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Krieg in GazaGefangenenaustausch und Waffenruhe in Gaza

Palästinenser und Israelis begrüßen ihre aus der Gefangenschaft freigelassenen Angehörigen. Trump spricht über Pläne, den Gazastreifen zu „säubern“.

Nach dem Gefangenenaustausch werden befreite Palästinenserin Chan Yunis von einer Menschenmenge begrüßt Foto: Mohammed Salem/reuters

Ramallah taz | Während Israelis und Palästinenser am Wochenende jubelnd und unter Tränen freigelassene Geiseln und Gefangene begrüßt haben, gerät die Waffenruhe im Gazastreifen zunehmend ins Wanken. Noch während die vier israelischen Frauen Karina Ariev, Daniella Gilboa, Naama Levy, und Liri Albag am Samstag nach mehr als 15 Monaten Geiselhaft auf dem Rückweg nach Israel waren, warfen sich Israel und die Hamas gegenseitig Verstöße gegen die Abmachung vor.

Die Hamas hatte zugesagt, alle Zivilisten freizulassen, bevor entführte Soldaten freikommen sollten. Die vier Frauen aber waren zum Zeitpunkt ihrer Entführung Wehrdienstleistende. Nicht unter den Freigelassenen war hingegen die 29-jährige Arbel Jehud. Sie soll sich in der Hand des Islamischen Dschihad befinden, einer militanten Palästinenser-Gruppe neben der Hamas.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu kündigte an, die vereinbarte Rückkehr von Vertriebenen in den Norden des Küstenstreifens erst nach einer Garantie für die lebende Rückkehr der 29-Jährigen in der kommenden Woche zu erlauben.

Südlich des israelisch besetzten Netzarim-Korridors hatten sich am Samstag bereits Tausende Menschen versammelt, um in ihre zerstörten Heimatorte zurückzukehren, als Schüsse fielen. In einem von der britischen BBC verifizierten Video sind vier Schüsse zu hören, während Menschen panisch fliehen. Das von der Hamas geleitete Gesundheitsministerium meldete einen Toten. Die israelische Armee bestritt den Bericht und sprach von Warnschüssen.

Bizarre Show der Hamas

Die Hamas heizte die Spannungen weiter an, indem sie die Übergabe der vier jungen Frauen auf dem Palästina-Platz in Gaza-Stadt in eine teils bizarren Show verwandelte. Umringt von Hunderten bewaffneten und vermummten Hamas-Kämpfern mussten sie vor den Augen Hunderter Zuschauer auf eine Bühne klettern. Die am 7. Oktober 2023 in ihren Pyjamas entführten Frauen waren dafür in Armeeuniformen gekleidet worden. Im Hintergrund verkündete ein Banner den „Sieg des unterdrückten Volkes gegen den Nazi-Zionismus“.

Im Gegenzug ließ Israel insgesamt 200 palästinensische Gefangene frei. Unter ihnen befinden sich 121 Personen mit lebenslangen Haftstrafen, zum Teil für tödliche Anschläge auf Israelis. 70 für schwerwiegende Taten verurteilte wurden nach Ägypten, 16 in den Gazastreifen gebracht. In Ramallah im israelisch besetzten Westjor­dan­land wurden die übrigen 114 Gefangenen von einer jubelnden Menge mit Palästina- und Fatah-Fahnen begrüßt.

„Zu hören, dass ich freikommen soll, war überwältigend“, sagte der 30-jährige Azzam, nachdem er in grauer Gefängniskleidung aus einem ICRC-Bus gestiegen war. Viele der Freigelassenen wirkten sichtlich erschöpft. „Wir wurden drei Tage lang geschlagen und gedemütigt vor unserer Freilassung“, sagte der 31-jährige Tarek Abdel Yahya aus Dschenin.

Das Abkommen zwischen Israel und der Hamas sieht in einer ersten Phase bis Ende Februar die Freilassung von 26 weiteren israelischen Geiseln und Hunderten palästinensischen Gefangenen vor. In einer zweiten Phase sollen die übrigen Geiseln freikommen, während sich die israelische Armee aus dem Gazastreifen zurückzieht. Bisher haben die Verhandlungen für die zweite Phase jedoch nicht begonnen.

US-Präsident Trump stellt Pläne für Gaza vor

Fragil ist auch die Ende November zunächst für zwei Monate beschlossene Waffenruhe zwischen der libanesischen Hisbollah und Israel. In den vergangenen 60 Tagen hatten sich beide Seiten aus dem Süden des Libanon zurückziehen sollen. Netanjahu teilte am Freitag mit, die Frist für den Abzug nicht einhalten zu wollen. Mindestens drei Menschen starben am Sonntag nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums, nachdem israelische Soldaten das Feuer auf Vertriebene eröffnet hatten, die in ihre Häuser zurückkehren wollten.

