Kommentar Russlands Türkeipolitik: Der konzeptlose Narziss

Putin reagiert eskalierend auf den türkischen Abschuss einer Militärmaschine. Das wird die russischen Bürger teuer zu stehen kommen.

Der russische Präsident Putin neben einer Fahne

Wladimir Putin erhebt sein verletztes Ehrgefühl zum Leitmotiv der Politik. Foto: ap

Russlands Elite war sich ihrer Sache schon sicher. In Syrien bombt sie sich zurück zu Weltgeltung. Schließlich hatte Taktiker Wladimir Putin den zaudernden Westen aufs Neue vorgeführt und nicht zuletzt unter Beweis gestellt, dass Russland als eigenständiger Spieler zurückgekehrt ist. Einsam, ungeliebt und nicht in allerbester Verfassung. Zugegeben. Dennoch reichte es, die Phantasiewelten des Kreml zu beflügeln.

Der türkische Abschuss des russischen Kampfjets setzte dem Höhenflug ein abruptes Ende. Die Wirklichkeit meldete sich. Der Konflikt mit der Türkei gefährdet die von Putin angestrebte Antiterror-Koalition. Jenes Vehikel, mit dem Putin sich und Russland aufwerten möchte. Um Terror geht es nur am Rande. Daher tobt der Kremlchef und verflucht den Sultan wie einst die Saporoscher Kosaken. Putin gibt nicht auf, doch er ist verunsichert.

Daraus speisen sich Hass und Irrationalität, mit der Moskau gegen den vor kurzem noch „guten Freund“ aus Ankara rüpelhaft zu Felde zieht. Der Kreml sinnt nach Rache, anstatt – auch im Interesse internationaler Ambitionen – Schaden zu begrenzen. Die Sozialisation lässt es wohl nicht zu.

Putins blinde Wut, die sich in Wirtschaftssanktionen entlädt, wird Russlands Bürger teuer zu stehen kommen. Teurer als die türkischen Adressaten und deren diversifizierte Wirtschaft. Öl und Gas kann die Türkei im Notfall auch bei anderen Anrainern beziehen. Obst und Gemüse finden neue Abnehmer. Der Tourismusstrom wird nur vorübergehend etwas ausdünnen. Stattdessen droht Russlands Reisebranche das Aus.

Ernste Bedrohungen stellen Moskaus Sanktionen nicht dar. Fühlt sich Ankara militärisch bedroht, könnte es auf der Grundlage der Konvention von Montreux (1936), gar Bosporus und Dardanellen schließen, den russischen Nachschub nach Syrien kappen. Kurzum: Moskau schießt sich selbst ins Knie.

Putin ist ein gewiefter Taktiker. Aber er ist auch ein konzeptloser Narziss. Er erhebt sein verletztes Ehrgefühl zum Leitmotiv der Politik (Gleiches gilt für den Kollegen im Geiste Recep Erdoğan). Moskaus außenpolitische Richtlinie heißt schlicht: Putin.

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Jahrgang 1956, Osteuroparedakteur taz, Korrespondent Moskau und GUS 1990, Studium FU Berlin und Essex/GB Politik, Philosophie, Politische Psychologie.

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