Kommentar Schulz und seine Ziele: Sozialpolitik ist nicht nur Wellness
Der SPD-Kanzlerkandidat konkretisiert nur vorsichtig seine Ziele zu Agenda 2010, Renten und Rollenvielfalt. Die heiklen Themen spart er weiterhin aus.
E inige Punkte für den Wahlkampf hat SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz am Montag auf der SPD-Arbeitnehmerkonferenz in Bielefeld nun konkretisiert: Die Kitas sollen gebührenfrei werden, die sachgrundlosen Befristungen auf dem Arbeitsmarkt verschwinden, eine Solidarrente für Schlechtverdiener soll kommen. Ein Hauch der alten sozialdemokratischen Versprechenskultur waberte durch den Raum.
Doch aus der Rede von Schulz ging auch hervor, dass es eine Revision der Agenda 2010 nur in kleinen Teilen geben wird. Die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung bei Arbeitsverträgen wäre ein Beispiel für eine solche Revision. Auch die Verlängerung des Arbeitslosengeldes für ältere Beschäftigte, wenn sie denn kommt, zählte dazu.
Die sozialen Sicherungen würden aber auch unter Schulz nicht mehr auf den Stand vor den Hartz-Reformen gebracht. Damals hatten Ältere fast drei Jahre lang Anspruch auf Arbeitslosengeld, danach gab es Arbeitslosenhilfe, aus der Rentenbeiträge entrichtet wurden. Vorbei.
Schulz versucht vielmehr eine Art neues soziales Patchwork zu konstruieren, das auf die Rollenvielfalt in der Mitte zielt: mit Elternpaaren, die beide arbeiten, mit Beschäftigten, die schlecht verdienen. Diese Leute werden als ArbeitnehmerInnen angesprochen, als Eltern, die unter hohen Betreuungskosten ächzen, als Schlechtverdiener, die sich um ihre spätere Minirente sorgen. Randgruppen wie Arbeitslose oder Flüchtlinge stehen nicht im Fokus.
Schulz tastet sich vielmehr an die Zielgruppen in der Mitte heran, aber nicht mit großen Ankündigungen massiver Umverteilungen. Verbesserungen beim Arbeitslosengeld I zu versprechen, zum Beispiel, ist im Moment kein Problem, denn die Kassen der Bundesagentur für Arbeit sind gut gefüllt. Gebührenfreie Kitas in Aussicht zu stellen ist erst einmal nur eine Zukunftsvision, denn für die Finanzierung der Kitas sind die Bundesländer zuständig und nicht die Regierung.
Schulz muss aber glaubwürdig bleiben. Am Ende wird er nicht umhinkommen, auch heiklere Themen anzusprechen: Den dringend erforderlichen teuren sozialen Wohnungsneubau zum Beispiel. Die Erbschaftssteuer. Die Asylpolitik. Hier ist die Mittelschicht vielfältig gespalten. Sozialpolitik ist keine Wellnessoase. Auch nicht mit Martin Schulz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe