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Kommentar Referendum in der TürkeiEuropa muss jetzt reagieren

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Erdoğan hat es tatsächlich geschafft, die Republik Türkei zu beerdigen. Ihn jetzt noch aufzuhalten, ist nahezu unmöglich. Was also tun?

Sie haben „Evet“ zur islamischen Führerdiktatur gesagt und jubeln jetzt über das Ergebnis Foto: dpa

A ls vor gut zehn Jahren Ideologen der AKP erstmals davon sprachen, dass die 1923 gegründete säkulare türkische Republik nichts anderes sei als ein Betriebsunfall der Geschichte, der möglichst bald korrigiert werden müsse, schüttelten viele noch den Kopf angesichts solch irrer Phantasien einiger islamischer Fanatiker.

Gestern Nacht ist diese Vision Realität geworden. Recep Tayyip Erdoğan, der Islamist aus den Slums vom Goldenen Horn, hat es nach 15 Jahren extremer politischer Kämpfe tatsächlich geschafft, die säkulare, nach Westen ausgerichtete Republik Mustafa Kemal Atatürks zu beerdigen.

Noch wollen viele das nicht wahrhaben. Das Ergebnis war extrem knapp und noch dazu wahrscheinlich manipuliert. Bis auf die Ausnahme von Bursa haben alle großen Städte des Landes dagegen gestimmt. Die urbanen, gebildeten, weltoffenen Menschen der Türkei wollen ihre parlamentarische Demokratie nicht gegen eine islamische nahöstliche Führerdiktatur eintauschen.

Noch hofft die Opposition auf ihre Einsprüche bei der Wahlbehörde, noch kündigen zivilgesellschaftliche Sprecher der Nein-Bewegung an, weiter Widerstand leisten zu wollen, sogar jetzt erst recht. Doch die Hoffnung, dem von Erdoğan geschaffenen Repressionsapparat jetzt noch wirkungsvoll entgegen treten zu können, ist doch etwas vermessen.

Die letzte Chance verpasst

Erdoğan hat in den letzten 15 Jahren bewiesen, dass er mit größerem Widerstand fertig geworden ist. Er hat dem einst allmächtigen Militär das Rückgrat gebrochen, die säkulare Führungsschicht der Türkei Schritt für Schritt ausgebootet und durch eigene Anhänger ersetzt. Nach einem angeblichen Putschversuch hat er dann die einstigen Mitkämpfer gegen die säkulare Republik, die Gülen-Bewegung, ebenfalls entmachtet und ihre führenden Leute einsperren lassen.

Die Volksabstimmung vom Ostersonntag, so unfrei und unfair sie auch war, war dennoch wohl die vorläufig letzte Chance, die Alleinherrschaft des Recep Tayyip Erdoğan noch infrage zu stellen. Jetzt folgt die Umsetzung des Systemwechsels bis hin zur Wahl des Präsidenten auf Grundlage der neuen Vollmachten 2019.

Die Volksabstimmung war wohl die vorläufig letzte Chance, die Alleinherrschaft Erdoğans noch infrage zu stellen

Deutschland und Europa werden auf die neue Türkei reagieren müssen. Erdoğan wird den EU-Beitrittsprozess durch die Wiedereinführung der Todesstrafe in naher Zukunft beenden. Das wichtigste ist jetzt, den Kontakt zu den 50 Prozent der türkischen Bevölkerung, die für die Demokratie und den Anschluss an den Westen gestimmt haben, dennoch nicht abreißen zu lassen. Europa muss jede Gelegenheit nutzen, zivilgesellschaftliche Initiativen zu unterstützen, auch wenn Erdoğan versuchen wird, dies zu verhindern.

Und, so merkwürdig sich das im Moment auch anhören mag: Europa sollte den Visazwang für türkische Bürger so schnell wie möglich aufheben. Denn nur so kann die türkische Zivilgesellschaft den Kontakt zu Europa aufrechterhalten, auf den sie so dringend angewiesen ist.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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44 Kommentare

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  • Europa bleibt jetzt wenig mehr zu tun, als Erdogan zu seinem „überragenden“ Sieg zu gratulieren und sich recht bald mal an Carl von Clausewitz zu erinnern. Der wußte seinerzeit schon sehr genau: „Nichts ist schwerer als der Rückzug aus einer unhaltbaren Position“.

  • Liebe Taz, ist zwar nicht der richtige Ort hier aber kann sonst nichts finden. Sollte nicht heute ein Artikel über das Pilz-Nedal Nib Battle erscheinen?

