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Kommentar Rhetorik in der TürkeiViel Feind, viel Ehr

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Erdoğan hat in den Niederlanden endlich das Feindbild gefunden, das ihm ein „Ja“ zum Verfassungsreferendum im April bescheren könnte.

Halbmond statt Streifen: Am niederländischen Konsulat in Istanbul wurden die Fahnen getauscht Foto: dpa

E s zählt zum kleinen Einmaleins nationalistischer Chauvinisten, eine äußere Bedrohung zu inszenieren, um im Innern für die angestrebte Ruhe und Ordnung zu sorgen. Je niederträchtiger der Feind in grellen Farben geschildert wird, umso mehr sorgt dies dafür, dass sich die vermeintlich angegriffene Nation hinter ihrem Führer versammelt. Es ist erschreckend, wie gut dieses Prinzip immer wieder funktioniert und wie leicht sich intelligente Menschen hinter einer Flagge versammeln lassen, deren Ehre angeblich beschmutzt worden ist.

Im Falle der Türkei hat Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit den Niederlanden endlich das so dringend gesuchte Feindbild gefunden, das er benötigt, um die richtige Atmosphäre für ein „Ja“ zum Verfassungsreferendum im April zu produzieren. Die Rhetorik der türkischen Staats- und Regierungsspitze ließe vermuten, dass das Land demnächst den Niederländern den Krieg erklärt.

Dabei sind die Sprüche von den angeblich in Den Haag regierenden „Faschisten“ und „Nazis“ tatsächlich beleidigend, aber doch mit Bedacht gewählt, geht es doch darum, den Feind maximal bösartig erscheinen zu lassen. Dass es nun die Niederländer getroffen hat, ist aus türkischer Sicht beliebig, genauso hätte es Portugal oder die Mongolei erwischen können.

Aber natürlich ist es kein Zufall, dass die Niederlande einen kompromisslosen Kurs gegen Wahlkampfauftritte türkischer Politiker gewählt haben. Dort wird am Mittwoch gewählt, und der Rechtspopulist Geert Wilders macht mächtig Sprüche gegen Muslime im Allgemeinen und Türken im Besonderen.

Hätte die Regierung eine ähnliche Coolness wie Angela Merkel an den Tag gelegt, so wäre das einer kostenfreien Wahlkampfhilfe für Wilders gleichgekommen. Der hätte sich dann – ähnlich wie Erdoğan– auch zum Retter der Nation emporschwingen können, nur eben der niederländischen.

Die harsche Haltung der Regierung in Den Haag, die Präsident Erdoğanin die Hände spielt, ist deshalb nicht ganz unverständlich. Keinesfalls aber sollte sie zum Vorbild für Deutschland vor den Bundestagswahlen werden, wo absehbar ist, dass sich die AfD ihrerseits zum Beschützer der deutschen Nation gegen beleidigende Türken erklären wird. Die einzige Chance, diesen Irrsinn zu beenden, besteht darin, die Ohren auf Durchzug zu schalten.

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taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
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23 Kommentare

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  • Das Evet (Ja) stand sowieso schon fest. Eigentlich überflüssig sich darüber zu streiten. In der Türkei übt die AKP mit ihrer Macht und ihren immer noch vorhandenen Anhängern einen gewaltigen Druck auf den Rest des Landes aus, sich entsprechend zu verhalten.

     

    In den kurdischen Gebieten ist das Militär, Geheimdienste und wahrscheinlich auch semi-legale Sicherheitskräfte aktiv, die dafür sorgen werden, dass die dortige Bevölkerung bei der Abstimmung nicht zum Zug kommen wird.

     

    Und Erdogan hat einen Bündnispartner, Angela Merkel, die ihm viel Glück und Unterstützung organisiert hat, sehr kostengünstig, denn er muss nur ein paar Syrer, Kurden, Iraker, Afghanen und Iraner festhalten. Die dürfen nicht in die EU - im Gegenzug darf er sich sein Land so bauen, wie er es haben will, also ohne Opposition und ohne ethnische Minderheiten, jedenfalls solche, die das noch praktizieren, zum Beispiel Kurdisch sprechen oder Aleviten sein wollen.

