Kretschmanns Ideen zu Föderalismus: Hand aufhalten und pöbeln
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält das Bundesbildungsministerium für überflüssig. Geld vom Bund nimmt er aber gerne.
E s gibt gute Gründe, die Arbeit von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) zu kritisieren: die viel zu späten Coronahilfen für Studierende, ihre Gleichgültigkeit gegenüber den prekären Arbeitsbedingungen an Hochschulen, das Unvermögen, die Länder in Bildungsfragen stärker zu vereinheitlichen. Siehe Abiturnoten oder zuletzt Pandemiepolitik.
Was jedoch der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann soeben in einem Interview ins Spiel bringt, stellt nicht die Ministerin in Frage – sondern das ganze Ministerium. Kretschmann leuchtet nämlich nicht ein, „warum ein Ministerium auf einer Ebene eingeführt wird, für die man nicht zuständig ist. In Baden-Württemberg gibt es ja auch kein Außenministerium“.
Was Kretschmann damit sagen möchte: Das Bundesbildungsministerium ist überflüssig, Bildung ist schließlich Ländersache. Bitte, lieber Bund, begreif das nun endlich mal! Doch ganz so einfach, wie Kretschmann es sich macht, ist es nicht.
Denn erstens nimmt Kretschmann seit Jahren gerne die Gelder aus Berlin, um damit auch munter in Stuttgart oder Heidelberg in „seinen“ Hoheitsbereich zu investieren: beim Bafög, Kitaausbau, Ganztag, zuletzt beim Digitalpakt und Nachhilfeprogramm. Um mal nur einige Bundesprogramme zu nennen.
Erpressung im Bundesrat
Kretschmann greift also zu, verbittet sich gleichzeitig aber die Mitsprache bei den Zielvorgaben. Undankbar wäre noch ein nettes Adjektiv für dieses Verhalten. Doch es kommt noch dicker: Denn der undankbare Kretschmann torpediert wichtige Bildungsinvestitionen über den Bundesrat, wenn ihm der Bund zu wenig Kohle locker macht. Zuletzt geschehen am vergangenen Freitag.
Der Bundesrat sollte da einem Prestigeprojekt der Bundesregierung zustimmen: dem Gesetz, das den Eltern einen Anspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen garantiert. 3,5 Milliarden Euro würde der Bund zahlen, dazu langfristig eine Milliarde jährlich zur Deckung der Betriebskosten. Doch was vielen Ländern reicht, reicht Kretschmann nicht. Baden-Württemberg bliebe so auf dauerhaften Betriebskosten sitzen, schimpfte er. Der Bund müsse mehr Geld rausrücken.
Kretschmanns maue Bilanz
Das Gesetz wurde erst einmal nicht verabschiedet. Man muss an dieser Stelle betonen: Kretschmanns eigene (neue und ebenfalls grüne) Bildungsministerin, Theresa Schopper, befürwortet den Ganztagsausbau. Dass die Investitionen bildungspolitisch sinnvoll und notwendig sind, ist also auch in Stuttgart unbestritten. Nur: Bisher hat das Land selbst nicht allzu viel dafür getan. Im Ländervergleich liegt Baden-Württemberg bei der Ganztagsbetreuung an Grundschulen weit abgeschlagen an letzter Stelle.
Man kann es also auch so sehen: Wenn es einem der reichsten Bundesländer in der Vergangenheit nicht Wert war, in Chancengleichheit zu investieren, dann sind die Forderungen, der Bund soll jetzt gefälligst alles bezahlen, eine glatte Unverschämtheit. Das sollte auch Winfried Kretschmann endlich begreifen.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alleingang des Finanzministers
Lindner will Bürgergeld kürzen
Putins Brics-Gipfel in Kasan
Club der falschen Freunde
Deutsche Asylpolitik
Die Hölle der anderen
Kritik an Initiative Finanzielle Bildung
Ministeriumsattacke auf Attac
Linke in Berlin
Parteiaustritte nach Antisemitismus-Streit
Investitionsbonus für Unternehmen
Das habecksche Gießkannenprinzip