Proteste gegen Frankreichs Zentralstaat: Korsika auf Krawall

Auf der Insel eskalieren erneut nationalistische Proteste gegen Frankreich. Dutzende Polizisten werden verletzt, zahlreiche Jugendliche festgenommen.

Eine vermummte Person nutzt eine Zwille bei einer Demonstration.

Militanter Aktivismus: Demonstration im korsischen Corte am 6. März Foto: Mari J/ANDBZ/abaca/picture alliance

PARIS taz | Seit Jahren hatte man auf dem französischen Festland kaum noch von Korsika gesprochen. Mit täglichen Demonstrationen ruft sich die Mittelmeerinsel nun lautstark in Erinnerung. Mehr als 60 Personen wurden am Sonntagabend bei heftigen Zusammenstößen nach einer Protestkundgebung in Bastia verletzt. Die Ordnungskräfte wurden mit Molotowcocktails angegriffen und antworteten mit Tränengas, Wasserwerfern und Schockgranaten. Laut Polizei, die zahlreiche Verletzte in ihren Reihen beklagt, sind unter den Festgenommenen viele Schüler, zum Teil erst 14-Jährige.

Hunderte oder Tausende von ihnen protestieren seit bald zwei Wochen mit ungeahnter Heftigkeit gegen die „staatliche Gewalt“ nach dem Angriff eines Dschihadisten auf den Korsen Yvan Colonna in der südfranzösischen Haftanstalt von Arles am 2. März. Der Angreifer versuchte Colonna im Fitnessraum zu erdrosseln, weil dieser ihn angeblich „blasphemisch“ beleidigt hatte.

Colonna ist ein korsischer Nationalist, der wegen der Ermordung des Polizeipräfekten Claude Erignac 1998 eine lebenslange Haftstrafe verbüßt. Für manche ist er ein „Märtyrer der französischen Unterdrückung“.

Der Kampf für eine Unabhängigkeit oder Autonomie Korsikas von Frankreich und das Pochen auf die Eigenständigkeit von Sprache und Kultur reichen zurück in die Zeit, als die Insel noch ein Nest von Piraten war. Ab den 1970er Jahren verübte die Untergrundbewegung FLNC zahlreiche Anschläge auf touristische Immobilien und staatliche Einrichtungen. Nach der Spaltung des FLNC 1990 verlegten die Nationalisten ihren Kampf auf die politische Bühne.

Trügerische Ruhe auf der Insel

Seit dem Mordversuch liegt der 60-Jährige im Koma und befindet sich laut Behörden „zwischen Leben und Tod“. Dafür machen die Demonstrierenden die französischen Strafvollzugsbehörden mitverantwortlich. Regelmäßig waren Colonnas Gesuche, vom Festland in eine Haftanstalt auf der Insel verlegt zu werden, abgelehnt worden.

Colonna, der seine Beteiligung am Mord von 1998 geleugnet hatte, aber nach vierjähriger Flucht verhaftet und 2007 als Todesschütze verurteilt worden war, wird wegen Fluchtgefahr und „Gefährlichkeit“ speziell überwacht. Dass ein gewalttätiger Mithäftling unbeobachtet mit ihm in Streit geraten konnte, wirft Fragen auf, die nun in einer gerichtlichen Untersuchung geklärt werden sollen. Die Anwälte der Familie Colonna haben Klage eingereicht.

Der Ausbruch der Gewalt hat die Regierung in Paris überrascht. Seit dem Sieg einer Allianz gemäßigter Autonomiebewegungen bei den regionalen Wahlen 2015, herrschte auf der Insel Ruhe – die sich nun als trügerisch erweist.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.