Konflikt um Bergkarabach: Auf den Schwachen drauf
Seit Längerem stehen die Karten für Armenien im Konflikt um Bergkarabach schlecht. Auch die frühere Schutzmacht Russland ist anderweitig beschäftigt.
Bergkarabach (im Armenischen: Arzach) wird in Armenien als eines der historischen Siedlungsgebiete, als Wiege der Armenier, mythisch überhöht. Dabei war das Gebiet immer schon auch Teil der Konfliktzone zwischen Persern, Russen und dem Osmanischen Reich.
Die neueren Konflikte um die Region entstanden durch die Nationalitätenpolitik Stalins. Dieser wollte sich die Feindschaften der vielen Völker im Kaukasus untereinander für die Stabilität der Sowjetunion zunutze machen. Er verfügte deshalb, dass das überwiegend von Armeniern bewohnte Karabach nicht Teil der Sowjetrepublik Armenien wurde, sondern sich als autonome Region innerhalb der Sowjetrepublik Aserbaidschan wiederfand.
Die damit verbundenen Probleme blieben in der Sowjetunion weitgehend unter dem Deckel, wurden aber bereits sichtbar, als unter Gorbatschow die Autorität der Zentrale zu bröckeln begann. Im Chaos der sich auflösenden Sowjetunion sagten sich die Armenier dann von Aserbaidschan los und wollten eine eigene Republik gründen, beziehungsweise ihren Anschluss an das Mutterland Armenien durchsetzen.
Anfang der 90er Jahre war Armenien noch im Vorteil
Damit begann ein jahrelanger Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Kontrolle von Bergkarabach, dem das taumelnde Russland unter Jelzin zunächst tatenlos zusah. Armenien war Anfang der 90er Jahre mit Unterstützung hochmotivierter Freiwilligenverbände aus der Diaspora militärisch im Vorteil und kämpfte nicht nur einen Korridor nach Bergkarabach frei, sondern besetzte anschließend auch alle aserbaidschanischen Provinzen rund um Karabach, bis Russland einen Waffenstillstand vermittelte.
Armenien besiedelte diese Gebiete nicht, sondern wollte sie als militärische Pufferzone zu Aserbaidschan vorhalten. Unterdessen tagte Jahrelang eine diplomatische Kontaktgruppe im Rahmen der OSZE. Weit kam diese nie, weil Russland als wichtigster Akteur jede politische Lösung blockierte. Moskau hatte in Armenien seinen letzten großen Militärstützpunkt im Kaukasus und war mit dem eingefrorenen Konflikt ganz zufrieden.
Doch nach und nach veränderte sich die Situation zu Ungunsten der Armenier. Nachdem 2009 eine diplomatische Initiative des damaligen türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu unter anderem daran scheiterte, dass Armenien sich weigerte, im Gegenzug für die Öffnung der Grenze zur Türkei einige der besetzten Gebiete an Aserbaidschan zurückzugeben, setzte Präsident Erdoğan voll auf die militärische Unterstützung Aserbaidschans. Zusätzlich nutzte Präsident Alijew die Öl- und Gaseinnahmen seines Landes für die Aufrüstung seiner Armee.
Armenien ist ohne russische Unterstützung
2020 startete dann Aserbaidschan seinen lang vorbereiteten Angriff zur Rückeroberung seiner Provinzen und Bergkarabachs. Mit Unterstützung der Türkei rückte die aserbaidschanische Armee auch im Kerngebiet von Karabach vor und eroberte rund die Hälfte des Territoriums, bis Putin den Vormarsch stoppen ließ, um seinen Einfluss im Südkaukasus zu behalten.
Der Angriff Russlands auf die Ukraine verschlechterte die Position Armeniens zusätzlich. Für Putin wurden die Beziehungen zur Türkei und Aserbaidschan wichtiger als die russische Stellung in Armenien.
Genau diese Schwäche nutzte Alijew möglicherweise nun, als er seine Truppen in den vergangenen zwei Tagen auch die restlichen Gebiete Bergkarabachs beschießen ließ. Die westlichen Staaten, die USA und die EU haben in dem gesamten Konflikt nie eine große Rolle gespielt. Auch in Zukunft wird Armenien wohl weitgehend auf sich allein gestellt sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles