Kreative in Hamburgs Innenstadt: Auf dem Jupiter geht das Licht aus
Vier Jahre lang war das ehemalige Karstadt-Sport-Kaufhaus am Hamburger Hauptbahnhof ein Ort von und für Kreative. Nun endet die Zwischennutzung.

Doch reich werden kann man auf den sechs Etagen nicht mehr lange. Ende April schließt das Kulturprojekt „Jupiter“ mit seinen Flächen für Design, Kunst, Musik, Mode und Workshops, das die darbende Hamburger Innenstadt auch über die Kaufhaus-üblichen Geschäftszeiten hinaus mit Leben füllt.
Katja Wolframm stört das jedoch überhaupt nicht. „Hier ist ja nur so eine Kraft entstanden, weil es eben nicht auf Langfristigkeit ausgerichtet war“, sagt Wolframm. Sie arbeitet bei der städtischen Hamburg Kreativgesellschaft, mit der die Stadt die Kreativwirtschaft fördert. Die hatte 2021 sowohl den Immobilienbesitzer als auch die Hamburger Politik davon überzeugt, durch eine Zwischennutzung den Leerstand an einem von Hamburgs meistfrequentierten Orten direkt neben dem Hauptbahnhof zumindest vorübergehend zu vermeiden.
Partys auf dem Dach
In der obersten Etage und auf der Dachterrasse finden Partys und Konzerte statt, unten gibt es Kaffee – dazwischen kann man über Rolltreppen hinweg zwischen kleinen, hippen Modegeschäften und Kunstausstellungen spazieren. „Das ist schon ziemlich cool“, sagt Wolframm beim Blick vom Café rüber zu der mit Holzlatten und Maschendraht abgesteckten Ladenfläche, in der Kollektionen und Produkte aus der afrikanischen Diaspora verkauft werden. „Wir haben hier sehr unterschiedliche Akteure mit sehr großer Energie für ihre Projekte.“
Ein älteres Paar mit beigen Jacken betritt das Jupiter und schaut sich neugierig um. Auch beim Publikum gebe es eine große Bandbreite, erklärt Wolframm: Von den Rentner:innen, die gern zum Bummeln durch Kaufhäuser schlendern und sich nun im vertrauten Gebäude andere Sachen ansehen, bis zu Jugendlichen, die für einen Graffiti-Workshop herkamen.
An den Wochenendabenden, wenn eine neue Kunstausstellung eröffnete oder wenn auf der Dachterrasse ein Konzert stattfand, bildeten sich vor den Rolltreppen mitunter lange Schlangen: Ein Bild, das es in Kaufhäusern kaum noch gibt. Schon in den 1970ern verkaufte Karstadt hier Sportartikel. Der ursprünglich flache und grau-versteinerte Block wurde Ende der 1990er sogar umfassend ausgebaut: Vier Stockwerke kamen hinzu, die Fassade erhielt ihre markanten Glasscheiben – und auf dem Dach entstand eine runde Fläche für Sport: Schlittschuh, später Rollschuh und auch Basketball.
Auch skeptische Blicke
Allein: Erst der wachsende Onlinehandel und dann die Coronapandemie hatten dafür gesorgt, dass Karstadt das Sportgeschäft in Hamburg aufgegeben hat. In den vergangenen drei Jahren legten auf der Dachfläche deshalb DJs auf, Leute tanzten dazu oder warfen ihren Blick runter aufs imposante Dach der Hauptbahnhofshalle.
Es gibt aber auch skeptische Blicke auf das Jupiter: Bevor es mit dem nun endenden Konzept 2023 losging, hatte es zuvor schon für einige Monate eine Zwischennutzung in dem leer stehenden Kaufhaus gegeben. Engagiert war darin auch die Initiative Zentrum für Zukunft, ein Zusammenschluss mehrerer Gruppen, die hamburgweit oder in einzelnen Vierteln an einer linken, unkommerziellen Stadtentwicklung arbeiten.
