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Kommentar zu Neonazis in HeidenauEin ganz normaler Held

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Der Bürgermeister von Heidenau, Jürgen Opitz, zeigt klare Kante gegen Nazis. Wer wissen will, was Zivilcourage ist, muss ihm zuhören.

Heidenaus Bürgermeister Jürgen Opitz vor dem ehemaligen Praktiker-Baumarkt in seiner Stadt. Foto: dpa

J ürgen Opitz ist in der CDU und Bürgermeister der sächsischen Kleinstadt Heidenau. Am Wochenende standen über hundert Neonazis vor seinem Haus, sie skandierten „Volksverräter“. Opitz muss Angst gehabt haben, trotzdem lässt er sich nicht verbiegen. Wer wissen will, was Zivilcourage bedeutet, der muss ihm einfach zuhören.

Opitz sagt, Heidenau sei kein Nazi-Nest. Opitz sagt, Heidenau sei eine familienfreundliche Stadt. „Da beziehen wir ausdrücklich die Asylsuchenden, die hier leben, mit ein. Und auch die, die noch kommen.“ Opitz sagt, es gebe ja nur zwei Möglichkeiten: klein beigeben oder klare Kante zeigen.

Er hat sich für klare Kante entschieden. Vielleicht muss man kurz pathetisch werden: Jürgen Opitz ist ein Held, ein ganz normaler Held. Menschen wie er geben angesichts des Mobs nicht klein bei. Sie stehen dafür ein, dass Deutschland ein ziviles, hilfsbereites und weltoffenes Land bleibt. Sie haben keinen Personenschutz oder Mitarbeiterstab, ihre rechtsextremen Gegner wohnen direkt nebenan. Vor allem aber müssen sie bleiben, wenn der Tross der Politiker und Journalisten längst wieder weitergezogen ist.

Wie geht Deutschland mit Hilfesuchenden um? Diese Frage entscheidet sich im Kleinen. In den Nachbarschaften, in den Kirchengemeinden und in den Betrieben. Deshalb wirkt Heidenau im Moment wie ein Versuchslabor dieser Republik. Hier, vor einem ehemaligen Praktiker-Baumarkt in einem Gewerbegebiet, treffen sie alle aufeinander: der müde Mann aus Afghanistan, der ängstliche Normalbürger, der hasserfüllte Neonazi. Hier zeigt sich, ob der Staat Ernst macht mit den Sonntagsreden vom Einwanderungsland Deutschland.

Merkels Schweigen war auch eine Aussage

Opitz hat übrigens einen zukunftsweisenden Satz gesagt: Spätestens am Mittwoch hoffe er, die Kanzlerin in Heidenau begrüßen zu können. Das klingt lustig – ein Bürgermeister bestellt Merkel ein! –, aber Leute wie er werfen ein Schlaglicht auf das Zögern der Kanzlerin.

Seit Monaten ist klar, dass die Flüchtlinge ein europäisches Megathema sind, ebenfalls seit Monaten häufen sich Übergriffe in Deutschland. Merkel hat dazu bis gestern geschwiegen, das war auch eine Aussage.

Bürgermeister Opitz bietet der Kanzlerin jetzt die Chance, vor Ort und in Person für die Werte einzustehen, auf die sie sich hat vereidigen lassen.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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8 Kommentare

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  • 2G
    24636 (Profil gelöscht)

    Mich ärgert dieses ständige Begehren der Medien nach Personenkult und Symbolpolitiken. Als würde dieser Symboltourismus etwas ändern.

     

    Würden Merkel oder Gabriel in der Sache diagnostizieren, wir müssen angesichts der vorliegenden Gefahrensituation für Flüchtlinge unsere finanziellen Transfers und die Polizeipräsenz vor Ort aufstocken, wäre das Politik. Polittourismus ist aber keine Politik, sondern Hand in Hand mit den Medien die stetig erneuerte Vorherrschaft der Blödmaschinen gegenüber der Sachpolitik.

