Kommentar Transsexualität in Dänemark: Von wegen krank
Transsexuelle gelten in Dänemark nicht mehr als Kranke. Das ist weder mutig noch modern – es ist eine Selbstverständlichkeit.
Als erstes Land der Welt stuft Dänemark Transsexuelle nicht mehr als psychisch krank ein – um der Stigmatisierung von Transsexuellen entgegen zu treten. Denn, so unglaublich es klingt, Transsexualität gilt nach einer Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Geschlechtsidentitäts- und damit als Persönlichkeitsstörung. Fatal für die meisten Transsexuellen, die sich dadurch psychopathologisiert fühlen. Mit einer absurden Folge: Bevor Transsexuelle ihr empfundenes Geschlecht offiziell leben (dürfen), gleiten viele in Depressionen ab, manche hegen Suizid-Gedanken. In solchen Momenten ist unklar, was Folge und was Wirkung dieser geschlechtlichen Zuschreibung ist.
Denn was tatsächlich krank macht, sind Ausgrenzung und Gewalt, wie sie fast überall auf der Welt alltäglich sind, auch in Deutschland. Zum Beispiel: Eine Transsexuelle wird in einem U-Bahnhof niedergeschlagen, getreten und bestohlen. Eine Drag-Queen wird auf offener Straße beschimpft und bespuckt. Eine andere Transsexuelle wacht eines Morgens im Krankenhaus auf – zuvor wurde sie zusammengeschlagen und ihr das Nasenbein gebrochen.
Das ist die Realität von Menschen, die sich nicht hetero-normativ als Frau oder Mann definieren, sondern als „Transgender People“ – als Menschen, die sich falsch in ihrem Körper fühlen und einem anderen Geschlecht angehören wollen. Selbst in einigermaßen offenen und toleranten Städten wie Berlin, Hamburg oder Köln sind Transgender People nicht sicher.
Dass Dänemark dagegen vorgeht, könnte man mutig und modern nennen. Doch eigentlich ist es eine Selbstverständlichkeit. Menschenrechte werden umgesetzt, denn: Jeder Mensch hat das Recht, so zu leben, wie er will. In welchem Körper auch immer, mit welcher Selbstdefinition auch immer.
Die Entscheidung Dänemarks ist auch in anderen Staaten überfällig. Das würde die Prozeduren, die Transsexuelle vielerorts durchlaufen müssen, um ihren selbst empfundenen Status offiziell anerkannt zu bekommen, vereinfachen: kein aufwändiger Antrags- und Nachweismarathon mehr für eine Personenstandänderung wie beispielsweise in Deutschland, Österreich und Belgien. Absolutes Verbot von Zwangssterilisationen und -operationen, zu dem Frankreich sich übrigens erst im Herbst 2016 bekannt hat. In Irland und Litauen ist es bis heute nicht möglich, den Personenstand zu ändern.
In Deutschland wird die WHO-Definition von Transsexualität als Krankheit gern herangezogen, um Hormonbehandlungen, (gewünschte) operative Eingriffe und kosmetische Angleichungen zu rechtfertigen. Das ist eine positiv gemeinte Argumentationskrücke: Eine „Krankheit“ kann man behandeln. Ohne „Krankheitsdefinition“ würde das wegfallen. Auch an dieser Stelle hat Dänemark vorgesorgt: An den Behandlungsmöglichkeiten für Transsexuelle ändert sich nichts.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP