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Kopftuchverbot am ArbeitsplatzFreiheit ist anders

Eiken Bruhn
Kommentar von Eiken Bruhn

Anstatt darüber zu streiten, wer was wo tragen darf, sollten wir uns vor allem auf Chancengleichheit konzentrieren.

Freiheit sollte für alle gleich gelten Foto: Imago

W ieder einmal hat es ein Urteil zum Kopftuch gegeben. Wieder einmal wird die Rechtsauffassung bestätigt, dass man die Religionsfreiheit einschränken darf – man muss es nur gut begründen können. Die entscheidende Frage ist weniger, was das x-te Gericht zu diesem Kleidungsstück geurteilt hat. Sondern: Wie lange noch müssen Gerichte zu dem Thema angerufen werden?! Anders gesagt:

Können jetzt bitte alle einfach mal damit klarkommen, dass sich manche Menschen ein Silberkreuzchen um den Hals hängen, andere Schläfenlocken favorisieren oder eben die Haare bedecken und manche auch den ganzen Körper, weil sie so ihre Religionszugehörigkeit ausdrücken wollen? Mir muss das nicht gefallen. Ich kann es knalledoof finden, rückständig, sexistisch oder modisch unterbelichtet.

Darüber darf ich auch diskutieren, sogar mit denen, die das Kopftuch oder die Schläfenlocken tragen – wenn sie dazu Lust haben. Diese Freiheit habe ich in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Ich darf sie mir, wenn ich will, auch auf das T-Shirt ­schreiben oder gleich auf den nackten Busen: „Allah liebt mich – auch ohne Kopftuch.“ Und Alice Schwarzer darf immer wieder in ihrer Emma schreiben, wie furchtbar sie das Kopftuch findet. Bitte schön, wenn es für sie keine wichtigeren Themen gibt.

Diese Freiheit sollte aber auch für alle gelten, die das ganz anders sehen und ihr Kopftuch auch bei der Arbeit tragen wollen. Immerhin gibt es zarte Hinweise darauf, dass die Begeisterung abnimmt, sich an Kopftuchdebatten zu beteiligen. So hatten im Jahr 2015 vier von fünf Ber­li­ne­r*in­nen unter 29 Jahren in einer von der Berliner Zeitung in Auftrag gegebenen Umfrage gesagt, sie hätten kein Problem mit Kopftuchträgerinnen im Staatsdienst. Je älter die Befragten, desto intoleranter, so ein weiteres Ergebnis der Umfrage.

Und das digitale Wörterbuch der deutschen Sprache verzeichnet seit 2016 immer weniger Zeitungsartikel, in denen das Wort „Kopftuch“ auftaucht, als in den Vorjahren. Möge diese Kurve weiter abflachen. Lasst uns lieber über Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit streiten.

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Eiken Bruhn
Redakteurin
Seit 2003 bei der taz als Redakteurin. Themenschwerpunkte: Soziales, Gender, Gesundheit. M.A. Kulturwissenschaft (Univ. Bremen), MSc Women's Studies (Univ. of Bristol); Alumna Heinrich-Böll-Stiftung; Ausbildung an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin; Lehrbeauftragte an der Univ. Bremen; Systemische Beraterin.
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11 Kommentare

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  • Es ist mir extrem suspekt wie einige Laschet verurteilen, weil er mit Nathanael Liminski zusammenarbeitet der Deutschland ,,rekatholisieren" will; aber dann gleichzeitig kein Problem mit religiösen Symbole im Staatsdienst hätten.

    Gerade in einer pluralen Gesellschaft ist ein säkularer, neutraler Staat die wichtigste Voraussetzungen. Wohin Klientelismus führt, kann man am politischen System des Libanon.

    Darüber hinaus ist das Urteil sehr differenziert und muss jetzt nur noch von unseren Gerichten auch umgesetzt werden.

  • Hexenjagd

    Dieses Urteil ist ein Skandal und zeigt ganz offen den vorhandenen strukturellen Rassismus und Frauenfeindlichkeit in unserer so freiheitlichen Gesellschaft.



    In Deutschland leben viele Millionen Menschen, denen man damit das Recht nicht, sich religiös und kulturell zu entfalten.



    Das darf man sich nicht gefallen lassen!

  • Das Kopftuch ist nur ein Stück Stoff, und als solcher weltanschaulich- und wertneutral!

    Die Kritik des Kopftuches fällt auf die Kritiker zurück: Sie sind es, die ein Stück Stoff zum Fetisch machen, nicht die Muslimin, die sich - nur zu oft mit guten Gründen - dem objektivierenden Männerblick selbstbewußt verweigert.