     

    Ich finde, dass Erdogan nicht vom Himmel gefallen ist. Er hatte lange Carte Blanche aus Brüssel und vor allem aus Berlin. Das wußte er zu nutzen - keine Frage. Das Ergebnis ist in der Geschichte der EU beispiellos: Während die EU ihm den Aufbau einer Demokratie finanzierte, schloß er Sender, Zeitungen, marschierte in Syrien und Irak ein, zerstörte in einigen kurdischen Gebieten jedes Haus, jede Schule, jedes Gebäude, scheiterte mit seiner Politik gegenüber Bashar Assad, gegenüber dem Irak und gegenüber Israel.

     

    Ein solches Maß an Fehlschlägen ist selten - die Reaktion darauf ist ebenso einleuchtend, wie einfach: Erdogan schafft sich die Wähler ab - er bleibt, egal, was er macht oder eher woran er gerade scheitert. Nachdem er sein Werk fast zu Ende gebracht hat, will ihn die EU nicht mehr unterstützen? Noch Fragen? ...

  • Warum nimmt man nicht einfach das russische Model zur Hand.

    Als Russland und die Türkei wg. des abgeschossenen Jets streit hatten, hat Putin einfach dicht gemacht. Keine Urlauber in die Türkei, kein Handel, keine Einreise von Türken nach Russland. Kurz darauf ist Erdogan eingeknickt und kam bei Putin angekrochen. Dies zeigt doch mehr als alles andere, dass der einzig vernünftige Weg im Umgang mit Erdogan die harte Hand ist.

    • @Lain Lainsen:

      Und wenn Erdoğan dann trotzdem die Flüchtlinge, die jetzt noch bei ihm im Land sind, nach Europa rüberschickt, dann setzen wir Schußwaffen ein, oder was?

    • @Lain Lainsen:

      "Harte Hand" geht, wenn man wie Russland einen Riesen-Militärapparat einschließlich Atomwaffen hat. Wenn man wie Deutschland nur eine Mini-Armee hat, dafür aber Millionen von Türken als Bürger, dann geht die "harte Hand" sehr leicht nach hinten los.

      • @Mustardman:

        Was für ein Blödsinn.

         

        Wo will denn - gesetzt den Fall er würde es wirklich wollen - Erdogan seine Panzer starten lassen?

        Österreich, Polen oder Frankreich?

         

        Die mögen uns vielleicht nicht besonders aber die hassen uns nicht so sehr, dass sie sich mit einem Erdogan zum Krieg verbünden.

      • @Mustardman:

        Und die "Millionen von Türken als Bürger" machen jetzt genau was zum Schaden Deutschlands?

        • @Artur Möff:

          Warten Sie einfach ab, bis irgendein Amokläufer mal ein Türke ist. Die Reaktion darauf bei den Rechten und den "besorgten Bürgern" werden zu Reaktionen bei den sich ohnehin angefeindet fühlenden Türken führen und dann brennt es hier ganz gewaltig.

           

          Die "Millionen" sind nur insofern relevant als dass schon 0,01% Durchgeknallte darunter mehr als genug sind. In den Niederlanden übrigens auch.

           

          Wer das nicht versteht, der kommt natürlich leicht auf Ideen wie "harte Hand". Aber dieses Land hier ist auf sozialen Frieden angewiesen wie kaum ein anderes.

      • @Mustardman:

        Was für ein Unsinn. Die Türkei würde sich nie trauen, ihr Militär gegen Deutschland einzusetzen. Verbreiten sie ihre Aluhut-Theorien bitte woanders.

  • Die Unterstützung Hitlers hat sich weder durch Appeasement noch durch (aus heutiger Sicht) kriegsverbrecherischer Bombardierung der Städte brechen lassen. Erdogan hat genug Feinde - wenn da das kleine Holland noch dazu kommt, ist das eine rhetorische Vorlage - mehr aber auch nicht. Eine ähnliche Vorlage ist es allerdings auch, wenn Erdogan Merkel über den Tisch zieht. Machen wir uns nichts vor, die EU hat die Türkei wie einen Bittsteller behandelt. Erdogan inszeniert sich als mächtigen Herrscher. Das mögen viele Leute und deshalb unterstützen sie ihn. Appeasement oder Eskalation nur aus wahltaktischen Gründen ist verkehrt. Wir müssen zu unseren Werten stehen. Dazu gehört aktuell Solidarität mit den Niederlanden, wie sie z.B. von Dänemark gezeigt wird. Ohne markante Worte aber als klare solidarische Geste. Genauso sollten wir nun die deutschen Soldaten abziehen. Diese Unterstützung Erdogans ist einfach unpassend.

