Kommentar Terror in Europa: Freiheit mit Freiheit verteidigen
Gelassenheit im Angesicht des Terrors zu zeigen, ist schwer. Aber notwendig, wenn die Attentäter nicht ihr Ziel erreichen sollen.
D ieAnschläge von Paris im November richteten sich gegen Orte, an denen Menschen gerne ihre Freizeit verbringen. Die Bomben in Brüssel zielten auf die Fähigkeit zur Mobilität – die Lebensader moderner Staaten. Der Terror soll Entsetzen in der gesamten Gesellschaft hervorrufen. In seinem Fadenkreuz stehen nicht Repräsentanten von Staat oder Wirtschaft. Sondern alle. Den Terroristen ist es egal, wen ihre Taten treffen. Es könnten sogar Sympathisanten der Attentäter unter den Opfern sein. Die hätten dann eben Pech gehabt, so wie die anderen auch.
Vollständiger Schutz vor Anschlägen ist nicht möglich. Nicht einmal dann, wenn Staaten und deren Regierungen im uralten Spannungsbogen zwischen Sicherheit und Freiheit künftig ausschließlich auf das größtmögliche Maß an Sicherheit setzen und dafür Bürgerrechte einschränken. Wie sich in diesen Tagen auch in der Türkei zeigt. Deren Regierung wahrlich keine Hüterin der Freiheitsrechte ist.
Reagieren müssen auf die Anschläge von Brüssel jetzt drei Ebenen: die Sicherheitskräfte, die Politik und die Zivilgesellschaft. Es ist die Aufgabe von Fachleuten, zu prüfen, was noch für den Schutz der Bevölkerung getan werden kann. Aber eben nur im Rahmen der Gesetze. Die politische Ebene muss zugeben, dass vollständige Sicherheit nicht zu gewährleisten ist. Die Versuchung ist gewiss groß, in Aktionismus zu verfallen, um den Eindruck von Untätigkeit zu vermeiden. In Frankreich gilt seit den Attentaten vom November der Ausnahmezustand. Glaubt irgendjemand, dass Anschläge dort seither unmöglich sind? Ja, ganz recht.
Die französische Regierung hat einen gefährlichen Weg beschritten – auch deshalb, weil solche Maßnahmen all jenen in die Hände spielen, denen der westliche Lebensstil ein Gräuel ist und die ihn mit Gewalt bekämpfen wollen. Gelassenheit im Angesicht des Terrors zu zeigen, ist unendlich schwer. Aber notwendig, wenn die Attentäter nicht ihr Ziel erreichen sollen, die Grundlagen der Freiheit zu zerstören.
Funktionieren kann das nur, wenn die Gesellschaft bereit ist, das Risiko zu ertragen, das damit einhergeht. Und sich damit abzufinden, dass die Anschläge in Brüssel nicht die Letzten ihrer Art gewesen sind. Das ist viel verlangt. Aber „alternativlos“ – hier stimmt das allzu oft strapazierte Wort ausnahmsweise einmal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen