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Krieg in BergkarabachDie Sprache der Ohnmacht

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Russland und die Türkei haben den Konflikt um Bergkarabach entschieden. Für Deutschland und die EU bedeutet das eine Niederlage.

Aserbaidschan, Tartar: Ein Mann steht in den Trümmern seines Hauses Foto: Aziz Karimov/reuters

M an stelle sich vor, in Europa herrscht Krieg und keiner schaut hin. Genau das ist in Bergkarabach geschehen. Vor den Augen des Friedensnobelpreisträgers EU, noch dazu unter deutschem EU-Vorsitz, hat ein Krieg getobt, der nun mit der Verschiebung von Gebietsgrenzen und der Vertreibung Zehntausender Armenier enden dürfte.

Dass es so weit kommen konnte, ist ein Armutszeugnis für die europäische und vor allem für die deutsche Außenpolitik. Weder Kanzlerin Angela Merkel noch Außenminister Heiko Maas oder die EU-Verantwortlichen haben sich in den Konflikt eingeschaltet, die viel beschworene „Sprache der Macht“ haben nur Russland und die Türkei gesprochen.

Dabei wollte Deutschland doch Führung zeigen und „Weltpolitikfähigkeit“ beweisen. Es ging auch darum, die „europäische Friedensordnung“ zu verteidigen – ähnlich wie 2014, als Russland die Krim annektierte. Damals setzte sich Deutschland für Sanktionen ­gegen Russland ein. Heute schweigt Berlin, es ist die Sprache der Ohnmacht.

Das könnte fatale Folgen haben. Durch ihre Untätigkeit legitimieren Deutschland und die EU nicht nur das Unrecht, das den Armeniern in Bergkarabach geschieht. Sie zeigen auch, dass sie die Kontrolle über die Grenzen in und um Europa verloren haben. Und sie ermuntern die Türkei, sich in neue militärische Abenteuer zu stürzen.

Es ist nicht das erste Mal, dass die EU unter deutschem Vorsitz versagt. Schon im Sommer wäre es beinahe zum Krieg gekommen, als die Türkei mit Gasbohrungen im östlichen Mittelmeer provozierte. Griechenland, Zypern und Frankreich forderten eine schnelle und harte Antwort, doch Merkel setzte auf Geheimdiplomatie und Appeasement.

Das rächt sich nun. Während der Konflikt im östlichen Mittelmeer einigermaßen ruhiggestellt wurde – gelöst ist er noch lange nicht –, schickte der türkische Präsident Erdoğan syrische Söldner in den Kaukasus. Heute feiert er seinen Sieg in Aserbaidschan und Bergkarabach. Deutschland, dieses vorläufige Fazit muss man leider jetzt schon ziehen, hat die EU in die Niederlage geführt.

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Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
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6 Kommentare

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  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Azerbaijan hat einen Krieg geführt und gewonnen und das Land erobert die Bewohner sind geflohen. Dieser Konflikt wird Schule machen und andere Staaten werden ähnliches versuchen. D.h. nich mehr Flüchtlinge nach Europa, wenn Deutschland und die EU nicht endlich die Sprache der Macht lernen. Man muss keine Truppen in den Kaukasus schicken aber man hat seit Jahren gesehen wie Azerbaijan aufgerüstet und hätte dementsprechend Armenien militärisch stärken müssen einige Flugabwehrsysteme, Trainings im Abwehrkampf für Offiziere und Unteroffiziere und moderne Kommunikationsausrüstung liefern können. Das hätte einige Millionen gekostet und Azerbaijan abgehalten es militärisch zu versuchen. Die Türkei wird vermutlich darüber nachdenken ähnliches mit den Kurden in Syrien und Nordirak, mit Zypern oder den griechischen Inseln zu versuchen.