    • @Kurzer Prozess:

      18. 4. 2017

       

      KulturMusik

      Oben rechts können Sie unter "Suchen" Ihre Abfrage selbst beantworten. Ich hab das mal für Sie gemacht.

      Schöne Grüße!

       

      Rapperin Pilz über Live-Battle

      „Frauenfeindlichkeit thematisieren“

       

      Die Rapperin Pilz provozierte in einem Live-Battle gegen Macho-Rapper Nedal Nib mit einem Kopftuch. Jetzt erhält sie Morddrohungen.  Frederik Schindler

  • Ein kluger Kommentar von Herrn Gottschlich. Danke schön!

     

    Frage bleibt dennoch, wie wir mit den türkischen Institutionen hier in DE umgehen sollen. Die freien Geister unterstützen und gleichzeitig mit Orgas wie beispielsweise DITIB in Fragen Religionsunterricht zusammenarbeiten wird ein weiter Spagat.

     

    Die Frage treibt einen natürich schon um was für konservative Türken hier zu leben scheinen; andererseits; bei 2 Mio Wahberechitgten und nur 46 % Wahlbeteiligung 2/3 pro Erdo.... bedenklich, dass die ggf. entscheidend waren. Verklärter ud emotionaler Blick in die alte Heimat nehme ich mal an.... rational war das nicht.

  • "Europa sollte den Visazwang für türkische Bürger so schnell wie möglich aufheben. Denn nur so kann die türkische Zivilgesellschaft den Kontakt zu Europa aufrechterhalten, auf den sie so dringend angewiesen ist."

     

    Das sehe ich ziemlich zweischneidig. Wie kann sichergestellt werden, dass Erdogan nicht Anweisung gibt, ihm genehme subversive Kräfte in die EU einreisen zu lassen und denen die Ausreise zu verweigern, die schlicht unter so einem Regime nicht zu leben ertragen?

  • Wieso muss Europa reagieren?

     

    Erstmal sollte in der BRD das Ergebnis verarbeitet werden.

    Zivilgesellschaftlichen Widerstand unterstützen? Die BRD bekommt es nicht mal gebacken, Deniz Yücel frei zu bekommen, wie soll dann von hier aus Widerstand organisiert werden?

     

    Relevant wäre eine Debatte innerhalb der NATO erstmal. Will die NATO aus taktischen Gründen die türkische Mitgliedschaft nicht suspendieren, dann muss eben die BRD ihre Mitgliedschaft beenden. Die Türkei kann in dieser Form kein Verbündeter sein. Der elende Flüchtlingspakt mit Erdoğan müsste sofort aufgekündigt werden und türkische Systemgegner hier aufgenommen werden. Um deren Sicherheit zu gewährleisten ist allerdings die Abschaffung der Visapflicht äußerst kontraproduktiv. Sinnvoll wäre ein Einreiseverbot für AKP-Anhänger oder Mitglieder. (Btw am besten für alle Anhänger der Todesstrafe, egal aus welchem Land.)

    Wie man mit den hier schon lebenden AKPlern umgehen soll, wäre am besten regional zu lösen. Ich habe noch keine regionale Ergebnisse aus Deutschland und Europa gehört. Ich denke, man sollte da wirklich möglichst dicht an der hier lebenden Bevölkerung bleiben.

     

    Und wer glaubt, dass die BRD so etwas oder auch nur den winzigsten Schritt gegen Erdoğan unternehmen würde, hat sich nicht die Außenhandelsbilanz der BRD angesehen. Da steht die Türkei immer noch auf Platz 15 mit 21 Mrd. und einem Saldo von 6 Mrd plus für die BRD. Eine Nation wie die BRD, die nur vom Export lebt, wird auch Erdoğan in den Arsch kriechen müssen.

  • Schmeißt die Nachkommen der Osmanen endlich aus der Nato raus.

    Verweist den Botschafter des Landes und holt den eigenen wieder nach Hause.

    Harte wirtschaftliche Sanktionen sind nötig und macht keinen Urlaub mehr dort.

    Stellt sofort die Millionenhilfen ein und macht mit einem anderen einen neuen Flüchtlingsverwaltungsvertrag.

    Ich wähle keine Partei, die ein Diktatorenland, egal in welcher Art, noch unterstützt.