  • Zur Errichtung einer Diktatur ist ein Feindbild unumgänglich.Anders bekommt man die Massen nicht hinter der Fahne versammelt.

     

    "Patriotismus ist die letzte Zuflucht eines Schurken."Samuel Johnson 1709 - 1774

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...na, da sind wir aber froh, hat 'Mutti' wieder mal alles richtig gemacht.

  • Fortsetzung: Damit steht Ankara allein auf weiter Flur. Das Bundesverfassungsgericht hat am Freitag noch einmal bekräftigt: „Soweit ausländische Staatsoberhäupter oder Mitglieder ausländischer Regierungen in amtlicher Eigenschaft und unter Inanspruchnahme ihrer Amtsautorität in Deutschland auftreten, können sie sich nicht auf Grundrechte berufen.“ Ein Auftrittsverbot sei vielmehr „eine Entscheidung im Bereich der Außenpolitik, bei der sich die deutsche und die türkische Regierung auf der Grundlage des Prinzips der souveränen Gleichheit der Staaten (Art. 2 Nr. 1 der Charta der Vereinten Nationen) begegnen“.

  • Botschaften und Konsulate sind nach dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Vertretungen nicht „exterritorial“, sondern genießen lediglich besonderen Rechtsschutz im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben. Das Übereinkommen aus dem Jahr 1961, das praktisch alle UN-Mitgliedstaaten unterschrieben haben, legt unzweideutig fest: Alle Personen mit Diplomatenstatus sind verpflichtet, „die Gesetze und anderen Rechtsvorschriften des Empfangstaats zu beachten. Sie sind ferner verpflichtet, sich nicht in dessen innere Angelegenheiten einzumischen.“

     

    Die Definition dieser Einmischung unterliegt dem Gastland. Im Wiener Abkommen steht zwar auch: „Bei der Anwendung dieses Übereinkommens unterlässt der Empfangsstaat jede diskriminierende Behandlung von Staaten.“ Das bezieht sich aber auf die Gewährung der diplomatischen Vorrechte im Amtsverkehr, nicht auf die freie Interpretation dessen, was eine Botschaft darf und was nicht.

     

    Als deren Aufgabe definiert das Übereinkommen unter anderem, „die Interessen des Entsendestaats und seiner Angehörigen im Empfangsstaat innerhalb der völkerrechtlich zulässigen Grenzen zu schützen“. Wahlkampf für die Politik einer bestimmten Partei im Heimatland zählt nicht dazu. Die Türkei ist zwar wahrlich nicht das einzige Land, das unter ihren Bürgern im Ausland Wahlwerbung betreiben will. Aber es ist das einzige Land, das solche Werbung durch offizielle Regierungsvertreter durchführen lassen möchte und darauf besteht, ein solcher Wahlkampf gehe das Gastland nichts an.

  • "Das Volk kann mit oder ohne Stimmrecht immer dazu gebracht werden, den Befehlen der Führer zu folgen. Das ist ganz einfach. Man braucht nichts zu tun, als dem Volk zu sagen, es würde angegriffen, und den Pazifisten ihren Mangel an Patriotismus vorzuwerfen und zu behaupten, sie brächten das Land in Gefahr. Diese Methode funktioniert in jedem Land.“

     

     

     

    (Hermann Göring, 18. April 1946, Nürnberg, abends in seiner Zelle, „achselzuckend“)

     

    (vgl. G.M. Gilbert, „Nürnberger Tagebuch“, Fischer Frankfurt a. M., 1962, S. 270)

    • @Mustardman:

      Willst du zu den Waffen rufen,

      Herzen eisern bersten lassen,

      lass den Herold es beschreien:

      "Unsre Heimat ist bedroht !“

       

      Blut und Ehre stets erschufen,

      die da drüben so zu hassen,

      aber Zweifler in den Reihen

      mach zum Anti-Patriot !

