Kommentar Soziale Klimapolitik: Linke in der Wachstumsfalle
Immer mehr für alle – das galt lange als Prämisse sozial gerechter Wirtschaftspolitik. In der Klimakrise zeigt sich nun, wie hoch der Preis dafür ist.
S eit Klimaschutz für die Bevölkerung immer wichtiger wird, verlieren die SPD und auch die Linkspartei immer mehr Stimmen an die Grünen. Nun wollen sich die Sozialdemokraten stärker um den Klimaschutz kümmern, sagt Interimsfraktionschef Rolf Mützenich. Doch die neuen Bekenntnisse klingen wenig entschlossen.
Die Linkspartei hat zwar Klimaschutz im Programm, doch von einer offensiven sozial-ökologischen Strategie kann nicht die Rede sein. In der Brandenburger Landesregierung verteidigen die Linken sogar den Braunkohleabbau. Und von den Industriegewerkschaften hört man fast gar nichts zum Klimaschutz. Im Zweifel schützen sie mit den Auto- und Energiekonzernen alte Produktionsstrukturen gegen Umweltschützer, wie in der Dieselkrise oder beim Kohleausstieg.
Dass Sozialdemokraten, Gewerkschaften, Linke und auch viele linksorientierte Ökonomen auf die Klimafrage keine Antwort haben, hat einen Grund: Sie stecken mindestens so tief in der Wachstumsfalle wie Konservative oder Liberale.
Seit Jahrzehnten setzen linke Bewegungen in ihrem wichtigen Kampf für mehr soziale Gerechtigkeit auf ein radikales Wachstumskonzept aus dem letzten oder sogar vorletzten Jahrhundert. Ob marxistisch inspiriert oder nicht: Sie wollen die Produktivkräfte der Wirtschaft so weit wie möglich zur Entfaltung bringen, damit diese möglichst hohe Erträge erwirtschaftet. Diese Erträge wollen sie möglichst gerecht auf möglichst viele Menschen verteilen.
Die Massenproduktion wurde perfektioniert
Dazu fordern die Gewerkschaften höhere Löhne, um die Gewinne nicht allein den Unternehmern zu überlassen. Sozialdemokraten treten für höhere Sozialleistungen ein wie derzeit für die Grundrente, um den Lebensstandard der kleinen Leute zu verbessern. Und vor allem in Krisenzeiten setzen Linke auf zusätzliche staatliche Investitionen, vor allem in Bildung und Gesundheit, aber auch in die Infrastruktur, in Straßen und Schienen.
Mehr produzieren, mehr arbeiten, mehr kaufen – und alles wird gut. Diesen Traum des „Immer mehr für alle“ träumen auch die meisten Sozialdemokraten und Gewerkschafter. Zu ihrer Vision von sozialer Gerechtigkeit zählt auch die möglichst weitgehende Demokratisierung des Konsums: Möglichst viele Menschen sollen sich möglichst viel leisten können.
Und ihre Politik war durchaus erfolgreich. Auch wenn Armut und Arbeitslosigkeit nicht ganz vermieden werden konnten, so hat diese Strategie den Menschen in Industriestaaten wie Deutschland doch ein ständig steigendes Lebensniveau beschert. Die Massenproduktion wurde so perfektioniert und globalisiert, dass vor allem technische Geräte ständig billiger werden – und damit für mehr Menschen verfügbar.
Doch heute merken alle, wie hoch der Preis für diese Wachstumspolitik ist. Alle Untersuchungen über die Ursachen der Erderwärmung machen deutlich, dass das ständige Streben nach Mehr seit Jahren an ökologische Grenzen stößt. Regelmäßige Lohnerhöhungen treiben den Kreislauf von Massenkonsum und Massenproduktion und auf diese Weise die ständige Übernutzung von Ressourcen an, die das Klima aufheizen.
Investitionen verbessern nicht per se den Klimaschutz
Darauf angesprochen, setzen linke Politiker und Ökonomen immer wieder auf das Zauberwort „Investition“. Doch Investitionen verbessern nicht per se den Klimaschutz. Nichts spricht gegen mehr Geld für Schulen, Kitas, Krankenhäuser und Pflegeheime. Und schon gar nichts spricht klimapolitisch gegen mehr Geld für erneuerbare Energien. Aber braucht Deutschland wirklich 39 Flughäfen und jedes Jahr Hunderte neuer Umgehungsstraßen und Gewerbegebiete? Die dann noch mehr Verkehr erzeugen und neue Gelüste nach Umgehungsstraßen.
Braucht Deutschland wirklich immer mehr Wegwerfwaren, den ständigen Austausch technischer Geräte durch ein neues Gerät? Braucht dieses reiche Land immer noch mehr Investitionen in die Massentierhaltung, obwohl auf der anderen Seite Lebensmittel weggeworfen werden? Diese Fragen zeigen: Inzwischen sind Ziele wie die Demokratisierung des Konsums und die Steigerung der Produktivkräfte nicht mehr Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Und die Linken stecken in der Wachstumsfalle.
Damit es keine Missverständnisse gibt: Die linken Forderungen nach mehr sozialer Gerechtigkeit bleiben gerade für die Klimapolitik wichtig. Ansonsten zahlen die Ärmeren die Zeche für den Klimaschutz, während die Reichen weiter konsumieren wie zuvor. Aber eine pauschale Politik des „Immer mehr für alle“, wie sie derzeit noch immer betrieben und propagiert wird, ist nicht zukunftsfähig.
Im Gegenteil. Ein nachhaltiger Klimaschutz erfordert von manchem weniger: weniger Verbrennung von Öl, Kohle und Gas; weniger Autos; weniger Flugzeuge, weniger Wegwerfkonsum; weniger Transport; weniger Fleisch, weniger globale Produkte mit hohem Transportaufwand.
Mehr renovieren statt abreißen
Andererseits darf es von manchem auch viel mehr sein als heute: mehr Teilen von Gütern wie zum Beispiel Carsharing; mehr reparieren statt wegwerfen; mehr renovieren statt abreißen; mehr langlebige Waren statt Wegwerfprodukte; mehr Zeit durch kürzere Arbeitszeiten statt höherer Löhne; mehr Radwege, Bahnen und Busse; mehr regionale Produkte mit weniger Transportaufwand.
Die Klimawende ist mit den herkömmlichen Vorstellungen von maximalem Wachstum nicht vereinbar. Sie erfordert grundsätzliche Veränderungen der Wirtschafts- und Lebensweise. Akzeptiert werden diese Veränderungen jedoch nur, wenn sich die Menschen gerecht behandelt fühlen. Wer sonst sollte diese Gerechtigkeit garantieren, wenn nicht die Linken? Doch dieser Aufgabe können sie so lange nicht nachkommen, wie sie keine sozial-ökologische Wirtschaftsstrategie entwerfen und einfach nur an den Wachstumsdogmen aus dem letzten Jahrhundert festhalten.
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