Kommentar Sachsen und Pressefreiheit: Kaputte Verantwortungskette
Der Pöbeldemonstrant, der Polizeimaßnahmen gegen ZDF-Reporter auslöste, war Mitarbeiter des sächsischen LKA. Jetzt bitte nicht schreien.
D as wird ihm eine Lehre sein, hoffentlich eine anhaltende. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat einen Fehler gemacht. Es ist ein gravierender politischer Fehler – es ist ein Demutsfehler, so richtig einer zum Schweigen.
Zunächst einmal Respekt: Michael Kretschmer hatte sich etwas erlaubt, das politisch riskant war. Es zeugt von Mut, ein solches Risiko einzugehen. Er hat sich in der Öffentlichkeit vor seine Polizei gestellt, als von allen Seiten harsche Kritik am Vorgehen gegen ein ZDF-Team auf ihn einwirkte – und als er selbst den Zusammenhang noch gar nicht sachgemäß überblicken konnte.
Normalerweise informiert sich ein Ministerpräsident erst, bevor er sich äußert. Kretschmer hat seine Polizei dagegen vorbehaltslos verteidigt. Das sollten Ministerpräsidenten auch – wenn sie sich denn auch auf ihre Polizei verlassen können.
Und das konnte Kretschmer zunächst, anscheinend. Denn auch wenn es ein Pöbeldemonstrant war, der mit seiner Impertinenz den Einsatz ausgelöst hat; auch wenn es ein unbeholfener Polizist war, der offenbar nicht in der Lage war zu sagen, um welche Art von Polizeimaßnahme es sich handelte, als er die ZDF-Reporter festsetzte; auch wenn eine Dreiviertelstunde recht lang ist für eine Personalienfeststellung mit ein bisschen Drum und Dran; und auch wenn am Ende all dies dazu führte, dass die Polizei ohne Grund Journalisten zu lang von der Arbeit abhielt – man konnte all dies mit einer, etwas unbeholfenen, Routinemaßnahme verwechseln, vielleicht mit einer besonders gründlichen Auslegung von Rechtsstaatsprinzipien.
Teure Solidarität
Michael Kretschmer wird seine spontane Solidarität nun teuer zu stehen kommen. Denn jetzt kam heraus: Er konnte sich hier nicht auf seine Polizei verlassen. Am Mittwoch teilte das sächsische Innenministerium mit: Der Mann mit dem Deutschlandhut, der Mann, der so herumschreit, der Mann, der den Kameramann des ZDF bedrängt – dieser Mann ist „Tarifbeschäftiger des LKA“.
Um hier nichts zu verwechseln: Auch für Tarifbeschäftigte des Landeskriminalamts Sachsen gilt die Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Eines allerdings ist politisch heikel: Wenn sie in ihrer Freizeit auf Journalisten losgehen – und wenn dann Polizisten diese Journalisten grundlos zu lange festhalten – und wenn dann Ministerpräsidenten sagen, die seien alle seriös – und wenn dann das Innenministerium kleinlaut aufklären muss –, dann jedenfalls ist in der Verantwortungskette einer solchen Regierung etwas kaputt. Oder ganz oben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“