Korpsgeist bei der Polizei: Warum die Krähen sich die Augen nicht gegenseitig aushacken
Loyalität, Hierarchie, Strafe. Eine neue Studie zeigt, warum Polizist:innen ihre Kolleg:innen bei Fehlverhalten so selten melden.

Die Polizei steht unter Druck. In den letzten Jahren sind immer häufiger Fälle rassistischer und menschenfeindlicher Äußerungen öffentlich geworden. Manche dieser Fälle flogen nur durch Hinweise von Polizeikolleg:innen auf – wie zum Beispiel rechtsextreme Inhalte in internen Chatgruppen.
Eine Studie der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat nun erstmals wissenschaftlich untersucht, vor welchen Herausforderungen Whistleblower:innen innerhalb der Polizei stehen und welches Fehlverhalten am häufigsten angezeigt wird. Dafür wurden ausführliche Leitfadeninterviews mit 19 anonymisierten Beamt:innen aus Berlin und Schleswig-Holstein geführt.
Dass Polizist:innen Fehlverhalten von Polizist:innen melden, ist noch immer selten. 2023 trat das Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft, das hinweisgebenden Personen – Whistleblower:innen – einen geschützten Weg bieten soll, um Verstöße zu melden.
Das Gesetz verpflichtet Unternehmen und Behörden, einschließlich der Polizei, sowohl interne als auch externe Meldestellen einzurichten. Doch vor allem polizeiinterne Meldestellen stehen öffentlich noch immer in der Kritik. Das Vertrauen, dass Polizist:innen ernsthaft gegen sich selbst ermitteln, scheint gering.
Meldung machen gleich „Verrat“
Die Vorwürfe gegenüber Polizist:innen sind umfangreich. Die Befragten berichteten von sexistischen und rassistischen Äußerungen sowie sexueller Belästigung – sowohl von Bürger:innen als auch Kolleg:innen. Weitere Meldungen gab es über Machtmissbrauch und körperliche Bestrafungen innerhalb von Einheiten, Volksverhetzung und unverhältnismäßiger Gewaltanwendung bei Demonstrationen oder Personenkontrollen.
Eine Polizei, die Fehlverhalten konsequent aufarbeitet, sei essenziell für eine funktionierende Demokratie und den Schutz der Grundrechte, sagt Laura Kuttler, Juristin und Projektkoordinatorin bei der GFF. Gäbe es diese Fehlerkultur nicht, „wird die Polizei zur Gefahr für eben die Grundrechte, die sie schützen sollte.“
Laut Studie melden Polizist:innen Verstöße nur selten, weil sie die Unabhängigkeit der Meldestellen für unzureichend halten.
Dazu komme auch die Angst vor sozialer Ausgrenzung durch Kolleg:innen: „Es gibt auch immer noch Führungskräfte, die das auch deutlich so sagen. ‚Wer sich an so eine Ansprechstelle wendet, ist für mich ein Verräter‘“, berichtet ein:e befragte Polizist:in. Eine solche Stigmatisierung durch den bestehenden Korpsgeist sei eines der Haupthemmnisse, Verstöße anzuzeigen.
Große Wissenslücken bei der Polizei
Auch würden viele Polizist:innen durch die Angst vor einer schlechten Beurteilung durch Vorgesetzte gehemmt, sich zu äußern. Diese reagierten, so Befragte, oft mit einer „besonderen Härte“ auf bekannt gewordene Missstände, um negative öffentliche Aufmerksamkeit zu vermeiden.
Oft, so die GFF-Studie, wünschen sich Whistleblower:innen eine Verhaltensänderung der Kolleg:innen, nicht jedoch eine Strafe. Das Anzeigen von Kolleg:innen falle ihnen wegen eines stark ausgeprägtes Denkens in den Kategorien Täter:innen und Opfer jedoch schwer.
Neben mangelndem Vertrauen gegenüber Meldestellen seien viele Polizist:innen auch schlichtweg nicht über ihre Möglichkeiten informiert, Missstände anzuzeigen. In manchen Fällen seien die Stellen oder Ansprechpersonen den Beamt:innen einfach nicht bekannt.
Die strenge hierarchische Organisation der Polizei stehe einer funktionierenden Fehlerkultur im Weg, so die Schlussfolgerung der Studie. Die Behörde müsse daher demokratisiert werden. Die bestehenden Meldestrukturen seien noch unzureichend. Fehlverhalten öffentlich zu machen, sei aber ein erster notwendiger Schritt für Veränderung.
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