    • @P-et-r-a:

      Müsste man das nicht mit z.B. Polen oder Ungarn dann auch tun? Oder ist das wieder nur dünn verbrämter Rassismus, wie auch bei der EU-Mitgliedschaft, die der Türkei ja immer nur vor die Nase gehängt wurde, aber nie wirklich gewollt war?

       

      Da sind mir Rechte fast lieber, die wenigstens offen sagen, was sie denken (oder fühlen)...

      • @Mustardman:

        Willst Du tatsächlich Äpfel mit Birnen vergleichen ?

        Man sollte doch zuerst das größere übel bekämpfen.

      • @Mustardman:

        Polen und Ungarn müssten auch schon längst aus der EU geflogen sein.

         

        Ich bin NATO- und EU-Gegner, solange solche völlig indiskutablen Staaten dort Mitglied sind.

      • @Mustardman:

        "...Polen oder Ungarn..."

        Man kann diesen Ländern sicher einiges vorwerfen aber nicht das sie massenweise Leute verknasten und das Militär in die Städte von Minderheiten einfällt und dort alles in Schutt und Asche legt.

        Das ist in der Türkei nämlich in diesem Wahlkampf passiert.

         

        Auch der allfällige Vergleich mit Trump hinkt. Der hat nämlich bislang nur ganz wenig Leute verknastet.

        Der Erdogan hält da mittlerweile eine Spitzenstellung in der er sich auch seinem Ex-Freund Assad zu Syrien mit großen Schritten nähert.

         

        Wir können unter diesen Umständen froh sein, daß das mit der EU-Mitgliedschaft nicht geklappt hat. Wenn das wegen Rassismus geschehen ist, dann hat dieser - im übrigen von Ihnen vermutete - Rassismus tatsächlich mal was gutes bewirkt.

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Alle, die den Türken jahrelang vorgaukelten, sie könnten dermaleinst, vielleicht, vielleicht mit irgendwelchen halbgaren Beitrittsgesprächen zur Europäischen Union rechnen, sind diejenigen, denen es nun gar nicht schnell genug gehen kann mit dem totalen Bruch. Nach dem altbekannten Motto: Die Türkei, der Islam gehören nicht zu uns, nicht zu Deutschland, nicht in die EU. Welch vertane Chance !

    Was hätte man erreichen können, wäre man den Türken auf Augenhöhe begegnet. Eine Türkei, eingebunden in den Beitrittsprozess zur EU wäre noch weniger anfällig gewesen, dem Diktator in seine Diktatur zu folgen.

    Und wenn man sich die totale Dauerberieselung des Wahlvolkes mit Propaganda des Ja-Lagers anschaut, die Tatsache, dass die Medien quasi gleichgeschaltet sind, eine unabhängige Justiz nicht mehr existiert, de Oppostion (wenn nicht im Knast) zum Zuschauen verurteilt war, ist es fast unglaublich, dass die Hälfte der Bevölkerung Erdogan nicht gefolgt ist. Sehr ermutigend. Und wenn man erst den mutmasslichen Wahlbetrug einrechnet ... Noch ermutigender !

    Ich denke der Autor hat recht: Nur jetzt nicht die Türken links liegen lassen. Visaerleichterungen für türkische Bürger könnten ein Weg sein, die doch vorhandenen Bande nach Europa nicht abreissen zu lassen. Getreu nach Willy Brand: Wandel dutrch Annäherung.

    • @60440 (Profil gelöscht):

      Bei aller berechtigten Kritik an der seit Jahrzehnten verweigerten bürgerlichen Gleichbehandlung für Menschen türkischer und kurdischer Herkunft in der Bundesrepublik und Europäischen Union. Es gibt eine Eigenverantwortung gegenüber der persönlichen Entscheidung 'für' oder 'gegen' eine Diktatur, oder für eine bürgerliche Demokratie! So auch für alle Bürger_innen mit deutsch-türkischem Familienhintergrund.

       

      Wäre es nicht so, dann könnte man auch die deutschen Wähler_innen von [für] ihrer Entscheidung im Jahr 1933 für den Faschismus freisprechen.

       

      Dass es keinen Freispruch für die persönliche Gefolgschaft für eine faschistische Diktatur geben darf, das zeigt auch zum Beispiel der antifaschistische Widerstand -von nur wenigen Demokraten und Kommunisten- im deutsch-europäischen Faschismus von 1933 bis 1945!

