Konzertempfehlungen für Berlin: Müßiggang diskursiv aufgeladen
Christiane Rösinger präsentiert Songs über die Müdigkeit, das Splitterorchester lädt ins Silent Green, und mit dem Saxofonisten Daniel Glatzel wird es experimentell.
W o wir uns auf den kürzesten Tag – beziehungsweise die längste Nacht – des Jahres zubewegen, wird es Zeit für Lebenstipps der geschätzten Alltagsphilosophin Christiane Rösinger. Anders als bei ihren letzten Shows im Hebbel am Ufer, die sich klassischen Polit-Themen wie Gentrifizierung oder Klassenverhältnissen widmeten, geht es diesmal ums „Leben im Liegen“. Schließlich hat die Musikerin über die letzten dreieinhalb Jahrzehnte reichlich Songs dazu geschrieben. Die werden im neuen Gewand und mit einem generationsübergreifenden Ensemble von „Bettgästen“ präsentiert.
Wer sich selbst in dieser Jahreszeit, in der viele Körper nach Winterschlaf schreien, schwertut mit dem Runterfahren, dem hilft vielleicht, dass sich auch Müßiggang diskursiv aufladen lässt. Etwa als „Innehalten und Nicht-Funktionieren“. Oder, um aus der Ankündigung zu zitieren: Ob wir uns die „Müdigkeit des gegenwärtigen Moments vielleicht doch noch gemeinsam widerständig zu eigen machen könnten“? Es gibt noch wenige Karten im Vorverkauf. Doch das HAU ist groß, aktuell röchelt und schnieft sowieso jede:r dritte- und bleibt am besten zuhause liegen. Insofern bietet die Abendkasse sicher einigen eine zweite Chance (HAU 1, bis 13.12., 19.30 Uhr).
Am Freitag lädt das Splitterorchester, hervorgegangen aus der Berliner Echtzeitmusikszene, ins Silent Green und zugleich zur letzten Station ihrer Tour durch die Stadt. Den raumbezogenen Ansatz hatte sich das Ensemble zum 15. Bestehen geschenkt – weil den Musiker:innen immer stärker bewusst wurde, wie zentral die Orte für das sind, was bei ihren improvisatorischen Auftritten entsteht. In der Kuppelhalle waren sie übrigens 2019 schon einmal, was ziemlich faszinierend war (Silent Green, 12.12., 20 Uhr).
Ähnlich experimentierfreudig ist das Andromeda Mega Express Orchestra unter Leitung von Daniel Glatzel – wenn auch weniger improvisatorisch unterwegs. Glatzel ist nicht nur Saxofonist, sondern komponiert zudem die Stücke zwischen Jazz, Neuer Musik, Afro-Funk, Electronica und Prog-Rock selbst. Für ihre besonderen Auftritte wurde die Big Band 2025 mit dem Deutschen Jazzpreis ausgezeichnet.
Nächstes Jahr werden sie 20, was sie mit einem ihrer eher seltenen Releases feiern wollen. Das Konzert dient quasi das Warm-up. Zugleich wird es ein Tribute-Abend für den im September verstorbenen brasilianischen Avantgardisten Hermeto Pascaol, mit sie zusammenarbeiteten und dessen Kompositionen sie immer wieder interpretieren (House of Music, 14.12., 20 Uhr).
Ebenfalls post-genre darf man wohl die junge Multi-Instrumentalistin Emma-Jean Thackray nennen – auch wenn sie ihre Wurzeln im Jazz der funkigen Spielart hat, wie er in London immer noch boomt. Dieses Jahr erschien ihr zweites Album „Weirdo“ – womit sich die mit ADHS und Autismus diagnostizierte Musikerin den Begriff zurückholen will, mit dem sie in Jugendjahren gemobbt wurde (Privatclub, 18. 12., 20 Uhr).
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