Kommunaldiplomatie jetzt: Städte führen keine Kriege
Fast jede vierte russisch-deutsche Städtepartnerschaft wurde auf Eis gelegt, des Krieges wegen. Das ist Putin wurscht und hilft der Ukraine nicht.
A ller Dinge Vater? Na ja, wie man’s nimmt, aber es ist nicht falsch, zu schreiben, dass die Idee der Städtepartnerschaft im Zweiten Weltkrieg ihren entscheidenden Schub bekommen hat. Und zwar in dem Moment, als sie als Bewegung von unten für den Frieden und als Zeichen der Solidarität erscheinen konnte. Einer Bewegung, die sich – unterhalb der staatlichen Ebene – um die Konfrontation politischer Blöcke nicht schert. Dadurch war sie von vornherein wahrnehmbar ein pazifizierender Appell. Schlägt also jetzt die Stunde der kommunalen Außenpolitik?
Städtepartnerschaften gibt es weltweit etwa 15.000, die meisten in Europa und Nordamerika. Gerühmt werden sie als Medien des zivilen Kontakts von – Achtung, Propagandagefahr! – „ganz gewöhnlichen Menschen“ über Grenzen und Fronten hinweg. Dietmar Woesler vom Bonner Institut für europäische Partnerschaften nennt sie sogar „die größte Friedensbewegung der Welt“.
Sie versprechen einen Austausch mit Menschen, mit Angehörigen – nicht Vertretern – möglichst aller Konfliktparteien, vielleicht sogar an einem neutralen Ort. Treffen sich Sumy und Tjumen im schnuckeligen Kaff Celle: Fachwerk, Heide, Bienen. Frieden.
Keine Ahnung, was im Mittelalter darunter verstanden wurde, als die Bischofssitze Paderborn und Le Mans sich verbrüderten. Das moderne Konzept der Partner-, Sister- oder Twin-Cities war Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA und Europa aufgekommen – schon 1931 hat sich Toledo (Ohio) mit Toledo (Kastilien) verpartnert – und ist mittlerweile durch diese Idee regelrecht geprägt.
Auch im Kalten Krieg im Einsatz
Aber die prägende ideologische Ladung als Friedensinstrument bekommt es im von den Nazis 1940 zerbombten Coventry. Zwei Jahre später, während der Schlacht ums damalige Stalingrad, hatte eine Gruppe von fast 900 Frauen, unterstützt von Coventrys Bürgermeisterin Emily Smith, einen Spendenaufruf gestartet, um die sowjetischen Verteidiger mit Medizintechnik auszustatten: mobilen Röntgengeräten.
Von den Frauen Stalingrads bekamen die Britinnen als Dank ein Fotoalbum, signiert. Noch im Krieg, 1944, sollen die offiziellen Vertreter*innen der Städte ein Freundschaftsabkommen unterzeichnet haben, heißt es. Mitten im Koreakrieg kam dann die Vizebürgermeisterin von Stalingrad, Tatjana Murashkina, nach England, um es zu bekräftigen. Es hält noch immer – auch wenn die russische Partnerin nun Wolgograd heißt.
Als The Guardian vor ein paar Jahren diese Geschichte noch einmal erzählte, hat er sie zutreffend „a tale“ genannt. Märchen blenden ja wirklich stets die Interessenlagen aus, die sich in ihrer Handlung kreuzen. Nach 1945 entstehen massenhaft Städtepartnerschaften, gerade auch französisch- und britisch-deutsche. Aber das geschieht eben nicht allein auf Betreiben „der Basis, um die durch zwei Weltkriege in Europa aufgerissenen Wunden zu heilen“, wie es im „Handwörterbuch des politischen Systems“ der Bundeszentrale für politische Bildung heißt.
Sie werden auch massiv top down gefördert, in Deutschland vom Auswärtigen Amt – als friedenssichernde Maßnahme. Bloß kann das halt auch bedeuten, dass sie Waffen sind im Kalten Krieg: Ziel sei es, mithilfe zwischenmenschlicher Kontakte „jeden möglichen Spalt im Eisernen Vorhang zu erweitern“, hatte US-Präsident Dwight D. Eisenhower am 11. September 1946 die Idee des einschlägigen People-to-People-Programms skizziert. Um dann die mit freier Welt angefütterten Ärzte, Professoren, Studenten und Führungskräfte „in unseren Kreis zu holen“.
Auch Zeithistoriker Stefan Goebel erinnert mit Blick auf das Stalingrad-Coventry-Modell daran, dass die „ordinary people“, die in den 1950er-Jahren an blockübergreifendem Austausch teilnahmen, „carefully selected party cadres or loyal citizens“ gewesen seien, handverlesene Parteikader auf sowjetischer Seite, treue Bürger auf der anderen.
