piwik no script img

Konsequenzen aus NRW-PolizeiskandalEin strukturelles Problem?

Bis heute verweigern die Innenminister eine Studie zu Extremismus in der Polizei. Die NRW-Affäre aber verleiht der Forderung Nachdruck.

Will jetzt aufklären: NRW-Innenminister Herbert Reul Foto: Rolf Vennenberg/dpa

Düsseldorf/Berlin taz | Innenminister Herbert Reul (CDU) sprach am Donnerstag im Landtag Nordrhein-Westfalen von einer „Dimension und Abscheulichkeit, die ich nicht für möglich gehalten habe“. Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ließ seinen Sprecher von einer „Schande“ sprechen. Und BKA-Präsident Holger Münch räumte ein, es gehe um „Vorfälle, die das Vertrauen in die Polizei erheblich erschüttern“.

Die Frage ist: Was folgt daraus?

Die Rede ist vom NRW-Polizei­skandal. 29 PolizistInnen wurden suspendiert, weil sie Teil rechtsextremer Whatsapp-Chatgruppen waren, die teils seit 2012 bestanden. Die Betroffenen gehörten fast alle zum Polizeipräsidium Essen, eine Dienstgruppe in Mülheim wurde komplett freigestellt, inklusive Dienstgruppenführer. Am Donnerstag sprach Reul von einer weiteren suspendierten Beamtin, auch sie aus der Mülheimer Gruppe.

Bundesweit wird nun über Konsequenzen diskutiert. Und die Affäre könnte sich noch ausweiten. Denn bisher hatten die Ermittler nur das Telefon eines Beamten, welches die Ermittlungen ins Rollen brachten. Seit Mittwoch aber werten sie 43 Telefone, 18 SIM-Karten, 21 USB-Sticks, 20 Festplatten, 9 Tablets und 9 PCs aus. Gefunden wurden auch eine Deko-Waffe und geringe Mengen Betäubungsmittel.

Braucht es bundesweite Konsequenzen?

Reul installierte bereits einen Sonderbeauftragten für rechtsextreme Tendenzen in der Polizei, den bisherigen Verfassungsschutzvize Uwe Reichel-Offermann. Dieser soll nun ein Lagebild und Präventionsempfehlungen erarbeiten. Aber reicht das? Wie konnte es sein, dass über Jahre niemand in der Polizei die Chatgruppen meldete? Und braucht es nicht längst überregionale Maßnahmen?

Reul räumt ein, dass man nicht mehr von Einzelfällen sprechen könne. Auch Seehofers Sprecher sagte: „Wir reden nicht von Einzelpersonen.“ Denn bereits Ende 2018 wurden rechtsextreme Chatgruppen von hessischen PolizistInnen bekannt – nach Drohfaxen an die Anwältin Seda Başay-Yıldız. 38 Straf- und Disziplinarverfahren löste dies aus. Zuvor schon war ein rechtes Prepper-Netzwerk in Mecklenburg-Vorpommern aufgeflogen, das Feindeslisten erstellte und an dem sich Polizisten und Soldaten beteiligten. Im baden-württembergischen Lahr wurden sieben Polizeischüler suspendiert, die rechtsextreme Chats austauschten. Und in NRW wurde bereits im März ein Polizeimitarbeiter aus Hamm festgenommen, der Teil der Rechtsterrorgruppe „Gruppe S.“ sein soll.

Schon länger steht daher die Forderung nach einer unabhängigen bundesweiten Untersuchung rechtsextremer Einstellungen von PolizistInnen im Raum. Grüne, Linke und Teile der SPD fordern diese nun wieder ein. Auch Sebastian Fiedler, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamten, erklärte es für überfällig, „Wissenschaftler in die eigenen Reihen zu lassen“. Seehofer und andere Innenminister, auch Reul, aber blocken solch eine Studie bisher ab, ebenso eine zu Racial Profiling.

Verfassungsschutz kämpft mit Lagebild

Seehofer verwies zuletzt stattdessen auf ein Lagebild zu Extremismus in den Sicherheitsbehörden, welches das Bundesamt für Verfassungsschutz derzeit erarbeitet. Ende September soll dieses, nach wiederholten Verschiebungen, nun fertig sein. Die Erstellung zeigte Schwierigkeiten: Welche Vorfälle werden überhaupt gelistet? Zählen schon Verdachtsfälle oder erst abgeschlossene Disziplinarverfahren?

