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Krieg in GazaEin bodenloser Plan

Israel hat am Sonntag seine Bodenoffensive im Gazastreifen gestartet. Das Ziel könnte eine weitgehende Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung sein.

Trauer um ein getötetes Kind nach einem Raketenangriff am Sonntag auf das Al-Aqsa-Krankenhaus in Deir al-Balah Foto: Ramadan Abed/reuteres

Jerusalem taz | Während Israel und die Hamas in Katar noch verhandeln, startete die israelische Armee eine seit Tagen erwartete Bodenoffensive im Gazastreifen – begleitet von schweren Luftangriffen. Das Militär meldete am Sonntag, die Truppen rückten in mehreren Bereichen vor. Mehr als einhundert Menschen wurden laut palästinensischen Gesundheitsbehörden im Gazastreifen bis Mittag bei Luft- und Artillerieangriffen getötet. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte entgegen bisheriger Aussagen, Israel sei bereit, „die Kämpfe in Gaza zu beenden“, knüpfte dies jedoch an Bedingungen, die die radikalislamistische Hamas bereits mehrfach ablehnte.

In den vergangenen Tagen trafen Luft- und Artillerieangriffe mehrfach Krankenhäuser, darunter das Europäische Krankenhaus in Chan Yunis. Die Klinik, die bisher eine zentrale Rolle bei medizinischen Evakuierungen im weitgehend zerstörten Gesundheitssystem in Gaza spielte, ist laut der Weltgesundheitsorganisation WHO außer Betrieb.

Außenminister Israel Katz erklärte am Sonntag, der Angriff auf das Europäische Krankenhaus habe den Hamas-Anführer Muhammed Sinwar zum Ziel gehabt. „Es gibt bisher keine offizielle Bestätigung, doch allen Anzeichen zufolge wurde Muhammed Sinwar eliminiert“, sagte Katz. Sinwar war nach dem Tod seines Bruders Jahia Sinwar im Oktober zum Anführer der Gruppe aufgestiegen.

Bei der von Israel als „Gideons Streitwagen“ bezeichneten Operation stehe an erster Stelle die „Niederlage der Hamas“, sowie die „Operative Kontrolle über das Gebiet“, schreibt die Zeitung Haaretz unter Berufung auf ein internes Armeedokument. Die Rückkehr der noch gut 20 lebenden israelischen Geiseln kommt erst an sechster Stelle, nach der „Konzentration und Bewegung der Bevölkerung“.

UN-Vertreter sprechen von „ethnischer Säuberung“

Aus Regierungskreisen hieß es vergangene Woche in israelischen Medien, der Gazastreifen solle „eingenommen“ werden, die Armee dort eine „dauerhafte Präsenz“ aufbauen. Die Zivilbevölkerung soll in den Süden des Küstenstreifens vertrieben werden. Die Hamas soll durch militärischen Druck dazu gebracht werden, ihre Waffen niederzulegen und die noch übrigen Geiseln freizulassen – eine Strategie, die bisher trotz mehr als 53.000 Toten in Gaza und der katastrophalen Lage der Zivilbevölkerung keines der israelischen Kriegsziele erreichte.

Netanjahu zeigte mehrfach Sympathie für den Plan von US-Präsident Donald Trump, der die „freiwillige“ Ausreise eines Großteils der Bevölkerung in andere Länder vorsieht. UN-Vertreter und andere sprechen vor dem Hintergrund der Offensive und der vollständigen Blockade des Küstenstreifens seit zehn Wochen von „ethnischer Säuberung“.

Mehrere israelische Regierungsminister haben sich darüber hinaus offen für die Besiedlung von Gaza ausgesprochen. Der rechtsextremistische Finanzminister Bezalel Smotrich forderte, Israel müsse Gaza „vollständig zerstören“ und die Bevölkerung in einem kleinen Bereich „konzentrieren“. Einem Bericht der britischen Sunday Times zufolge plant Israel, das Gebiet in drei zivile Gebiete um Chan Yunis, Deir al Balah und Gaza-Stadt zu teilen, die von militärischen Sperrzonen getrennt werden. Bereits jetzt hat Israel das für Zivilisten zugängliche Gebiet von der Größe der Stadt Bremen massiv verkleinert. Rund 70 Prozent gelten als Evakuierungs- oder Sperrzonen.

Die Angriffe treffen eine ausgehungerte Bevölkerung. UN-Nothilfekoordinator Tom Fletcher warnte vor einer drohenden Hungersnot im Gazastreifen und forderte eine Wiederaufnahme der Hilfslieferungen. Israel bestreitet entgegen der Mehrheit der Hilfsorganisationen weiterhin Berichte über Hunger und Mangelernährung und wirft der Hamas vor, sich Hilfslieferungen zum eigenen Vorteil anzueignen.

Auch Deutschland kritisiert Israel

Stattdessen soll eine private Hilfsorganisation künftig von einer Handvoll Verteilstationen aus die Bevölkerung in Gaza versorgen. Die vor allem im Süden geplanten Einrichtungen sollen von israelischen Truppen und privaten US-Sicherheitsfirmen abgesichert werden. Hilfsorganisationen haben den Plan als nicht umsetzbar und potentiell völkerrechtswidrig abgelehnt und wollen sich daran nicht beteiligen. Die von den USA unterstützte private Hilfsorganisation hat jüngst selbst eingestanden, nur einen Teil der Bedürftigen in Gaza erreichen zu können. Zudem kann die Arbeit demnach frühestens Anfang Juni beginnen.

International hat Israels Offensive heftige Kritik ausgelöst. Das Auswärtige Amt in Berlin nannte Israels Vorgehen einen Grund zu tiefer Sorge, sowohl mit Blick auf die strategischen Ziele als auch für die humanitäre Lage in Gaza. Derartige Mahnung haben bei der israelischen Führung seit Kriegsbeginn aber zu wenig mehr als Schulterzucken geführt.

Hoffnungen, die Offensive noch zu stoppen, lagen stattdessen bei Trump. Beobachter hatten zuletzt zunehmende Spannungen zwischen ihm und Netanjahu vermutet, nachdem er Israel bei seiner ersten Reise in die Region vergangene Woche nicht besuchte.

Trump sagte am Freitag jedoch lediglich: „Wir werden uns um Gaza kümmern, viele Menschen dort hungern“, ließ aber offen, was er damit meinte. Stattdessen befeuerte er neue Spekulationen zu der von ihm ins Spiel gebrachten Deportation von Palästinensern in andere Staaten, als er in Katar davon sprach, Gaza zu einer „Zone der Freiheit“ zu machen.

In die seit Monaten festgefahrenen Verhandlungen über einen Waffenstillstand in Katar kommt indes Bewegung: Die Hamas hat laut Medienberichten einem Vorschlag für eine 60-tägige Waffenruhe im Austausch gegen neun Geiseln sowie die Freilassung palästinensischer Gefangener zugestimmt. Netanjahu stellte ein Ende des Krieges in Aussicht, forderte dafür aber von der Hamas, ihre Waffen niederzulegen und ins Exil zu gehen. Bereits in der Vergangenheit waren Verhandlungen aber daran gescheitert, dass die Hamas ihre Entwaffnung ablehnt und Netanjahu den Krieg nicht beenden will, solange die Hamas in Gaza an der Macht bleibt.

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