Ob, in welchem Umfang und wie genau das funktioniert hat, ist kaum erforscht: Zwischenmenschliche Beziehungen, kulturelle Transfers, vielleicht auch Verständigungen auf Soft-Governance-Maßnahmen zeitigen bestimmt Wirkungen. Wenn Menschen auf Menschen treffen, „von Angesicht zu Angesicht“, wie Philosoph Emmanuel Lévinas so was nennt, stellt das diejenige emotionale Nähe her, die in Krisen belastbare Solidarität erzeugt – siehe Celle. Man fühlt sich nicht nur stärker betroffen. Man ist es auch.
Tschetschenien-Kriege weniger empörend
Aber wie zähl-, lenk- und beherrschbar mögen diese Effekte sein? Feststellen lässt sich vielleicht, dass sie nur dort eintreten, wo die mit der Partnerschaft verbundenen, von ihr ausgelösten Aktivitäten – Schüleraustausch, Brieffreundschaften, Sportturniere – als relevanter Faktor im gesellschaftlichen und kulturellen Leben wahrnehmbar sind. Vergesst die Metropolen! Lebendige Partnerschaften finden sich eher in Ober- und Unterzentren, maximal in kleineren Großstädten.
Greifbarer sind in Deutschland die Konjunkturen, denen Städtepartnerschaften unterworfen sind. Initiiert werden sie von politischen Ereignissen: Hamburg (SPD) und Sankt Petersburg, damals Leningrad (KPdSU), reagierten 1957 per symbolischem Schulterschluss auf Konrad Adenauers (CDU) Ankündigung, Atomraketen auf dem Gebiet der BRD zu stationieren. Élysée-Vertrag (1963), Willy Brandts Ostpolitik in den frühen 1970ern, Nicaragua-Solidarität (ab 1979) lösen auf kommunaler Ebene jeweils einen Verpartnerungsboom aus.
Aber danach fehlt diese Ebene fast völlig, sogar bei den seltenen Kündigungen: Mal entfreundet man sich, weil die Beziehung eigentlich schon lange eingeschlafen ist, mal, weil einer der Orte im Zuge einer Gebietsreform irgendwo eingemeindet wurde, und mal, weil dem Gemeinderat Leinsweiler (Pfalz) offenbar 2011 nach acht Jahren aufgefallen ist, dass Ungarisch verflixt schwierig ist.
Aber nur sehr wenige der doch hochpolitischen Sandinista-Partnerschaften wurden aufgrund der Machtergreifung Daniel Ortegas infrage gestellt. Und es gibt zum Beispiel keinerlei Anzeichen dafür, dass die Kriege von Boris Jelzin und später Wladimir Putin gegen Tschetschenien die Städtediplomat*innen in irgendeiner Form gekümmert hätte: Rund ein Drittel der russisch-deutschen Städtepartnerschaften wurde besiegelt, während die liefen. Kaum eine hat man deshalb lautstark infrage gestellt.
Dass dies nun vielfach geschieht – etwa jede vierte russisch-deutsche Städtepartnerschaft ist eingefroren – belegt höchstens die Inkonsistenz moralischer Standards und hilft der Ukraine wenig.
Vor allem aber weist es auf ein seltsames Verständnis der eigenen Rolle hin: Denn Städte sind in Fragen staatlicher Souveränität radikal inkompetent. Formal haben sie dazu nichts beizutragen: Städte führen keine Kriege (mehr). Sie können sie weder erklären, noch können sie sie beenden.
Gerade diese „Abwesenheit von Souveränität“ sei aber so etwas wie ihre Superkraft („special virtue“), wenn es ans Lösen globaler Probleme geht, hatte der Harvard-Politologe Benjamin Barber 2013 in seinem sehr euphorischen Buch „If Mayors Ruled the World“ festgestellt. Denn gerade „ihrr Mangel an formeller Macht eröffne ihnen Möglichkeiten des Netzwerkens“.
Der Politologe Barber sieht das als eine optimale Antwort auf globale Bedrohungen – durch multinationale Konzerne, durch Terror und ausdrücklich auch durch Krieg. Städte können, auch wenn sie sich zusammentun, keinen Frieden schließen. Aber sie vermögen ihn auf pragmatischer Ebene herzustellen: Das konnten in Deutschland alle lernen, die in den vergangenen 70 Jahren per Chorfahrt, Klassenreise oder Praktikumsbörse die transnationale Infrastruktur genutzt haben, die geschaffen wurde durch Städtepartnerschaften.
Im Krieg bleiben sie immerhin ein Versprechen darauf.
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