  • Ohnmächtig? Vielleicht, Deutschland und Europa haben ihre Rüstungsexporte zur Türkei bisher nicht gestoppt. Beziehen von Azerbaijan Gas und Öl. Sind mit der Türkei wirtschaftlich nicht wenig verbunden? Die Türkei wird für die Zurückhaltung von Flüchtlingen bezahlt? Ohnmächtig sind unsere westlichen Politiker wohl nicht, scheuen aber finanzielle Verluste und Kontra von Erdogan? Schon eher.Russland hat eine Beendigung der Kämpfe bewirkt. Gut. Nun muss Armenien im eigenen Land für die Fortsetzung der Demokratie im eigenen Land kämpfen, mit der Unterbringung der Flüchtlinge klarkommen, mit Corona, mit wirtschaftlichen Problemen. Wir können Armenien wirtschaftlich humanitär helfen und uns für Waffenexportstopp an die Türkei. Diese 2 Punkte sind wichtig.

  • Was ist das für eine erschreckend säbelrasselnde Rhetorik? Kontrolle über Grenzen "in und um" die EU, was soll das sein, zumal in diesem Kontext? Weiß der Autor überhaupt, was es bedeutet, wenn die EU Kontrolle über ihre Grenzen ausübt? Kann man tausende Tote pro Jahr in irgendeinem Universum wünschenswert finden? Und: muss man, um eine Niederlage erleiden zu müssen, nicht vorher an einem Krieg beteiligt sein? Welcher soll das sein?

    Soweit die Sprachkritik. Inhaltlich erlebe ich persönlich einen Kontrollverlust, wenn ich etablierten Journalist:innen dabei zusehen muss, wie sie so grundlegende Machtgefüge wie das zwischen Deutschland und der Türkei einfach nicht auf dem Schirm zu haben scheinen und sich darüber wundern, wenn deutsche Politiker:innen den Mund gegenüber Erdogan nicht aufkriegen. Es gibt Gründe für dieses Kuschen, und die sind nicht angenehm, insbesondere für Linke, aber das heißt doch trotzdem nicht, dass man sie einfach ignorieren sollte?

  • „Durch ihre Untätigkeit legitimieren Deutschland und die EU nicht nur das Unrecht, das den Armeniern in Bergkarabach geschieht“



    Hätte D. „kraftvoller“ reagiert, hätten Populisten, vor allem links der Mitte, kritisiert, dass D. nun wohl die Rolle des „Weltpolizisten“ übernehmen will – oder? Übrigens sind weder Armenien, noch Aserbaidschan EU-Mitglieder!



    Allerdings konnte D. auch früher schon nicht weltpolitische Probleme lösen (ist das nicht eigentlich Aufgabe der UNO?). Z. B. gelang es nicht, Putin in die Schranken zu weisen, als er die Krim, die er als russisches Eigentum betrachtet, einkassierte.



    In Aserbaidschan hat man das sicher zur Kenntnis genommen und fühlte sich nun berechtigt, das gleiche mit Bergkarabach zu tun. Wenn auch in kleinerem Maßstab.



    Und wie ist das mit Griechenland und der Türkei? Hoffentlich gelingt es der NATO auch diesmal, ihre beiden Mitglieder zur Räson zu bringen!

  • "Sie zeigen auch, dass sie die Kontrolle über die Grenzen in und um Europa verloren haben."

    Die EU und gleich Recht Deutschland haben nicht die Kontrolle über die Grenzen in Europa! Niemand hat sie dazu bestellt. Und die Grenzen im Kaukasus gehen uns nun wirklich nichts an. Die Zeiten als deutsche Truppen dort standen sind zum Glück längst vorbei.

    Etwas anderes ist der Griff der Türkei nach Gebieten von EU Staaten. Dem hätten man entschlossen entgegen treten müssen. Und die Reaktion der deutschen Regierung kann man tatsächlich nur als schäbig bezeichnen.

  • Ja, schade, dass sich Deutsche Panzer nicht auf den Weg gemacht haben.



    Oder was soll der Kommentar?



    Sanktionen wie bei der Krim? Das hat es ja super gebracht.



    Niederlage für D und die EU? Weit sie sich in Geschehnisse ausserhalb Europas mal nicht eingemischt hat? Ist das nicht etwas, was sonst immer gefordert wird?

    Oder ist der Vorschlag, den jungen Aktivisten in der Gesellschaft mal die "Sprache der Macht" nahezulegen?