Rechtsextreme Chatgruppe in Berlin: Beängstigend und befreiend zugleich
Je mehr von dem rechtsextremen Dreck bekannt wird, desto besser. Die Wahrheit ist zwar bitter, aber die Politik kann ihr nun nicht länger ausweichen.
J etzt hat also auch Berlin seine rechtsextreme Chatgruppe. Wie das ARD-Magazin Monitor am Donnerstag berichtet, schrieben sich 25 PolizistInnen einer Berliner Wache über drei Jahre lang Nachrichten mit teils krass rassistischer Hetze. Das ganze Feld rechtsextremer Klischees wurde offenbar bedient: der „große Bevölkerungsaustausch“ durch Flüchtlinge, ungebremster Hass auf Linke, primitivste Gewaltphantasien gegen „Ausländer“. Offen gesagt: Nach NRW, Hessen und all den andere Polizeiskandalen der letzten Zeit kann dies niemanden verwundern. Die „Einzelfälle“ sind inzwischen so zahlreich, dass man schier den Überblick verlieren kann.
Das ist auf der einen Seite zutiefst beängstigend: Der Alptraum, in dem sichtbar Andersdenkende und -aussehende schon immer lebten und in dem die Polizei nicht dein Freund ist sondern der (bewaffnete und mächtige) Feind, ist Wirklichkeit. Und zwar regelmäßig. Es gibt eben nicht nur einen Polizisten oder zwei, so dass man berechtigter Weise von Ausnahmen sprechen könnte, wie es Politik und Polizeiführungen und -gewerkschaften immer tun. Der Fehler steckt „im System“, das zeigt auch dieser Fall. Selbst wer nicht so denkt wie seine rechtsextremistischen KollegInnen, hält die Klappe. Nicht einmal der Chef der Truppe, der offenbar auch davon wusste, hat dem Treiben ein Ende gemacht.
Auf der anderen Seite sind solche Enthüllungen aber auch ermutigend: Es waren schließlich zwei Berliner PolizistInnen, denen die Sache so stank, dass sie die Chatprotokolle „geleakt“ und Monitor bereitwillig Auskunft geben über den rassistischen Alltag auf ihrer Wache gegeben haben. Es gibt sie also (immerhin), die demokratisch gesinnten Ordnungshüter – auch wenn sie aus Angst vor dem Korpsgeist ihrer KollegInnen anonym bleiben wollten.
Und auch wenn Polizeiskandale sonst meist nicht von internen Whistleblowern aufgedeckt werden sondern im Zuge von Ermittlungen: Es gibt Grund zur Hoffnung. Denn je mehr von dem Dreck ans Licht kommt, desto größer wird offenbar die Bereitschaft von Menschen darüber zu sprechen – seien sie Opfer von rassistischer Polizeigewalt oder eben Zeugen.
Jeder Skandal ermutigt Betroffene und Zeugen zu reden
So ist es jedenfalls in der allgemeinen Debatte über (Alltags-)Rassismus und Diskriminierung in der Gesellschaft: Die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema in den letzten Monaten ermutigt immer mehr BPoC (Black and People of Colour) von ihren Erfahrungen zu berichten und sich nicht mehr alles gefallen zu lassen. Und sie ermutigt Angehörige der weißen Mehrheitsgesellschaft sich mit den eigenen Rassismen und Vorurteilen kritisch auseinander zu setzen.
Und mit jeder neuen Enthüllung über rassistische Strukturen in der Polizei rückt unweigerlich der Augenblick näher, wo auch Politik und Polizeiführungen nicht mehr mit Ausflüchten kommen können. Die Wahrheit ist hässlich. Aber wir alle – auch die bürgerliche Mitte, die ihre Ordnungshüter bislang so sehr verteidigt – müssen ihr endlich ins Gesicht schauen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Amnesty-Bericht zum Gazakrieg
Die deutsche Mitschuld
Wirbel um Schwangerschaftsabbruch
Abtreiben ist Menschenrecht
Hilfslieferungen für den Gazastreifen
Kriminelle Geschäfte mit dem Hunger
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Batteriefabrik in Schleswig-Holstein
„Der Standort ist und bleibt gut“
Nach Recherchen zum Klaasohm-Fest
Ab jetzt Party ohne Prügel