Laut ARD waren die Zulieferungen aus den Ländern anfangs so dürftig, dass Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang Nachlieferungen forderte, auch von Verdachtsfällen. NRW soll dennoch nur 12 Fälle eingereicht haben. Ob die jetzigen 30 Polizei-Fälle nachgereicht werden, werde gerade mit dem Bundesamt abgestimmt, sagte eine Sprecherin Reuls.

Der Kriminologe Tobias Singelnstein hält dennoch eine unabhängige wissenschaftliche Studie zu rechtsextremen Einstellungen in der Polizei für „unbedingt notwendig“. „Wir brauchen endlich verlässliche Zahlen, wie groß das Problem ist. Der strukturelle Charakter des Problems wird bisher nicht anerkannt.“ Für Singelnstein reicht das Lagebild des Verfassungsschutzes nicht aus. „Der Verfassungsschutz bekommt bereits seit Jahren die Zahlen nicht zusammen und er ist auch nicht die geeignete Institution.“

„Wer schweigt, macht sich mitschuldig“

Linke und Grüne fordern zudem unabhängige Beschwerdestellen für Polizeivorfälle. Singelnstein plädiert auch für eine neue Polizeikultur. Wenn niemand die rechtsextremen Chats meldete, fehle offensichtlich eine klare interne Abgrenzung. „Es braucht eine Kultur, in der das demokratische Selbstverständnis auch tatsächlich gelebt wird.“ Auch Reul attestierte der Polizei am Donnerstag in Teilen ein „Haltungsproblem“: Aus Kameradschaftsgründen werde bei Verfehlungen geschwiegen. Aber: „Wer schweigt, macht sich mitschuldig.“

Tatsächlich gab es auch in Essen frühe Hinweise auf rechtes Gedankengut – auch wenn sich Polizeipräsident Frank Richter am Mittwoch überrascht und fassungslos gab. Laut des antifaschistischen Bündnisses „Essen stellt sich quer“ wurden seit Monaten linke Kundgebungen gegängelt, anders als rechte Aufmärsche. Zudem seien Beamte rassistisch auffällig geworden. Als das Bündnis diese benannte, gab es: eine Strafanzeige. „Dass es ein Problem innerhalb der Essener Polizeibehörde gibt, erscheint uns eklatant“, erklärte die Initiative.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • Ist die Parabel eine Parabel?



    Mir stellt sich die Frage wer und wie der Name für die Sonderkommission "Parabel" festgelegt wurde.



    Nimmt man an dass es, wie bei der Kurve zweiter Ordnung nur einen Brennpunkt gibt?



    Geht man davon aus dass sich die Anzahl der Straftaten, Verdächtigten, Beschuldigten exponentiell entwickelt?

    Die Aufklärung erwarte ich hoffnungsvoll.

  • 30 Polizeibeamte in Mülheim an der Ruhr geilen sich aktuell an Fantasien über das Vergasen und Erschiessen von Flüchtlingen und Minderheiten auf. Das hatten wir schon einmal vor 80 Jahren bei den berüchtigten Polizeibataillonen, die das dann hunderttausendfach in die Praxis umsetzten. Nur ein demokratischer Staat hält diese potentiellen Mörder noch davon ab, es ihren Vorbildern gleichzutun. Es muss nun schleunigst deren Vernetzung mit anderen Rechtsextremen und -terroristen aufgearbeitet werden. Welchen Strukturen haben sie zugearbeitet und wie groß ist dieses rechtsextreme Netzwerk in der deutschen Polizei. Wie ist die Verstrickung in NSU, NSU 2.0, Nordkreuz, KSK und Verfassungsschutz. Und ganz profan: Wie haben diese Figuren in der Region die Ermittlungen gegen Minderheiten zu deren Ungunsten gesteuert.

  • Einfach einmal ein wenig weiter "zurück" denken; bin Bj. '63 und durfte während meiner Ausbildung ins Archiv der Ludwigsburger "Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen"



    Aus meiner heutigen Sicht wurde seit mindestens 50-60 Jahren eine vernünftige Aufarbeitung über alle Bevölkerungsschichten hinweg, auch politisch gewollt, viel zu wenig getan. Das Ergebnis sieht man heute. Von der Großeltern- und Elterngeneration auf heutige übergegangenes Gedankengut - viel Spass beim neu überzeugen....