Die große Unbekannte für die Zukunft der Abkommen aber ist der US-Präsident Donald Trump, der am Samstag einen Einblick in seine Pläne für die Region gab. Ihm zufolge sollten die im Gazastreifen lebenden Palästinenser in andere arabische Staaten umsiedeln. Der zerstörte Küstenstreifen solle „einfach gesäubert“ werden. Als Aufnahmeländer nannte er Ägypten und Jordanien, die in der Vergangenheit jedoch mehrfach deutlich gemacht hatten, keine Palästinenser aus Gaza aufnehmen zu wollen. Zudem gab er die Auslieferung weiterer 2.000-Pfund Bomben an Israel frei, die sein Amtsvorgänger Joe Biden gestoppt hatte.

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18 Kommentare

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  • Den Schutt wegräumen, - die ehemaligen Bewohner abschieben. Das fordern die israelischen Siedler (ganz liebe Menschenfreunde und Demokraten) bereits länger. "Mehr Platz für uns!"



    Ägypten hatte sich zu Beginn der Bombardierung geweigert, Flüchtlinge ins Land zu lassen. Weil man ahnte, dass sie nicht würden zurückkehren können.

  • Natürlich hat auch dieser Trump‘sche Schnellschuss zurecht keine Chance auf Realisierung. Ebensowenig wie eine erneute Herrschaft der Hamas. Trump wird sich bei der erstbesten Gelegenheit mit einem neuen Vorschlag in Szene setzen, oder anderweitig loben lassen. Aber was macht man mit den irren Ideen der Islamisten¡? Die könnten am Ende noch immer an ihren Endsieg glauben. Und bisher tritt die palästinensische Community denen ja auch nirgends mal richtig auf die menschenverachtenden Füße.

  • "Unter ihnen befinden sich 121 Personen mit lebenslangen Haftstrafen, zum Teil für tödliche Anschläge auf Israelis"



    Zum Teil? Wofür sonst, außer für Mord, wird in Israel lebenslange Haft verhängt?

    • @Francesco:

      Das kommt ganz drauf an, ob sie Araber oder Jude sind. Demnach unterscheidet sich das Strafmaß und die Zuständigkeit für Taten erheblich. Für Juden, das Zivilgericht, für Palästinenser bei gleichen Taten, das Militärgericht. Israel unangenehme arabische Aktivisten, die gewaltlos gegen die Besatzung kämpften, sitzen in israelischen Gefängnissen auch gut und gerne mal mehrere Jahrzehnte, während das für jüdische Terroristen in der Westbank nicht mal bei Mord an Palästinensern oder Zerstörung ihrer Dörfer, denkbar wäre.

  • "Zudem gab er die Auslieferung weiterer 2.000-Pfund Bomben an Israel frei, die sein Amtsvorgänger Joe Biden gestoppt hatte."

    Laut einem Bericht der New York Times vom 21.12.2023 hatte Israel bereits zu diesem Zeitpunkt etwa 200 dieser verheerenden Bomben auf den Süden Gazas abgeworfen. Geliefert waren bis dato rund 5.000 der Riesenbomben, welche Krater von 30 Metern hinterlassen.

    www.infosperber.ch...m-sueden-von-gaza/

    Auch am 30. März 2024 berichtete n-tv von der weiteren Lieferung der 2.000-Pfund-Bomben "in aller Stille", wie es heißt.

    www.n-tv.de/politi...ticle24840513.html

    Der Stopp dieser Lieferungen erfolgte erst spät im Juni letzten Jahres, was einen kleinen Streit zwischen Netanjahu und Blinken ausgelöst haben soll.

    Gestern hob Trump den Lieferstopp auf und stellte Netanjahu damit sicherlich wieder zufrieden.

    Offenbar soll der Säuberung von Gaza damit Nachdruck verliehen werden.

  • " Unter ihnen befinden sich 121 Personen mit lebenslangen Haftstrafen, zum Teil für tödliche Anschläge auf Israelis. "

    Es fällt anscheinend schwer von verurteilten Mördern zu schreiben.

    • @Gesunder Menschenverstand:

      "die vier israelischen Frauen"



      Es fällt anscheinend auch schwer von Soldatinnen der Besatzungsarmee zu sprechen.

      • @Timothee Güsten:

        Selbst wenn besteht immer noch ein großer Unterschied zwischen Soldatinnen in einem Land mit Wehrpflicht für fast alle - noch dazu Soldatinnen in nicht-kämpfenden Positionen, die nicht einmal mit Waffen zur eigenen Verteidigung ausgestattet waren - und Mördern und Terroristen, deren Verbrechen für lebenslänglich gereicht haben. Fakt ist: Es besteht keine Äquivalenz zwischen den rechtswidrig entführten Israelinnen und den rechtmäßig inhaftierten Strafgefangenen.

  • Das was Trump vorschlägt nennt man Ethnische Säuberung....