       

      Allerdings, müssten sich die europäischen "Demokraten" schon die berechtigte Frage stellen, warum hat es seit den 1960er Jahren die bürgerliche "Gleichberechtigung" und "Integration" von Bürgern mit türkischen und kurdischen Hintergrund und Herkunft, in der Bundesrepublik und in der Europäischen Union nicht gegeben bzw. nicht funktioniert?

       

      Warum hat es offensichtlich in den USA und Kanada funktioniert? Hier haben sich etwa 80 Prozent für ein klares "NEIN" zur Diktatur in der Türkei entschieden. Und damit auch für die bürgerliche Medien- und Pressefreiheit!

      • @Reinhold Schramm:

        Weil die USA und Kanada nicht so viel Linke haben, die die Schuld bei sich selbst suchen? Gerade in den USA gilt Hop oder Top. Entweder man passt sich an, oder hat verloren. Kanada stellt im Gegensatz zu Deutschland Anforderungen an Einwanderer, was eben andere Einwanderer anzieht. Aber mit der Forderung der Visaerleichterung sieht man's schon wieder: in Deutschland wird geglaubt, man reiche jemandem beide Hände, aus Dankbarkeit entwickle sich dann schon alles zum Guten. Andere reichen erst den kleinen Finger, dann wird der Empfänger daran arbeiten, auch einen weiteren zu kriegen. In Deutschland hat er es nicht nötig und es wird ihm eh immer nachgegeben, die Deutschen suchen die Schuld bei sich usw. Ansonsten das was @Roi sagt.

      • 6G
        6474 (Profil gelöscht)
        @Reinhold Schramm:

        Der Vergleich mit den USA und Kanada hinkt aber auch ein bischen. Deutschland ist das Land wo die meisten türkischstämmigen ausserhalb der Türkei wohnen.

         

        In Deutschland leben ca. drei Millionen türkischstämmige Menschen, in den USA sind es nur zweihundertausend, in Kanada gerade dreißigtausend.

  • Der Triumpf Erdogans unter den Wählern in Deutschland hat gezeigt, wie kontraproduktiv es ist, NGOs wie DITIB Steine in den Weg legen zu wollen. Wenn sich die Türken in Deutschland in ihrem Glauben angegriffen fühlen, schlagen sie zurück.

     

    Erdogan macht die Türken stark, verteidigt ihre Interessen in der ganzen Welt und ermöglicht eine Expansion im Nahen Osten und Europa. Die Türkei könnte längst wieder ein Grossreich sein, wenn sie schon früher einen grossen Führer wie Erdogan gehabt hätte.

    • @Maike123:

      Was wollen Sie mitteilen? Soll Europa bibbern vor Erdolf?

       

      Ich bin der Meinung Europa sollte mit die Türkei so boykottieren wie Russland.

       

      eine faschistoide Türkei sollte auch aus der Nato ausgeschlossen werden, das wäre dann ja mehr das trojanische Pferd als echte Hilfe.

    • @Maike123:

      "NGOs wie DITIB"

      Die DITIB ist nun wirklich das völlige Gegenteil einer NGO. Sie ist im Gegenteil eine klassische staatliche Institution der Türkei.

      Und die Arbeit solcher Institutionen in Europa sollte man jetzt unterbinden und die DITIB Funktionäre ausweisen.

      Eine Propaganda für gewalttätige islamistische Regimes in Europa muß minimiert werden.

  • Europa muss reagieren? Europa hätte reagieren müssen, als noch Zeit dazu wahr!

     

    Erdogan hat jetzt alle Macht seine Fantasien umzusetzen, egal ob in der Türkei, oder in Deutschland oder auch in der EU.

     

    Er hat mehrfach getönt,

    „Ihr Europäer werdet auf euren eignen Straßen nicht mehr sicher sein und im Rest der Welt“

    Wer glaubt, dass es damit getan ist Erdogans Gegner zu unterstützen, der wird sich schnell eines Besseren belehren lassen müssen, denn es wird von Erdogan schlicht weg boykottiert. Glaubt wirklich jemand, dass die Grenzen zur Türkei offen für Unterstützung von seinen Gegnern bleiben wird?

     

    Alles was Europa hätte tun können war vor dem Referendum möglich aber nicht mehr danach. Seiner Rhetorik nach wäre das alles ein Angriff auf die ach so Demokratische und Freie Türkei!

     

    Auch sollte man sich wirklich überlegen, ob man die Visumspflicht aussetzen will, denn auf diese Art und Weise hätte man überhaupt keinen direkten Einfluss mehr darauf was für Menschen wann kommen würden.