  • Erfüllt Herr Reul auf dem Foto in diesem Artikel den Straftatbestand der Verunglimpfung der Deutschlandfahne, oder sieht es nur so aus, als ob er sich über diese übergäbe?

    • @Streberin:

      Das war eine sehr kleine Version des Grundgesetztes. Dies hielt er mit der Empfehlung zur Lektüre für Verbeamtete ins Bild.

  • WER ALS INNENMINISTER...rechts an der wand steht - wie seehofer, reul, herrmann, pistorius - hat unendliche schwierigkeiten, rechts von ihm den extremismus wahr- oder gar aufzunehmen. sie sind selbst teil des problems und unfähig es zu lösen. denn ein serviler staatschutz tut sich unedlich schwer, einem rechtsextremen innenminister den rechtsextremismus zu erklären. wie war dass noch gleich mit der krähe...

    • @hanuman:

      Minister stehen in Deutschland relativ selten an der Wand.

      Natürlich stellt sich mir die Frage warum Seehofer kürzlich behauptet hat etwas im vollbesitz seiner geistigen Kräfte getan zu haben.



      Bei Herrmann wirkt schon das Lächeln auf mich nicht unbedingt vertrauenserweckend. Erinnern wir uns hier auch das Herrmann einen sicher geglaubten Listenplatz (1) hatte und Bundesinnenminister hätte werden können.

      Herrn Reul darf ich aber guten Gewissens ein gewisses Vertrauen entgegenbringen. Er verwendete die Formulierung "Strukturelles Problem", dafür musste sich Saskia Esken im Juni noch winden.

      Den Verdacht zu äussern dass es ein strukturelles Problem in den Reihen der Sicherheitskräfte geben könne ist für einen Unions Innenminister eine mutige Tat die meines Erachtens eine richtige und wichtige war und ist.



      Die Kritik mit der Überfälligkeit darf hier gespart werden.

  • 7G
    7363 (Profil gelöscht)

    Ob das BfV auch den rassistischen Mord



    an Oury Jaloh in seinem Lagebild erwähnen wird?

  • Nichts wird sich ändern durch Ideologen wie Seehofer und Konsorten! Das Problem ist, das die Gesellschaft von Sympathisanten der verschiedensten Ebenen dieser Ideologie durchsetzt ist, daher wird daran nicht so schnell sich etwas ändern. Die nächsten Opfer dieser Ideologie werden wir wieder entsetzt betrauern dürfen, und dabei wieder festgestellt haben, das sich nichts geändert hat, ausser die vollmundigen Lippenbekenntnisse von den herrschenden sympathisierenden Ideologen!

  • "Seehofer verwies zuletzt stattdessen auf ein Lagebild zu Extremismus in den Sicherheitsbehörden, welches das Bundesamt für Verfassungsschutz derzeit erarbeitet."



    Wenn damit gerechnet werden muss, dass es Nazis in "Sicherheitsbehörden" gibt, sollte diese Annahme/Befürchtung auch gegenüber dem Verfassungsschutz da sein. Angesichts dieser Annahme wäre es dann kurios, eine durchsetzte Behörde mit der Erstellung eines "Lagebild" zu beauftragen. Überspitzt: Nazis suchen nach Nazis. Zumal u.a. NSU2.0 und erhebliche Zweifel am Agieren des VS nahelegen. Aber gut, zu erwarten ist da nichts - besonders nicht von Seehofer.

    • @Uranus:

      Ergänzung zur Erweiterung der Perspektive: es hat kürzlich ja auch dokumentierte Vorfälle bei der Berliner Polizei gegeben. Siehe u.a.:



      www.rbb24.de/polit...tremismus-nrw.html

    • @Uranus:

      *NSU

  • > BKA-Präsident Holger Münch räumte ein, es gehe um „Vorfälle, die das Vertrauen in die Polizei erheblich erschüttern“.

    Herr Münch, mein Vertrauen in die Polizei ist seit den NSU-Morden erschüttert. Und zwar nachhaltig. Und es steht zu befürchten, dass ich nicht der einzige bin...

  • Es gibt ganz offenbar ein (mindestens) unbewusstes Verständnis für rechte Einstellungen. Anders kann ich mir nicht erklären, warum es nicht längst, seit Jahren, effektive und auch unabhängige Strukturen gibt, die solche Gefährder suchen, aufspüren, aus dem Dienst entfernen. Jeder und jede in der Polizei sollte doch wohl Angst haben müssen, als RechteR entlarvt zu werden.