     

    Wenn wir in Berlin eine Regierung und ein Parlament aus Verantwortungspolitikern hätten, dann würden wir heute nicht vor brennenden Heimen erschrecken und müssten den Menschen nicht erklären, warum Flüchtlinge selbst vom Homo oeconomicus willkommen geheißen werden. Als Müllmann, Lagerarbeiter, Busfahrer, Callcenter-Agent, Putzangestellte vor allem und um die Reservearmee zu vergrößern, aus wir das Schmierfett fürs Getriebe des Systems herauspressen.

    • @24636 (Profil gelöscht):

      Ein anderer Grund dafür könnte sein, dass da halt nicht der Homo oeconomicus vor den Asylantenlagern steht, sprich der Arbeitgeber, der natürlich schon seit Jahrzehnten von solchen Gegebenheiten profitiert sondern der ehemalige Müllmann, Lagerarbeiter, Busfahrer, Callcenter-Agent, Putzangestellter und Berufsreservist.

      Aber lustig finde ich in dem Zusammenhang die Bild, die von einem Tag auf den anderen von absolutem Rassismus auf Jammer und Motzartikel umgeschwenkt ist.

    • @24636 (Profil gelöscht):

      vor allem dann wenn man jahrelang mit dem Thema Wahlkampf betrieben hat und 'Ausländer' immer als Erklärungsfabel herhalten mussten hat um die hausgemachten Fettnapfen zu deckeln.

      "Homemade Nazisoup made in Germany" (ok woanders wird das Rezept auch verwendet - hat aber nicht den original deutschen Vergangenheitsbeigeschmack)

  • Braucht es wirklich Helden, oder braucht es eigentlich nur eine realistische, geregelte Einwanderungspolitik und klare Kante gegen Rechtsextremisten?

    Die Signale, die vor allem Innenminister Thomas de Maizière in den vergangenen Monaten an den Nazimob ausgesendet hat, waren doch die: Wer uns hilft, "Fremde" aus "Deutschland" fernzuhalten, der handelt in "unserem" Sinne, dem werden wir auch helfen und der bleibt in jedem Fall straffrei und unbehelligt bei all seinen Schweinereien. Erbärmlicher geht's kaum noch. Der Mann hat sich bereits mehrfach gründlich disqualifiziert, mehr Probleme als Lösungen geschaffen und ist offensichtlich für ein Ministeramt völlig ungeeignet. Wie lange eigentlich noch?

  • Wo steckt eigentlich hier die Polizei und die Staatsanwaltschaft? Sind Bedrohung, Nötigung und was da sonst noch an Straftatbeständen anfällt keine verfolgungswürdigen Delikte mehr? Ganz zu schweigen vom Schutz der Bürger. Diese Behörden versagen hier komplett.

  • Moment mal. Gegen Nazis ist ja jeder, der sich seine politische Karriere nicht versauen will. Aber die größere Gefahr geht letztlich von der großen Masse "besorgter Bürger" aus, die letztlich den Radikalen den Rücken stärken > diese werden sich nämlich radikalisieren, wenn die politische Stimmung endgültig kippt. Und da machen sie doch alle den selben Fehler, nämlich so zu reden, als ob das Eine mit dem Anderen nix zu tun hätte.

  • Vielerorts werden Polizei und Justiz unfreiwillig oder auch mit Kalkül Helfershelfer der braunen Barbaren.

    Wenn das nicht sofort aufhört und Nazis aus dem Verkehr gezogen werden, ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch wieder Menschen brennen. Das ist sicher.

  • Es ist erschreckend, wie schwer es Menschen haben, die den Anstand bewahrt haben. Das ist noch ein Mann, der weiß, dass Fremden eher mit Salz und Brot als mit Steinen entgegen zu kommen ist.

     

    Lieder hat der von der CDU gestellte Innenminister des Landes davon abgesehen, mit allen Mitteln gegen die Rechten vorzugehen. Ich befürchte gar, dass die besten Streiter der Rechtsextremen mal wieder Bedienstete des Innenministeriums sind. Das muss afuhören. Und es wird nur aufhören, wenn der Innenminister von einer vertrauenswürdigen Partei gestellt wird. Das darf kein Innenminister sein, der schon wieder aus dem gleichen Mob kommt.