     

    Was auch dringend bedacht werden sollte, ist die Gefahr der in Deutschland lebenden Türken, die sich hinter Erdogan gestellt haben, denn sie haben sich offen zu den Handlungen Erdogans bekannt, und somit erklärt, dass sie mit den Rechtstaat Deutschland auf „Kriegsfuß stehen“!

    Sie haben sich deutlich gegen die Medienfreiheit, den politischen freien Willen und den Rechtsstaat gestellt.

    Was würde passieren, sollte der Sultan seine Anhänger hier in Deutschland dazu Aufrufen gegen unseren Lebensstil und unsere Regierungsform zu kämpfen? Was erst mal recht abwegig klingen mag, rückt aber in ein anderes Licht, wenn man bedenkt, dass Erdogan bei dem knappen Ergebnis wieder Feindbilder ausrufen muss. Er wird sich hüten diese Feinde in seinem eigenen Land zu suchen, um die Spaltung nicht noch mehr zu vergrößern, also muss das Ausland wieder herhalten, am besten gleich Deutschland, das hat bereits bestens funktioniert, siehe die 63% Befürworter der Autokratie!!!

  • „Bis auf die Ausnahme von Bursa haben alle großen Städte des Landes dagegen gestimmt. Die urbanen, gebildeten, weltoffenen Menschen der Türkei wollen ihre parlamentarische Demokratie nicht gegen eine islamische nahöstliche Führerdiktatur eintauschen.“

     

    Das haben Sie in den letzten 24 Stunden schon mehrmals geschrieben. Wohl weil es so schön einfach ist. Die klugen Städter gegen die dumme Landbevölkerung. Allerdings ist der Vorsprung des Nein Lagers in den großen Städten nur in Izmir richtig groß. In Istanbul und Ankara ist er so knapp, wie der Ausgang der gesamten Abstimmung. Es haben also auch sehr viele „kluge“ Städter für die Autokratie gestimmt.

     

    „Europa muss jede Gelegenheit nutzen, zivilgesellschaftliche Initiativen zu unterstützen…“

     

    Genau das sollten wir nicht tun. Mal abgesehen davon, dass wir gar kein Recht haben, uns in die inneren Angelegenheiten der Türkei mischen. Erdogan bekommt dadurch die Möglichkeit, die Opposition als EU- (Nazi-) Agenten zu diffamieren, zu verfolgen und endgültig zu zerschlagen. Natürlich gilt unsere Sympathie den Gegnern Erdogans. In Sachen (offener) Unterstützung sollten wir aber sehr vorsichtig sein, damit wir nicht mehr schaden als nutzen.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Teil 2

       

      „Europa sollte den Visazwang für türkische Bürger so schnell wie möglich aufheben.“

       

      So als kleine Belohnung für Erdogan? Nicht anders wird es ausgelegt werden. Wir sollten das genaue Gegenteil tun. Die Beziehungen zu Türkei sollten vom Grundsatz der Gleichgültigkeit geprägt sein. Also weder Freundschaft noch Feindschaft.

       

      In der Praxis bedeutet das, die sinnlosen EU Beitrittsverhandlungen sofort zu beenden. Erdogan hat als nächsten Schritt die Einführung der Todesstrafe angekündigt. Damit wären die Verhandlungen so und so gestorben. Zeigen wir, dass wir wenigstens noch so viel Selbstwertgefühl haben, vorher die Konsequenzen zu ziehen. Unsere Wirtschaftsbeziehungen sollten auf ein Niveau gefahren werden, wie wir es mit jeder anderen x-beliebigen Autokratie haben. Alle Extrawürste sollten entfallen. Und natürlich entfallen die Waffenlieferungen und das Bündnis.

       

      Wenn wir es mit den Werten, die die EU aufgeschrieben hat, ernst meinen, sollten wir genau so handeln. Aber wie gesagt. Die Werte wurden ja nur aufgeschrieben…

  • Europa muss gar nichts, außer den Willen der Mehrheit eines unabhängigen und stolzen Volkes zu akzeptieren.

    Es ist nicht hinnehmbar, Demokratie zu reklamieren und selbst demokratische Prozesse nicht zu akzeptieren. Ich kann die Türken insbesondere in Deutschland verstehen, dass sie dieser Heuchelei seitens unserer politischen Klasse überdrüssig sind.

