragen ebenso zu Spannungen mit dem Westen bei wie die iranische Herstellung von beinahe waffenfähigem Uran. Das unter Wirtschaftssanktionen leidende Land strebt nach eigenen offiziellen Angaben nicht nach Nuklearwaffen und hat zuletzt im Atomstreit Zugeständnisse in Aussicht gestellt, die im Westen jedoch als unzureichend gesehen werden. (afp)

Schweiz will die Hisbollah-Miliz nicht verbieten

In der Schweiz hat sich die Regierung gegen ein Verbot der libanesischen Hisbollah-Miliz ausgesprochen. Er erachte es „nicht als angebracht (…), die Hisbollah zu verbieten“, erklärte der Bundesrat in Bern am Donnerstag in einer Stellungnahme zu zwei Anträgen aus den Sicherheitspolitischen Kommissionen der beiden Parlamentskammern. Die Parlamentarier von National- und Ständerat hatten gefordert, gegen die pro-iranische Miliz ein Verbot zu erlassen.

Im Antrag der Kommissionen hatte es geheißen, die schiitische Hisbollah sei, wie die Palästinenserorganisation Hamas, eine „radikalislamische terroristische Organisation“ und werde unter anderem von Deutschland, der EU und den meisten arabischen Staaten als terroristisch eingestuft.

Ein Verbot der radikalislamischen Hamas für die Dauer von fünf Jahren wird im Schweizer Parlament derzeit diskutiert, die Regierung hatte sich unter dem Eindruck des Großangriffs auf Israel am 7. Oktober 2023 dafür ausgesprochen.

Das Schweizer Parlament wird sich mit der Stellungnahme der Regierung nun in zwei Sitzungen am 2. und 20. Dezember beschäftigen. In ihrem Verlauf ist nach Angaben der Nachrichtenagentur Keystone-SDA auch eine Abstimmung über das angestrebte Hamas-Verbot geplant. (afp)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!