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Kommentar Rot-Rot-Grün in ThüringenChance und Risiko

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die erste rot-rot-grüne Landesregierung bedeutet weder den Weltuntergang noch die Weltrevolution. Umwälzen wird sie allenfalls die Linkspartei.

Bodo Ramelow freut sich seines neuen Amtes. Dass er das Land auf den Kopf stellt, ist aber unwahrscheinlich Bild: reuters

D ie rot-rot-grüne Regierung in Thüringen ist ein Akt politischer Akrobatik. Dreierbündnisse sind in der Bundesrepublik, in der man Experimente scheut, ohnehin die Ausnahme. Ein Dreierbündnis, das nur über die zarte Mehrheit von einer Stimme verfügt, ist ein seltenes Phänomen. Eins, das von der Linkspartei geführt wird, erst recht.

Es ist erstaunlich, dass es diese Regierung überhaupt gibt – auch angesichts der hyperventilierten Versuche, sie als die Wiederkehr der DDR zu denunzieren. Dass manche DDR-Oppositionelle skeptisch auf einen Linkspartei-Ministerpräsidenten schauen, ist verständlich, dass Opfer des SED-Regimes protestieren, erst recht.

Doch die Verve, mit der Ramelow als verkappter Kommunist beschimpft wurde, der Übergriff auf das Büro einer Linkspartei-Abgeordneten, das war kein ziviler Bürgerprotest. Die Bewegung gegen die halluzinierte Rückkehr des Totalitarismus hat selbst etwas Ressentimenthaftes.

Selten hatten großkalibrige politische Symbolik und leichtgewichtige reale Politik so wenig miteinander zu tun. Dort die Wiederaufführung des Weltbürgerkrieges des letzten Jahrhunderts, hier die Gebietsreform zwischen Eisenach und Gera. Ist dies also ein normaler Regierungswechsel in einem kleineren Bundesland, in dem die CDU nach 25 Jahren einen Ermüdungsbruch erlitten hat? Oder haben wir es mit mehr, mit einer Zäsur in der Parteiengeschichte zu tun?

Erfurt wird kein Modell

Diese Regierung wird die Befürchtungen der Hysteriker ebenso enttäuschen wie allzu hochfahrende Erwartungen. Wer Landes- auf Bundespolitik hochrechnet, kalkuliert falsch. First we take Erfurt, then we take Berlin? Das ist Unfug. Ramelow & Co haben in Thüringen genug damit zu tun, zu regieren oder wenigstens ordentlich zu verwalten.

Erfurt wird also kein Modell. Wenn diese Regierung über die Landesgrenzen hinaus Strahlkraft entwickelt, dann vor allem für die Linkspartei selbst. Ramelow könnte der Kretschmann der Genossen werden: einer, der pragmatisch regiert und dem im Zweifel das Land näher ist als die Partei.

Die Sektierer in der Linkspartei sind daher zu Recht alarmiert. Diese Regierungsbeteiligung ist ein Schritt in Richtung etablierte, normale Partei. Damit wird die Legende, dass man das ganz Andere verkörpert, als das sichtbar, was sie ist: eine Illusion.

Die Linkspartei, die großteils eine etwas spießigere Sozialdemokratie ist, ist längst fest in der bundesdeutschen Demokratie vertäut. Dass sie jetzt einen Ministerpräsident stellt, ist in der Tat ein Symbol: nicht für ein Zombie-Revival der SED. Sondern dafür, dass es für die Genossen Zeit wird, aufzuhören, Robin Hood zu spielen.

Alle unter einen Hut

Für die Linkspartei ist diese Regierung also die Probe aufs Exempel – in vielerlei Hinsicht. Sie muss beweisen, dass sie regieren kann. Das geht nur, wenn sie über genug Sensoren für die facettenreichen Milieus der östlichen Gesellschaft verfügt.

Dieses Bündnis wird nur halten, wenn es gelingt, den sozialdemokratischen Pastor und den mittelständischen Unternehmer, verstockte DDR-Nostalgiker in Plattenbauten und das urbane grüne Bürgertum unter einen Hut zu bekommen. Das wird, zumal mit einem Verwaltungsapparat, der noch fest in der Hand der CDU ist, nicht einfach.

Ob es gelingt, hängt viel von der Person Ramelows ab, dem Motor dieser Koalition. Der Regierungschef muss Moderator dieser fragilen Konstruktion sein. Und nicht mehr. Spielt er den Zampano, wird das rot-rot-grüne Mikado schneller zusammenbrechen, als es entstanden ist.

