Korruptionsaffäre im Europaparlament: „Katargate“ an einem toten Punkt
Der Ermittlungsrichter zur Korruptionsaffäre im Europaparlament hat die Causa abgegeben. Nun ist unklar, ob der Skandal aufgeklärt werden kann.
Brüssel taz | Die Ermittlungen zur Korruptionsaffäre im Europaparlament („Katargate“) haben einen schweren Rückschlag erlitten. Der leitende belgische Ermittlungsrichter Michel Claise hat den Fall abgegeben, nachdem ihm der Anwalt eines Verdächtigen einen Interessenkonflikt vorgeworfen hat. Nun ist unklar, ob der Skandal vollständig aufgeklärt werden kann. Auch die Aufarbeitung im EU-Parlament stockt.
Claise reagierte mit seinem überraschenden Schritt auf Hinweise, wonach sein Sohn Nicolas seit 2018 Geschäfte mit dem Sohn einer Verdächtigen, der belgischen Europa-abgeordneten Marie Arena, betreibt. Sie sollen gemeinsam eine Firma gegründet haben, die legale Cannabis-Produkte verkauft. Dies war dem Anwalt eines weiteren Verdächtigen, Marc Tarabella, aufgefallen.
Tarabella hatte daraufhin gefordert, Claise die Ermittlungen zu entziehen. Dieser reagierte prompt. „Kürzlich sind neue Elemente aufgetaucht“, erklärte der auf Finanzaffären spezialisierte belgische Top-Jurist nach Angaben der belgischen Tageszeitung Le Soir. Die Hinweise könnten „gewisse Fragen“ zur Unabhängigkeit der Ermittlungen aufwerfen und seinem Familienleben schaden. Als „Vorsichtsmaßnahme“ habe er den Fall daher abgegeben.
Katar- und Marokkogate – noch ohne Anklage
Damit sind die Ermittlungen zum „Katargate“ an einem toten Punkt angelangt. Bei einer Durchsuchung im Appartement der damaligen Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Eva Kaili, waren im Dezember 2022 Koffer voller Geld gefunden worden. Das Emirat Katar, womöglich auch Marokko, sollen versucht haben, EU-Abgeordnete zu bestechen. Zuletzt waren Kaili und andere Verdächtige aus der Haft entlassen worden. Anklage wurde noch nicht erhoben.
Kaili behauptet seit ihrer Haftentlassung, sie sei Opfer eines Komplotts geworden. Auch Tarabella beteuert seine Unschuld. Beide verfügen noch über ihr Abgeordnetenmandat und haben angekündigt, ihre Arbeit im EU-Parlament wieder aufzunehmen. Derweil ist die Aufarbeitung des Skandals im Parlament ins Stocken geraten. Von den angekündigten 14 Reformen ist bisher nur eine einzige umgesetzt worden.
Parlamentspräsidentin Roberta Metsola hatte nach der Aufdeckung des Skandals eine rigorose Aufarbeitung versprochen. Es gehe um einen „Angriff auf die europäische Demokratie“, sagte sie. Doch zuletzt hatten vor allem konservative Abgeordnete die versprochenen Reformen ausgebremst. Ein Jahr vor der Europawahl im Juni 2024 wird das „Katargate“ zur schweren Hypothek – für die belgische Justiz, aber auch für die europäische Politik.