Krieg in Nahost: Israel treibt Annexion voran

Israels Finanzminister hat erklärt, die Kontrolle über das Westjordanland weiter festigen zu wollen. Peace Now bezeichnet das Vorhaben als Annexion.

Ein Mann trägt zwei Kinder unter seinem Arm.

Ein Mann trägt Unfallopfer unter dem Arm nach einem israelischen Angriff beim Al Shati Geflüchteten-Lager, 22. Juni 2024 Foto: Ayman al Hassi

BERLIN taz | Es ist ein Skandal, der angesichts des Krieges im Gaza­streifen unter dem Radar läuft: Auf einer Konferenz in einem illegalen israelischen Außenposten im Westjordanland hat Israels rechtsextremer Finanzminister Bezalel Smotrich erklärt, er arbeite daran, die Kontrolle über das Westjordanland zu festigen, ohne offiziell von einer Annexion des Palästinensergebiets zu sprechen. Man schaffe ein separates ziviles System, um nach und nach Befugnisse vom Militär in die Hände von zivilen Beamten zu legen. Smotrich verantwortet neben dem Finanzressort auch die zivilen Angelegenheiten im von Israel besetzten Westjordanland.

Offiziell vertritt die Regierung die Position, dass das Westjordanland vorläufig militärisch besetzt ist und der Status des Gebiets Gegenstand von Verhandlungen sein muss. Auf der nun bekannt gewordenen Konferenz ist deutlich geworden, dass dies nicht mehr Regierungslinie ist.

Ein Mitglied der israelischen Friedensorganisation Peace Now war bei der Konferenz Anfang Juni anwesend. „Am Ende haben wir es so gemacht“, wird Smotrich von Peace Now zitiert, „dass es politisch und rechtlich leichter zu schlucken ist, damit man nicht sagt, dass wir eine Annexion vornehmen.“ Der legale Status des Landes sei nicht angetastet worden, um keinen internationalen Aufruhr zu verursachen.

Die Regierung weiß, welchen Preis sie international für eine offizielle Annexion zahlen würde, sagt Mauricio Lapchik von Peace Now gegenüber der taz. „Wir werden wohl nie eine Pressekonferenz sehen, in der die Regierung offiziell ankündigt, das Westjordanland zu annektieren.“ Mit der auf Tonband mitgeschnittenen Konferenz sei man aber nah an eine solche Pressekonferenz herangekommen.

Verstoß gegen das Völkerrecht

Bereits vor mehr als einem Jahr hatte Smotrich Befugnisse in zivilen Angelegenheiten in weiten Teilen des Westjordanlands erhalten. Seitdem hat er weiter an der Demontage der militärisch kontrollierten Zivilverwaltung gearbeitet. Menschenrechtsorganisationen betonen, dass dies gegen das Völkerrecht verstößt. Ihre Argumentation: Laut internationalem Besatzungsrecht hat die besetzende Armee das besetzte Gebiet zu verwalten, was auch mit Pflichten einhergeht. Sie ist neben Sicherheitserwägungen angehalten, die Interessen der besetzten Bevölkerung zu vertreten.

Smotrich sagte, die Pläne für das Westjordanland bestünden darin, die Infrastruktur für Siedler auszubauen und Siedlungen und Außenposten in Milliardenhöhe zu finanzieren. Das Budget sei bereits sichergestellt. Außerdem präsentierte er Pläne, wie palästinensischer Wohnungsbau noch effektiver verhindert werden kann. Diese Pläne werden laut Smotrich bald dem Kabinett vorgelegt.

Derweil hat Israel die Kämpfe im Gazastreifen ausgeweitet. Augenzeugen zufolge soll die Armee am Freitagnachmittag ein Zeltlager mit Binnenflüchtlingen in der humanitären Zone al-Mawasi angegriffen haben. Das Internationale Rote Kreuz hatte mitgeteilt, dass dabei auch das Büro der Organisation beschädigt worden sei.

Großkalibrige Geschosse seien nur wenige Meter vom Büro entfernt gelandet. Bei dem Angriff sollen mindesten 24 Menschen getötet worden seien. Die Armee prüft eigenen Angaben zufolge den Vorfall. Einer ersten Untersuchung zufolge gab es keinen direkten Angriff auf eine Einrichtung des Roten Kreuzes.

Von Kampfpausen nichts zu spüren

Außerdem sollen bei Luftangriffen auf Gaza-Stadt und Umgebung zahlreiche Menschen getötet worden seien. Ein Angriff im Flüchtlingslager al-Schati hat laut israelischem Armeesender auf Raed Saad abgezielt, einen Kommandeur der Hamas. Ob er den Angriff überlebte, war zunächst unbekannt.

Die humanitäre Lage in Gaza ist desaströs. Israel hatte vor einer Woche angekündigt, tägliche Kampfpausen einzurichten, um den Transport von Hilfsgütern vom Grenzübergang Kerem Schalom bis zur Stadt Chan Junis zu ermöglichen. Davon sei allerdings bislang so gut wie nichts zu spüren, sagte die Exekutivdirektorin des Welternährungsprogramms (WFP), Cindy McCain. Nicht nur Raketen des israelischen Militärs erschwerten die Verteilung von Hilfe, die Hilfsgüter würden auch immer wieder abgefangen und geplündert, heißt es aus UN-Kreisen.

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