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Kommentar Verdis Streik bei AmazonVerpuffte Wut

Aron Boks
Kommentar von Aron Boks

Das vorweihnachtliche Ritual, bei Amazon zum Streik aufzurufen, bringt Verdi wenig. Wer davon gestresst ist, sollte sein Kaufverhalten überdenken.

Die einen gehen zum Weihnachtsmarkt, die anderen zum Streik (Archivbild) Foto: dpa

S chon wieder ein Streik! Nach der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG rief in dieser Woche Verdi die Arbeitnehmer*innen des Online-Händlers Amazon zur Arbeitsniederlegung auf. Natürlich kurz vor Weihnachten.

Überraschend kommt das nicht, die Gewerkschaftler*innen kramen die jährlich- unbewährten Strategien heraus. Verdi wollte Amazon auch dieses Jahr wieder richtig Druck machen um endlich einen Tarifvertrag für die Arbeitnehmer*innen durchzusetzen. Sonst, so die Drohung, landen mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nicht alle Geschenke pünktlich zu Weihnachten beim Kunden.

Wie Bitte ? Panik. Genau hier trifft der Streik die deutsche Bequemgesellschaft und damit auch direkt den Konzern. Deshalb ja wiederholt Verdi diese Strategie seit fünf Jahren.

Doch weder Streikaufruf, noch Drohung sind effektiv. Lediglich in zwei der elf Logistikzentren in Deutschland legen ein paar Hunderte die Arbeit nieder. Der Konzern gibt Entwarnung – es werde zu keiner Verspätung kommen. Denn auf solche „Vorfälle“ sei man vorbereitet, durch künstliche Intelligenz und automatische Bearbeitungsumleitungen in ein anderes Logistikzentrum. Kein Problem also für Amazon.

Wut auf die Falschen

Ein echter Effekt zeichnet sich lediglich bei den Kund*innen ab. Die sind wütend wegen des gefühlten Extrastress beim Weihnachtseinkauf. Doch ihre Wut richtet sich auf die Gewerkschaft.

Das wird sich auch nicht ändern, jedenfalls nicht durch die Strategievon Verdi. Denn Amazon kann sich seiner Kunden sicher sein, die ein-Klick und Storno Option vom Sofa aus sind für viele einfach zu attraktiv, um ihr Kaufverhalten zu ändern.

Nur wenn der Konzern sich sorgen müsste, dass alle künftig das gewünschte Buch im lokalen Handel kaufen, also spürbare Verluste drohen könnten, könnte Verdi beim nächsten Streik, im nächsten Jahr Erfolg haben. Aber wer weiß, vielleicht gibt es bis dahin auch schon 12. Amazon-Logistikzentren in Deutschland. Dann macht es auch gar nichts wenn dann statt zwei dann drei Standorte streiken.

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Aron Boks
Autor, Slam Poet
Aron Boks lebt als Slam Poet und Autor in Berlin. Er schreibt für diverse Zeitungen und Magazine. Einmal hat er sogar einen Weihnachtsforscher aufgespürt und interviewt. Sein letztes Buch „Luft nach Unten“ erschien 2019. Im selben Jahr erhielt er den Klopstock Förderpreis für Neue Literatur.
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10 Kommentare

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  • Irgendwie sinnlos, was Verdient da macht. Amazon ist ein Logistiker, der selbst darauf eingestellt ist, das ein Lager komplett ausfällt z.b. wenn ein Lager infolge eines Brandes mehrwöchig ausfällt. Selbst dann schätze ich den Zeitverzug der Lieferung auf nur einen halben Tag - in der ersten Woche. Was soll dann denn passieren, wenn nur 10 oder 20% der Belegschaft eines/zweier Lager streiken - gar nichts. Der Computer verschiebt Lieferungen die in der Schnittmenge zweier Lager sind einfach ins andere Lager. Der Kunde bemerkt davon nichts, außer vielleicht eine im eine halbe Stunde spätere Lieferung, wenn überhaupt. Insbesondere die Wahl der Logistikzentren, welche bestreikt werden ist eine Dummheit ohne Ende. Man hätte zumindest zwei nahe beieinander liegenden Zentren nehmen müssen.

  • Der deutsche Michel wie er leibt und lebt. Wenn er nicht streikt, wird unterstellt, dass er zufrieden ist. Trotz untertariflicher Bezahlung und mieser Arbeitsbedingungen. Der Untertanengeist, mit dem schon die Gelbwesten in Frankreich mit Argwohn betrachtet wurden, verbietet die Durchsetzung eigener Interessen, zumal diese medial kaum Beachtung finden. Es geht ja letztendlich stets um das Große und Ganze, nämlich um nackte Wirtschaftsdaten. Wachstum, Profitzuwächse, verbesserte Arbeitslosenstatistik bei niedrigem Lohnniveau usw. Und die meisten Gewerkschaften werden immer kraft- und saftloser. Kein Wunder bei der mäßigen Organisationsbereitschaft, die nur bei den Unternehmern optimal funktioniert und durch Lobbyisten via PolitikerInnen extrem unterstützt wird.

