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Kommentar Verpackungen im SupermarktBerührungsängste mit rohem Fleisch

Lin Hierse
Kommentar von Lin Hierse

Die britische Supermarktkette Sainsbury's verpackt Hühnerfleisch jetzt für zart besaitete Millennials – und zwar so, dass man es nicht anfassen muss.

Fleich essen, ohne es zubereiten zu wollen? Kann man machen, ist aber absurd Foto: imago/ZUMA

E s ist ohnehin schon skurril, wie sehr wir uns von der Produktion und Herkunft von Lebensmitteln entkoppelt haben. Besonders wir unter 35-Jährigen, die seit einer gefühlten Ewigkeit von der medialen Öffentlichkeit mehr oder weniger liebevoll als „Millennials“ bezeichnet werden, haben es einfach schwer. Wir haben keine Festanstellung, bekommen keine Rente, arbeiten aber trotzdem so viel, dass wir gezwungen sind dauernd auswärts Sushi zu essen und deswegen kaum noch Zeit haben, selbst den Kochlöffel zu schwingen.

Glücklicherweise bietet die britische Supermarktkette Sainsbury's ab dem 3. Mai eine kreative Lösung für wenigstens eines unserer vielen Probleme: Fleischverpackungen, die erlauben, das tote Tier direkt in die Pfanne zu befördern – ohne es vor dem Verzehr anfassen zu müssen.

Laut einer von Sainsbury's in Auftrag gegebenen Marketingumfrage gaben nämlich über ein Drittel der Befragten Millennials an, sich vor der Berührung mit rohem Fleisch zu ekeln. Eine Produktentwicklerin der Supermarktkette sagte gegenüber der Sunday Times, dass gerade die jüngere Kundschaft Angst vor der Berührung hätte. Aus unternehmerischer Sicht ein Glücksfall, denn natürlich gibt es eine kund*innenfreundliche Lösung: kontaktloses Braten.

Sainsbury's wird zunächst für Hühnerfleisch sogenannte „doypacks“, zu deutsch Siegelrandbeutel oder Stehbeutel, testen, aus denen das mundgerecht zerkleinerte Huhn ganz einfach herausgeschüttet werden kann. Diese tütenähnlichen Plastikbehältnisse sind bisher vor allem für flüssige und pulverbasierte Produkte wie Waschmittel oder Seife im Handel erhältlich, aber auch für rohes Fleisch geeignet.

Millennials sind keine Kinder mehr

Der angeblich zielgruppenorientierte Marketingcoup aus Großbritannien steht symptomatisch für die Beziehung zwischen Mensch und Lebensmittel. Die ist heute genauso komplex und schlecht nachvollziehbar wie unsere Warenketten – und das ist ethisch besonders herausfordernd, wenn es um tierische Produkte und den Umgang mit Fleisch geht.

Konsequenter wäre es, einfach kein Fleisch zu essen

Beispiele dafür gibt es viele: Wir finden es in Ordnung, regelmäßig Wildschweine und Hirsche zu schießen, um den Bestand zu kontrollieren, aber wenn der Zoo Kopenhagen öffentlich eine junge Giraffe in futtergerechte Stücke für die Löwen zerlegt, ist das grenzüberschreitend. Unseren Kindern müssen wir heute in Ernährungskursen beibringen, woher das Fleisch kommt, das so schön abgepackt und befreit von Knochen und allem Unansehnlichen in der Gefriertruhe liegt – obwohl wir das manchmal selbst gar nicht so genau wissen wollen.

Aber wir Millennials sind eben keine Kinder mehr. Wir hatten immerhin schon mindestens 20 Jahre Zeit, uns durch diese Welt zu schlagen und uns dabei wenigstens ein bisschen mit Produktionsketten auseinanderzusetzen und über Massentierhaltung aufzuregen. Behandelt werden wir aber trotzdem noch oft wie die unmündige Generation: Im Englischen hat sich mittlerweile sogar die Kategorie der „Snowflake-Millennials“ eingebürgert, was auf unseren zerbrechlichen und zarten Charakter hinweisen soll.

Zugegeben: Fleisch anfassen ist auch keine meiner Lieblingsbeschäftigungen. Aber für den absurden Verpackungsvorstoß von Sainsbury's gibt es durchaus Alternativen. Konsequenter wäre es da zum Beispiel, einfach kein Fleisch zu essen. Oder ab und an ein Stückchen Fleisch zu streicheln – wem das schwerfällt, der kann erstmal mit Veggie-Würstchen anfangen.

Und für alle Millennials, die trotz Ekel vor der Berührung mit rosarotem rohen Fleisch nicht auf ihr Schnitzel verzichten wollen, bleibt immerhin noch die Möglichkeit, Kochabende mit über 35-Jährigen zu veranstalten. Die sind bekanntermaßen ein bisschen härter im Nehmen.

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Lin Hierse
taz-Redakteurin
Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Nach ihrem Debüt "Wovon wir träumen" (2022) erschien im August ihr zweiter Roman "Das Verschwinden der Welt" im Piper Verlag. Foto: Amelie Kahn-Ackermann
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14 Kommentare

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  • Nach dem Chlorhuhn kommt jetzt also das Kondomhuhn...