Auch der Aktivist Marco Hosemann, der seit Kurzem für die Linke auch in der Bürgerschaft sitzt, war darin aktiv. „In der ersten Phase gab es viel weniger kommerzialisierte Zwischennutzungen“, sagt er – in einer Etage etwa wurden wöchentlich Spielabende kostenlos organisiert. „Jetzt kann man da gegen Geld Flüge mit einer Drohne buchen“, beklagt er. Auch eine Anlaufstelle für Obdachlose war von den Aktivist:innen angedacht, doch als die Zwischennutzung zum Jupiter umfangreicher von der städtischen Kreativgesellschaft begleitet wurde, konnten sich die Aktivist:innen damit nicht durchsetzen. „Ich weine dem Ende also nicht allzu viele Tränen nach“, sagt Hosemann.
In Harburg zieht das Museum ins Kaufhaus
Aber: Wäre das nicht, trotzdem, die Zukunft für zunehmend öde Innenstädte? Schließlich gibt es in deutschen Innenstädten eine ganze Reihe früherer Kaufhäuser, deren riesige Verkaufsflächen um die Rolltreppen verwaist sind, wo verklebte Fensterscheiben den Blick darauf verhindern. „Unser Konzept war explizit als Zwischennutzung gedacht, in der mit wenig Geld viel improvisiert wurde“, sagt Wolframm. Für eine begrenzte Zeit sei es akzeptabel, dass man vom Café im Erdgeschoss in den fünften Stock fahren muss, um zur Toilette zu kommen. Wolle man ein Kaufhaus langfristig umfunktionieren, wären teure Umbauten nötig. „Dann wäre es ein anderes, aber mögliches Konzept“, sagt Wolframm.
In einem anderen früheren Karstadt-Kaufhaus in Hamburg wird genau dieses Konzept verfolgt: Da hat die Stadt von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht und das Grundstück im südlich der Elbe gelegenen Harburg erworben – um „eine gelingende Quartiersentwicklung in der Harburger Innenstadt“ zu gewährleisten, wie sich die regierende SPD freute. Seit Februar ist das Archäologische Museum Hamburg und Stadtmuseum Harburg im einstigen Kaufhaus untergebracht. Der Eintritt dort ist frei, sodass das einstige Kaufhaus zu einem „kulturellen Anlaufpunkt in zentraler Lage“ wird und das umliegende und in Teilen ebenso von Leerständen betroffene Quartier wiederbelebt wird, wie die Stadt hofft.
Ob das auch die Zukunft für das Jupiter wäre? Dazu müsste der Eigentümer zunächst verkaufen wollen. Ob das für ihn infrage kommt? Gehören soll das Gebäude der Union Investment Institutional Property GmbH. Diese lässt sich bei der Immobilienverwaltung wiederum vertreten von der R+V Lebensversicherung AG. Auf Nachfragen, wie es mit dem Gebäude künftig weitergeht, gibt es dort keine Antworten. 2021 hatte sie mitgeteilt, das Gebäude langfristig vermieten zu wollen.
Zeit für Gedanken über zukünftige Nutzung
Sollte das noch der Fall sein: Wäre nicht die Stadt ein guter, langfristiger Mieter, um hier weiterhin Nutzungen zu ermöglichen, die die Innenstadt attraktiver und diverser machen? Bei den zuständigen Behörden ist dort aktuell nichts drüber zu erfahren, zumindest während der laufenden Koalitionsverhandlungen von SPD und Grünen. Beide Parteien betrachten das Jupiter aber extrem positiv.
So günstig wie die Miete für die Jupiter-Zwischennutzung würde es für die Stadt dann aber wohl nicht werden: Dafür handelte die Kreativgesellschaft aus, dass die Stadt nur die Nebenkosten zahlen musste. „Unterm Strich haben von der Zwischennutzung alle profitiert: die Kreativen, die Stadt und der Eigentümer“, sagt Wolframm. Erstere konnten sich in einem zeitlich begrenzten Projekt ausprobieren, die Stadt eine günstige Wirtschaftsförderung betreiben. Und Letzterer hätte bei Leerstand die laufenden Kosten gehabt – durch die Zwischennutzung habe er Zeit gewonnen, sich über die künftige Nutzung Gedanken zu machen.
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