       

      Ganz egal, auf welchen Hufen

      ungeachtet welcher Massen,

      Demokraten, Nazis, Freien,

      auch den Sozen geb dies Brot !

       

      Waffenschmieden wachst die Kufen !

      Lasst die Kohle sie verprassen,

      von den Schreiberlingen weihen,

      dass es lohnt, der Heldentod !

       

      Frei nach H.Göring im Interview mit Gustave Gilbert in der Gefängniszelle, 18. April 1946.

    • @Mustardman:

      Danke, ist für spätere Zitation notiert.

  • Ohren auf Durchzug schalten ?

     

    Die einzige Sprache die solche Diktatoren verstehen sind klare Ansagen .

    Unerträglich finde ich den Versuch wenn die "armen" Türken für die Verfassungsänderung stimmen die Schuld denjenigen zu geben die dagegen ihre Stimme erhoben haben .

     

    Es muss Tacheles geredet werden.

  • "Erdoğan hat in den Niederlanden endlich das Feindbild gefunden, das ihm ein „Ja“ zum Verfassungsreferendum im April bescheren könnte."

    Ne, is klar.

    Natürlich sind wir europäischen Demokraten, wenn wir unser Hausrecht durchsetzen daran schuld, wenn türkische Freilandhühner für Käfighaltung stimmen.

    • @Trabantus:

      Dieses "Hausrecht" ist in Deutschland nicht durchsetzbar. Erdogan hat keine Angst vor einem Krieg, zumal Russland stillhalten würde und die USA unter Trump wahrscheinlich auch. Und ein Krieg mit der Türkei wäre gleichzeitig ein Bürgerkrieg in Europa und die "europäischen Demokraten" würden ihn wahrscheinlich verlieren, die Demokratie auf jeden Fall. Deshalb muss eine solche Entwicklung zu fast jedem Preis verhindert werden.

       

      Wenn man schon solchen minimalen Provokationen nicht widerstehen kann, wann will man dann mit dem "Durchsetzen" aufhören? Denn Weitermachen kann man damit dann sehr bald auch nicht mehr.

       

      Kluge Politik wäre gewesen, die türkischen Politiker ausdrücklich einzuladen, und zwar nicht in kleinen Hallen, sondern in Fussballstadien. Dann wäre Erdogans Provokation einfach so verpufft und seiner eigenen Propaganda überlassen hätte er sein Referendum verloren. Aber taktische kluge Politik mag Erdogan beherrschen, die deutsche Politik tut das nicht. All das war geplant und die europäischen Demokraten, zumindest die niederländischen Demokraten, sind ihm auf den Leim gegangen. Große Dinge tut man am einfachsten, solange sie noch klein sind. Jetzt sind sie etwas weniger klein geworden.

      • @Mustardman:

        Vor allem wären es ein paar hundert, oder vielleicht ein paar tausend hardcore Anhänger im Stadium gewesen, mehr nicht. Hätte man getrost ignorieren können. Man hätte zeigen können, wie ein freier friedlicher Diskurs in der Demokratie funktioniert, indem eben auch die Opposition zu dem Referendum die Chance bekommt ihre Position dar zu legen.

        Natürlich kann man auf sein Recht bestehen, aber es gibt nicht ohne Grund das Sprichwort 'Der Klügere gibt nach'. Gerade in der Diplomatie oft der langfristig bessere Weg.

        • @JoWall:

          "Der Klügere gibt nach?" - Das begründet dann aber die Weltherrschaft der Dummen!

          • @Cristi:

            Erlaube mir eine Ergänzung: Der Kluge gibt so lange nach, bis er der Dumme ist.

        • @JoWall:

          Exakt. Wobei man sagen muss, dass Merkel und überhaupt der größte Teil der deutschen Politik das offenbar sehr wohl verstanden haben. Aber das reicht nur für Reaktionen, nicht für Aktionen. Hat Schulz darüber eigentlich etwas gesagt? Nein. Gut so. Das darf man gern ignorieren.