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Korruptionsaffäre „Katargate“Ein Saubermann für das EU-Parlament

Marc Angel soll als neuer Vizepräsident im EU-Parlament aufräumen. Der Hauptverdächtige Panzeri will in der Korruptionsaffäre auspacken.

Soll es für die Sozialdemokraten im EU-Parlament richten: Marc Angel nach seiner Wahl in Straßburg Foto: Jean-Francois Badias/ap

Brüssel taz | Das Europaparlament hat einen neuen Vizepräsidenten, der die Korruptionsaffäre um Katar und Marokko vergessen machen soll. Die Abgeordneten wählten den Luxemburger Sozialdemokraten Marc Angel zum Nachfolger der griechische Sozialistin Eva Kaili, die wegen Korruptionsverdachts in Belgien in Haft sitzt.

Angel setzte sich am Mittwoch in Straßburg im zweiten Wahlgang mit 307 Stimmen durch. Im ersten Wahlgang hatte er die notwendige absolute Mehrheit verfehlt. Für Aufregung sorgte die italienische Gegenkandidatin Annalisa Tardino von der rechtsnationalen ID-Fraktion. Mit 185 Stimmen bekam sie mehr, als die ID Mitglieder zählt.

Die Grünen kritisierten das Prozedere. Die Wahl von Angel sei vorab ausgekungelt worden, sagte der Sprecher der deutschen Grünen, Rasmus Andresen. Das Parlament habe die Chance auf echten Wandel verpasst: „Darüber hinaus sind wir von den vielen Stimmen geschockt, die die rechtsradikale Kandidatin auf sich vereinen konnte.“

Für die Sozialdemokraten ist die Wahl dagegen eine Genugtuung. Seit Beginn der Korruptionsaffäre im Dezember stehen sie unter Dauerverdacht, da fast alle Beschuldigten aus dem sozialdemokratischen Lager kommen. Angel hat dagegen das Image eines Saubermanns. Er will nun gründlich aufräumen.

Wende bei Ermittlungen

Das hat auch die konservative Parlamentspräsidentin Roberta Metsola versprochen. Sie will einen ihrer Stellvertreter mit Korruptionsbekämpfung betrauen – ihre Wahl könnte auf Angel fallen. Zudem will sie die Transparenz- und Lobbyregeln verschärfen. Sie sollen künftig auch für Drittländer gelten.

Wenn Panzeri Namen nennt, könnten weitere EU-Politiker in Bedrängnis geraten

Die großen Fraktionen haben sich bereits für Metsolas Reformpläne ausgesprochen. Allerdings wird es vorläufig keinen Ermittlungsausschuss zum „Katargate“ geben. Auch eine Verkleinerung des Parlamentspräsidiums ist nicht vorgesehen. Metsola behält wie bisher 14 Stellvertreter und Stellvertreterinnen, darunter drei Deutsche.

Unterdessen zeichnet sich bei den Ermittlungen der belgischen Justiz eine überraschende Wende ab. Der Hauptverdächtige, der Italiener Pier Antonio Panzeri, will von einer Kronzeugenregelung Gebrauch machen und auspacken. Das berichten belgische Medien. Im Gegenzug winke ihm eine milde Strafe von maximal einem Jahr Haft.

Panzeris Lobbyorganisation Fight Impunity soll eine zentrale Rolle gespielt haben. Nach Angaben der belgischen Tageszeitung Le Soir sammelte und verteilte sie Schmiergeld, um so Einfluss auf Entscheidungen des Parlaments und anderer EU-Institutionen zu nehmen. Bei Panzeri waren 600.000 Euro in bar beschlagnahmt worden.

Nennt Panzeri weitere Namen?

Wenn der Italiener wie versprochen Namen nennt, könnten weitere Europaabgeordnete und EU-Politiker in Bedrängnis geraten. Neben Kaili konzentrieren sich die Ermittlungen derzeit auf den belgischen Abgeordneten Marc Tarabella und den Italiener Andrea Cozzolino. Das Europaparlament will ihre Immunität aufheben.

Tarabella hat eingeräumt, dass er sich 2020 von Katar einladen ließ, ohne dies dem EU-Parlament zu melden. Nach Darstellung von Le Soir soll er bis zu 140.000 Euro in bar von Panzeri entgegengenommen haben. Als Mittelsmann habe Francesco ­Giorgi gedient, der Lebensgefährte der nun abgesetzten EU-Vizepräsidentin Kaili.

Wie es für Kaili weitergeht, ist noch unklar. Sie erscheint voraussichtlich am Donnerstag in Brüssel vor der belgischen Justiz. Diese entscheidet darüber, ob die 44-Jährige in Untersuchungshaft bleibt. Einige Abgeordnete wollen auch ihre Rentenansprüche streichen.

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