Korsikas Streben nach Autonomie: Insel hat einen neuen Märtyrer
Nach dem Tod des inhaftierten korsischen Nationalisten Yvan Colonna gibt es zunächst nur stillen Protest. Der Fall belebt die Autonomieforderungen.
„Ich denke nicht, dass jetzt über etwas anderes gesprochen werden sollte als über unsere Emotionen. Für Reaktionen und Analysen wird es später Zeit geben“, sagte der korsische Abgeordnete Michel Castellani. Andere korsische Nationalisten würdigten den „Tod eines korsischen Patrioten“.
Colonna war am 2. März von einem wegen Terrorismus verurteilten Dschihadisten im Gefängnis von Arles lebensgefährlich verletzt worden. Er verbüßte dort eine lebenslange Haftstrafe, zu der er wegen eines Mordanschlags auf Korsikas Polizeipräfekten Claude Érignac im Jahr 1998 nach drei Gerichts- und einem Berufungsverfahren verurteilt worden war.
Eine aktive Beteiligung an der Tat hatte der korsische Nationalist Colonna stets bestritten. Er hatte sich vier Jahre als Schafhirte in einer entlegenen Hütte im korsischen „Maquis“ versteckt. Das bei seiner Festnahme gemachte Polizeifoto, auf dem er unrasiert und mit langen schwarzen Haaren traurig blickt, wird bis heute von Medien verwendet.
Angriff auf Colonna löste gewaltsame Protestwelle aus
Der brutale Angriff auf ihn in der Haft löste auf Korsika eine gewaltsame Protestwelle aus und belebte die Autonomieforderungen. Bei Protesten in mehreren korsischen Städten kam es darauf fast jeden Abend zu Zusammenstößen zwischen jungen Demonstrierenden und der Polizei.
Mit seinem Tod ist Colonna zum Märtyrer des Kampfes gegen die jahrhundertealte Bevormundung der Mittelmeerinsel durch Frankreich geworden.
Immer wieder hatten die französischen Behörden Colonna und seinen beiden wegen Mithilfe verurteilten Freunden eine Verlegung in ein Gefängnis auf Korsika verwehrt, wo ihn seine Familie leichter hätte besuchen können.
Er war deswegen hinter Gittern auf dem Festland zu einer Symbolfigur der korsischen Nationalisten geworden. In dieser Frage möchte Paris nun in Zukunft mehr Entgegenkommen zeigen.
Innenminister stellte „Form der Autonomie“ in Aussicht
Zur Beruhigung flog Innenminister Gérald Darmanin letzte Woche nach Ajaccio. Noch vor den Gesprächen mit korsischen Behördenvertretern hatte er erklärt, die Regierung sei offen, „bis zu einer Form der Autonomie“ für Korsika zu gehen. Zurück in Paris betonte er jedoch kategorisch: „Korsika bleibt französisch.“
Der Vorsitzende der korsischen Exekutive, Gilles Simeoni, wünscht von der Staatsführung in Paris eine „schriftliche“ Offerte für die Diskussionen. Er dementiert Gerüchte, wonach er für die Aussicht auf eine erweiterte Autonomie Präsident Emmanuel Macron Unterstützung bei der Wiederwahl versprochen habe.
Konkrete Verhandlungen über einen Status mit einer Selbstbestimmung in wichtigen Bereichen wie der Schule und der Kultur, den Transportmittel und den Steuern haben bisher noch nicht begonnen. Als mögliches Vorbild wird in den Medien die Autonomie von Französisch-Polynesien erwähnt.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!