    Zivilisatorische Aspekte des Lebens, vom Tierschutz bis zur Menschenwürde, haben im Turbokapitalismus keinen Platz. Auch nicht bei den ehemaligen sogen. Volksparteien und erst recht nicht bei den reinen Klientelparteien wie FDP oder Grüne.

    • @Rolf B.:

      Amazon bezahlt nach dem Tarifvertrag Logistik, Verdi will den Tarifvertrag Einzelhandel haben.



      Was hat aber Amazon mit dem klassischen Einzelhandel mit der gelernten Fachverkäuferin zu tun?



      Das ist die entscheidende Frage, und da hat unbekannter Nutzer nun mal Recht.



      Der Rest ihres Beitrags ist das übliche Lamentieren, die General-Abrechnung mit dem bösen System usw., also die typische linke Wutbürgerpolemik.



      Und die zivilisatorischen Aspekte im Sozialismus vom Tierschutz bis zur Menschenwürde haben wir ja auch schon durch. Da war ja bekanntermaßen alles besser.

      • @sb123:

        Ihre Argumente für den Turbokapitalismus beruhen auf der falschen Annahme, dass zivilisatorische Aspekte grundsätzlich verwerfliches linkes Denken ist. Da ist Ihnen nicht zu helfen.

  • 8G
    80975 (Profil gelöscht)

    Also, sollen die Angestellten von Amazon nun auf die Einsicht der Kunden hoffen und diese in keinem Fall verärgern? Da können Sie aber lange hoffen.

    Kunden die sich bei einem Streik über die Gewerkschaften und die Streikenden ärgern würden, die sind eh meilenweit von jeglicher Einsicht befreit.

  • 8G
    80975 (Profil gelöscht)

    Also, sollen die Angestellten von Amazon nun auf die Einsicht der Kunden hoffen und diese in keinem Fall verärgern? Da können Sie aber lange hoffen.

    Kunden die sich bei einem Streik über die Gewerkschaften und die Streikenden ärgern würden, die sind eh meilenweit von jeglicher Einsicht befreit.

  • ...die Gewerkschaftler*innen kramen die jährlich- unbewährten Strategien heraus.

    Nein, die Strategien sind i.d.R. sehr bewährt. Nur hier klappt es nicht, da die Beteiligung zu gering ist. Und: Welche andere Strategie kann Ver.di denn fahren?

    Das Problem für Ver.di (aber eigentlich ja Gute) ist, dass die Mitarbeiter in der Masse offensichtlich nicht unzufrieden sind. Sonst würden mehr streiken. Zudem wäre ein solcher Streik für ver.di relativ teuer (zumindest wenn viele Amazon-Mitarbeiter in der Gewerkschaft sind und Streikgeld zu bezahlen ist). GDL hat nur deshalb funktioniert, da ein erhebliches Erpressungspotential da war, da Lokführer nicht ohne Weiteres ersetzt werden können. Ver.di kann daher nur Erfolg haben, wenn 30 bis 40% der Mitarbeiter sich an einem Streik über eine längere Zeit beteiligen. Dann würde es Amazon weh tun. Aufgrund der erfolglosen langjährigen Streikmaßnahmen glaubt das wahrscheinlich kaum noch ein Mitarbeiter. Vielleicht sollte Ver.di still und heimlich diesen Kampf beerdigen.

  • Das Grundproblem von Verdi ist, nicht genügend Menschen mobilisieren zu können.



    Und wie sollte das auch gehen? Die Arbeit ist weder eklig (Toilettenreinigung), unhygienisch (Müllfachkfraft), noch körperlich wirklich fordernd (draussen aufm Bau.)



    Dabei ist der Lohn gut und die erforderlichen Vorkenntnisse bei null. Wer nur bei Amazon einen Job bekommt, sollte froh um diesen sein. Wer einen besseren in Aussicht hat, soll wechseln.



    Es tut mir Leid, aber Amazon ist kein Einzelhändler. Niemand muss dort auf ein höfliches, gepflegtes Erscheinungsbild achten – das schlägt sich halt im Lohn nieder.

  • Vorweg: Ich weiss auch nicht, ob die Verdis Strategie gut ist und ob sie überhaupt sinnvolle Alternativen haben.



    Aber ich bin mir sicher, dass ein Streik dem AG weh tun muss. Sonst klappt es nicht. Heutzutage findet man immer wieder jemanden, dem dann aufgeht, dass das auch die Kunden betrifft, also alle. Und da wir alle mittlerweile vor allem Kunden und erst in zweiter Linie Menschen sind, startet dann die kollektive Empörung, dass das Menschenrecht auf bequemen und fristgerechten Konsum angegriffen wird.

  • "Die sind wütend wegen des gefühlten Extrastress beim Weihnachtseinkauf."

    Leuchtet mir nicht ein. Amazon erklärt doch, dass es keine Lieferschwierigkeiten geben wird, woher soll also der Stress rühren?