    In dieser Verweigerung liegt der Hauptgrund für die v.a. männliche Kritik am Kopftuch.

    Diese Kritik gibt sich liberal und im Interesse der Frauen sprechend - in Wahrheit ist es jedoch genau umgekehrt: diese cis-heteronormativen (und meist auch islamophoben!) Männer sind zutiefst gekränkt und in ihrem Machtgebaren provoziert - durch die kopftuchtragende Frau, die signalisiert: Mit mir nicht!

    Wenn sog. 'Feministinnen' á la Emma das Kopftuch kritisieren, so adoptieren sie den männlichen Blick - und verraten die Interessen der Frauen, verraten den Feminismus.

  • Der Kommentar wurde entfernt.

    Die Moderation

  • Das Thema Kopftuch finde ich ebenfall komplett überbewertet.

    Anders sieht es beim Thema Fasten aus, wenn ich mir die Leute und auch die Leistung anschaue, dann merkt man eben, dass die einfach platt sind. Ich faste auch vor Tischa BeAv und zu Jom Kippur und je nach Lust und Laune, manchmal auch weil mir ein Blick in den Spiegel das rät, vor Pessach, ich verstehe auch völlig warum man da platt ist, aber ich nehme Urlaub, wenn es nicht anders geht.

    Unfair finde ich es dann immer, wenn ich mehr Arbeit an andere Kollegen delegieren muss, da kollidiert für mich die Arbeitspflicht mit der Fastenpflicht und es ist teilweise in Unternehmen selbst sehr unterschiedlich, oft gar nicht geregelt.

    Freunde von mir arbeiten im Handwerk, Dachdecker, die sagen, sie lassen die betroffenen Leute nicht aufs Dach, wenn man ihnen ansieht das sie vom Fasten zu müde sind, weil es einfach unverantwortlich wäre.

    Hier wäre meiner Meinung nach eine Regelung viel relevanter, als bei der Frage, was die Leute anziehen.

  • So einfach ist es dann auch wieder nicht, schließlich geht „Freiheit“ nicht nur in eine Richtung. Was ist mit der Freiheit z.B. dieser Kita, die konzeptuell neutral ist und was ist mit der Freiheit der Eltern, die ihre Kinder in eine neutrale Kita schicken möchten? Ist deren Freiheit zweiter Klasse vor vor der Freiheit des sichtbaren Tragens religiöser Symbole? Ich denke nicht und deswegen ist ein Kompromiss notwendig. Mit dieser Gerichtsentscheidung ist das so einigermaßen gegeben.

  • "andere Schläfenlocken favorisieren oder eben die Haare bedecken und manche auch den ganzen Körper, weil sie so ihre Religionszugehörigkeit ausdrücken wollen?"

    Weil man ja in diesem schönen Land jeden Tag hunderten von Leuten mit Schläfenlocken begegnet.

    Vor allem in Neukölln.

    • @Jim Hawkins:

      In Neukölln jetzt nicht unbedingt, aber wenn Sie die Leute begeistern, rate ich Ihnen nach Wilmersdorf zu gehen.

      Auch wenn ich diese Faszination nicht ganz verstehe, ich halte die in der Regel für ziemlich anstrengend...

  • 0G
    02854 (Profil gelöscht)

    Menschen sind Jahrhunderte im Namen von allenmöglichen Religionen drangsaliert und unterdrückt worden, bis heute im Jahr 2021. Die bürgerlichen Freiheiten in EUropa bestehen gerade mal 100-150 Jahre ggü. 2000 Jahre religöser Intoleranz.

    Genauso wie man Verständnis von den Atheisten erwartet, könnte man auch Verständnis von Gläubigen erwarten das Religionsfreiheit keine absolute Freiheit ist!

    Aber gerade bei Gläubigen ist es oft mit der Toleranz ggü. anderen nicht so weit her. Bürgerliche Freiheiten sind nun mal kein Selbstverständnis.

    Von daher ist das ein gutes Urteil und betrifft genauso Juden, Katholiken oder die Spaghetti Kirche.

    • @02854 (Profil gelöscht):

      Yep - am besten gefällt mir "Religionsfreiheit". Für mich wäre das eine Gesellschaft frei von Religionen - und viele Streitigkeiten lösten sich in Luft auf - obwohl? Der Mensch findet dann andere Gründe um sich zu bekämpfen........

  • Chancengleichheit ist ein Begriff mit neoliberalem Framing.