    • @Krumbeere:

      Erschreckend ist nicht nur, dass ein US-Präsident so etwas fordert, sondern auch, dass die Kritik daran auch hierzulande bestenfalls zahm ausfällt. Man darf sich vermutlich keine Illusionen machen: Sollten diese Pläne wirklich umgesetzt werden, wird man auch hier wieder mit den Schultern zucken.

      • @O.F.:

        ...oder den von allen Regierungen in den letzten Monaten zitierten Satz sagen: "Wir sind besorgt".



        Erschreckend ist auch das die USA dies sogar möglich machen können, genau wie die Pläne Smotrichs u.a. für die vollständige Annexion des Westjordanlandes. Wer soll sie denn aufhalten? Jede eingebrachte Resolution im Sicherheitsrat würde ein Veto der USA erhalten. Und ich wette selbst wenn dies passiert, würde Europa immer noch keine Konsequenzen ziehen, wie sie schon sagen Schulterzucken.

        • @Momo Bar:

          Aufhalten kann all das nur noch die internationale vollständige Isolation/Sanktionierung, Israels und seine Unterstützer, durch die arabischen, asiatischen und afrikanischen Staaten und der Türkei.



          Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht. Militärisch ist da gar nichts zu machen, ohne endlos millionenfach Blut zu vergießen und selbst dann wird Israel militärisch nicht geschwächt werden können.

          Kann auch im geringsten nicht verstehen, warum die arabischen Staaten nicht aus dem A…. kommen. Sie hätten einige Instrumente und Möglichkeiten, den schleichenden Genozid und die Völkerrechtsbrüche zu verhindern, beziehungsweise Israel unter Druck zu setzen, sich wenigstens zu mäßigen und den Terror, die Pogrome und Landklau in der Westbank zumindest sofort zu beenden. Aber nichts geschieht. Ich finde es auch ehrlich gesagt super heuchlerisch (selbst als Muslimin), dass überall in der arabischen Welt gegen den Westen gehetzt wird, von dem man doch eh nichts anderes zu erwarten hatte, als dass sie Israel unterstützen, anstatt die Wut gegen die arabischen Staaten zu richten, die im Stich lassen.



          Wenn Juden oder Christen, Muslime umbringen, Wut/Hass. Wenn Muslime Muslime umbringen, Politik

  • Aus einem "Brand", gelingt Trump somit der "Flächenbrand" ...

  • "Wir wurden drei Tage lang geschlagen und gedemütigt vor unserer Freilassung“, sagte der 31-jährige Tarek Abdel Yahya aus Dschenin."



    Da fällt mir nichts dazu ein. In einer Demokratie sollte so etwas NICHT möglich sein ...

  • Mir gefällt Trumps Idee der ethischen Säuberung überhaupt nicht.



    Gaza soll demokratisiert werden, als Teil von Israel. Aber die Menschen in Gaza sollen statt Unterdrückung Freiheiten in Israel erlangen. Und unter Herrschaft Israels ein hamasfreies Leben leben. So, wie andere Muslime in Israel auch. Und nicht abgeschoben werden nach Ägypten oder Jordanien.

    • @Troll Eulenspiegel:

      Und fragen wir die Palästinenser vorher ob sie Teil des israelischen Staats werden wollen oder bestimmen wir das einfach? Es gibt soetwas wie das Selbstbestimmungsrecht der Völker, welches ein unveräußerliches Recht darstellt und weder verändert, an Bedingungen geknüpft oder weggenommen werden darf. Dieser Recht wurde den Palästinensern in zig UN-Resolutionen und vom IGH zugestanden. Und wie fühlen sich denn die Muslime in Israel so? Beziehungsweise die Araber? Die Beduinen und Drusen mit israelischer Staatsbürgerschaft fühlen sich meist wie Menschen zweiter Klasse. Und bei der rechten/rechtsextremen Regierung wird sich das kaum ändern im Gegenteil wenn man allein die Gesetze anschaut, die im letzten Jahr verabschiedet wurden (meist auch mit Unterstützung aus moderaten Kreisen). Auch in der Vergangenheit war dies schon der Fall hier die EU bereits 2010: www.europarl.europ...inatory_israel.pdf

    • @Troll Eulenspiegel:

      Unter Herrschaft Israels? Mit oder ohne politische Rechte? In einer Demokratie spricht man normalerweise nicht davon, dass man unter der Herrschaft des Staates lebt. Denn "alle Staatsgewalt geht vom Volk aus".

      • @Francesco:

        MIT politischen Rechten selbstverständlich.



        Denn diese genießen auch die Muslime in Israel, welche 21,1% der Bevölkerung Israels ausmacht. Die genießen weit mehr Menschenrechte als in anderen Teilen der Welt.

        Quellen: Michaela Dudley, Zentralrat der Juden, humanitäre Indizes.