Für die Linkspartei ist all das Chance – und Risiko. Bislang hat sie in rot-roten Regierungen regelmäßig ein Drittel ihrer Wähler verloren. Die Genossen haben das in der Vergangenheit stets mit der undankbaren Rolle als kleinerer Koalitionspartner erklärt. Damit ist es vorbei. Ob die Linkspartei im Osten nur eine Protestpartei ist oder ob sie tatsächlich als etablierte Reformpartei taugt – das muss sich jetzt in Erfurt zeigen.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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11 Kommentare

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  • Good luck, Bodo Ramelow mit neuer Landesregierung! Bis jetzt hat die Linke nur in der Opposition Trockenübungen gemacht. Jetzt geht es an die Praxis. Da werden sicher jede Menge neue An- und Einsichten gewonnen - nicht nur auf Seite der neuen Koalition. Ich wünsche allen Offenheit, gute Zusammenarbeit und Unvoreingenommenheit!

  • In einem demokratischen Prozeß wurde Herr Ramelow mit seiner Partei gewählt und in die Regierungsverantwortung gebracht.

    Das ist zu respektieren !

     

    Den ganzen gestrigen Tag lang wurde der Mann interviewt zum Thema SED-Vergangenheit und er mußte sich permanent refertigen für Dinge die mehr als 25 Jahre zurück liegen und für die er nicht verantwortlich sein kann. Wir alle wissen, daß die SED eine füchterliche Rolle gespielt hat.

     

    Und dann noch das Herumreiten af der einen Stimme Mehrheit. Wie lächerlich ! Am Ende des ersten Regierungstages meinten ganze viele Politiker und Journalisten schon zu wissen, das die Koalition scheitert. Auch Adenauer kam einst mit einer Stimme Mehrheit an die Macht. Da redet heute keiner mehr von.

     

    Mich hätte eher interessiert was der Landespolitiker Ramelow für Meinungen, Ideen, Programme und Projekte für die nächsten vier Jahre hat. Es gibt aber wohl kaum einen Journalisten der diese Neugierde mit mir teilt, obzwar man damit viel mehr Zeilen füllen könnte.

  • DIE LINKE ist als einzige sozialdemokratische Partei die einzige Alternative zu dem , was cdu-csu-fdp-spd-grüne seit mehr als 20 Jahren zerstören, den Sozialstaat. Dass den marktradikalen Menschen in Politik, Medien, Wirtschaft und Bürgertum das nicht gefällt, verwundert nicht wirklich. Wir sollten froh sein, dass wir mit der Partei DIE LINKE die vielen Probleme demokratisch lösen können. Hierzu gibt es keine Alternative. Thüringen ist sehr wohl ein Signal für die Bundespolitik. Es wird insbesondere auch eine Aufgabe der Medien sein, diese Rückkehr zur sozialen Marktwirtschaft unterstützend zu begleiten, denn der "Weltuntergang" wurde durch cdu-csu-fdp-spd-grüne eingeleitet.

  • Cristina Plett , , freie Autorin

    Im Vergleich mit anderen Zeitungen finde ich das hier den besten Kommentar zum Thema. Es beinhaltet Kritik (Illusion anders zu sein) aber kein "Linken-Bashing" (was ich sowieso nicht ganz nachvollziehen kann). Sehr schön!

  • Kein Weltuntergang? Keine Weltrevolution? Eigentlich schade! Und was ist mit all denen, die sich in ihrer Panik schon den Wiederaufbau der Mauer gewünscht hatten? Ein paar Jahre Arbeit hätte es ja wenigstens nach Thüringen gebracht. Wenn auch nur mal so zum Reinschnuppern ;-))

  • Im Ersten gab es heute nach der Tagesschau einen "Brennpunkt"(!) zu dem furchterregenden Ereignis .

    Ist die Mainstream-Machtelite auf dem Weg zur inkurablen Paranoia ? Oder ist sie schon angekommen .

  • In BaWü wurde nach dem Regierungswechsel deutlich, dass die überwiegende Mehrheit in der Verwaltung treu zur Regierung steht und nicht parteipolitisch taktiert ,obwohl der schwarze Filz bis tief nach unten in den Strukturen verwoben war . Das wünsche ich mir auch in Thüringen.

    • @robby:

      In Baden Württemberg sind ja die Grünroten auch schwärzer als die Schwarzen.