  • Na zum Glück kam dieser Satz noch:

     

    "Konsequenter wäre es da zum Beispiel, einfach kein Fleisch zu essen."

  • Einfach absurd! Wenn ich mich vor dem rohen Fleisch schon ekele, kommt es garantiert nicht in die Pfanne. Denn wenn Verunreinigung am Fleisch ist oder es seltsam riecht, möchte ich es lieber in einer Schale wo ich es herausnehmen und wenden kann. Besser ist es noch wenn das Tier frisch und fachmännisch geschlachtet vom Hofmetzger in meine Edelstahldose gelegt wird. Das ist Hygienisch ;) Sowieso wäre es sehr cool zumindest Geflügel erst vor Ort zu schlachten. Da sieht der Kunde auch wo sein Fleisch herkommt.

  • Wenn man sich vor rohem Fleisch ekelt und trotzdem Fleisch essen will, sollte man sich mal beim Schlachter ein halbes Schwein kaufen und selbst zerlegen.

     

    Dann werden die meisten bestimmt zu Vegetariern und haben diese Probleme nicht mehr.

  • Ich fühle mich ausgegrenzt: ich bin 32, habe eine Festanstellung, meine Rentenprognose ist ordentlich, ich arbeite so viel, dass ich jeden Tag kochen kann, wenn mir danach ist und gehe nicht Sushi essen. Das mache ich lieber selbst zu Hause.

    Aber auch ich fasse ungern Geflügel an, und da spielt es keine Rolle, woher es kommt. Diese Distanz ist nicht verkehrt.

  • Gute Sache für die Hygiene.

    Weiter so.

    Das reduziert auf jeden Fall den essensabfall.

  • Letztlich ist das ja eine Bewegung vom Supermarkt, um diesen Menschen weiterhin die Wurstwaren andrehen zu können. Aber die Motivation der Kaufenden ist für mich nicht nachzuvollziehen.

     

    Wie komme ich denn dazu, etwas zuzubereiten und zu essen, was ich zuvor nicht mal anfassen möchte?

    Wenn das keine Entfremdung ist, was dann? Wäre nicht der folgerichtige Schritt, etwas, wovor man sich ekelt, abzulehnen?

  • Wenn sie erst an der Schlachtung teilhaben müssten, würden die Allermeisten Verzicht üben. ;-)

  • Da bleibt nur eine Frage: Was soll dieser Artikel? Fleischesser-Hate? Oder anschließen an den US-amerikanischen Snowflake-Hate? Weil genau dessen Rethorik greift er auf. Und diese wird nun meist von erzkonservativen weißen US-Amerikanern genutzt. Quintessenz des Artikel: Iss kein Fleisch oder sei gefälligst Mann genug es selbst mit der Hand zu berühren(../zu schlachten/zu jagen/zu mästen). Ich lese sehr gerne die taz aber habe selten so einen sinnbefreiten Artikel/Kommentar gelesen.

  • "Oder ab und an ein Stückchen Fleisch zu streicheln – "

     

    Schöner Schreibfehler, aber ein guter Tipp :-)

    Ein Ferkel, Huhn oder Kalb streicheln und sich auf die Frage einlassen: " Friend or Food?"

     

    Danach informieren und feststellen, dass es so viele extrem leckere (und gesunde) Gerichte gibt, deren Zutaten man gerne anfasst.

    • @Aimhigh:

      "Oder ab und an ein Stückchen Fleisch zu streicheln – "

      Bitte helfen Sie mir auf die Sprünge, wo ist der schöne Schreibfehler?

    • @Aimhigh:

      Frei nach Hannibal Lector: "Ich bin mit einem Freund zum Essen verabredet."

  • Was ist daran neu? In jedem Supermarkt wird Fleisch in mit Folie verschlossenen Plastikschalen verkauft. Man reißt die Folie ab und kippt das Fleisch direkt in die Pfanne. Mache ich auch so, denn wenn ich das Fleisch nicht anfasse und es nicht Berührung mit Schneidebrett, Messer oder meinen Fingern kommt, macht es die Hygiene in der Küche um einiges einfacher, denn die Resten von praktisch alles anderem (Gemüse, Obst) kann ich einfach von den benutzten Utensilien abspülen und fertig.

     

    Ein gewisser Ekel vor rohem Fleisch schadet nicht und irgendwie muss es eh verpackt sein.

    • @Mustardman:

      Tja, so kann's gehen. Ich finde es hingegen viel hygienischer , ein über Tage in Folie eingepacktes Huhn erstmal mit meinen Händen zu waschen. Denn: Unter der Plastikhaube haben Bakterien und Keime das reinste Paradies. Eine andere und klassische Methode ist es, Fleisch mit einer Marinade über 1-2 Tage zu marinieren, das Fleisch wird zarter, Bakterien und Keime werden abgetötet.

       

      Aber ich bin ja auch über 35.