    Vielleicht gelingt es ja, die Beweggründe der Mehrheit des türkischen Volkes für ihr "Ja" vorurteilsfrei und sachlich darzustellen, anstatt diese Mehrheit als dumm und rückständig zu bezeichnen.

    Unseren Politikern sei gesagt: Wenn sie ihr Ohr an der türkischstämmigen Bevölkerung hätten, also ein bißchen populistischer wären, wären sie genauso überrascht wie ich, dass nur knapp 2/3 für Erdogan gestimmt haben.

    • @Hans-Georg Breuer:

      Den Zustand der türkischen Demokratie innerhalb der letzten Monate lassen wir mal unkommentiert - Sie haben aber realisiert, dass die Mehrheit des "unabhängigen" Volkes gerade ihre Unabhängikeit abgegeben hat, ja?

      Wir las ich vor kurzem? Freilandhühner stimmen für Käfighaltung... es fällt mir schwer, so eine Entscheidung als klug zu bezeichnen.

      • @Karo:

        Vielleicht gibt es Menschen auf dieser Welt, die Freiheit anders definieren als wir. Denken sie an den arabischen Frühling: es waren die deutschsprachigen Medien, die der Bewegung unseren Freiheitsbegriff in den Mund legten. Für viele bedeutet Freiheit aber, ihre Religion leben zu dürfen, wie es ihnen ihr einziger und wahrer Gott vorschreibt.

        Für uns ist das schwer zu verstehen, hat auch bei uns nichts zu suchen. Deshalb noch einmal meine Bitte an die Medien: Welche Gründe haben die "Ja" Sager für ihr Votum. Lasst sie vorurteilsfrei zu Worte kommen.

        • 6G
          61321 (Profil gelöscht)
          @Hans-Georg Breuer:

          Sie sind ein bisschen arg hemdsärmelig mit Ihrer ungetrübt relativistischen Haltung zur Frage was denn nun Freiheit sei.

           

          Nicht dass ich stolz darauf sein dürfte (wie käme ich dazu), dass es hier in Europa war, wo die weitreichendsten Ideen um die Befreiung des Menschen ausgebrütet und letztlich auch jahrhundertelang blutig um sie gerungen wurde, während auch anderswo Menschen diese Ideen adaptierten und ebenfalls für sie kämpften (Beispiel des Scheiterns: Revolution auf Haiti).

           

          Die Jahrtausende währende Unfreiheit des Menschen, bedingt durch Religion, regelmäßig in Form des Machtinstrumentes 'Staatsreligion', scheint Sie ebenfalls wenig zu kümmern.

          Während tagtäglich vor unseren Augen Leuten im Namen der Religion hundertfach das Messer an die Kehle gesetzt wird oder mal wieder der aufgegrabene Hinterhof eines ehemaligen Erziehungsheimes in Irland für Überraschungen sorgt, ist Ihre größte Sorge die um die Religionsausübung.

           

          Letzteres ist ein Grundrecht. Was wir hier aber im Westen sehr bemüht sind kleinzureden:

          Das neue Zeitalter der Unvernunft hat gerade erst begonnen, wir erleben die Geburtsstunde live mit (man muss hierbei freilich in Jahrzehnten rechnen).

          Darum habe ich ein bisschen mehr Sorge als Sie, wenn ich Entwicklungen wie in der Türkei beobachte, die in diesem großen Kontext zu betrachten sind.

          • 6G
            61321 (Profil gelöscht)
            @61321 (Profil gelöscht):

            *life

        • @Hans-Georg Breuer:

          Mit Sicherheit wird Freiheit auf dieser Welt unterschiedlich wahrgenommen - aber Diktatur ist nun mal das Gegenteil von Freiheit, das kann man drehen und wenden wie man will.

           

          Die Beweggründe der Ja Sager wurden in den Medien ausreichend diskutiert: Frust der Unterpriveligierten, Nationalismus und religiöse Verblendung - nicht zu vergessen, die Befürworter der Todesstrafe... deren Einführung Erdogans Herzenswunsch scheint. Keine tollen Aussichten für gebildete, empathische, kritische, engagierte und tolerante Mitmenschen.

          Die tun mir echt leid.

  • Die Türkei die das Deutsche Auge kennt ist schon lange begraben. Lass uns nach vorne schauen und abwarten wie jetzt Fanatiker herangezogen werden, die den Hass der Kulturen nach Europa tragen werden. Die Akp geht nicht wie eine politische Partei vor sondern für sie ist es ein Kampf der Werte und die waren noch nie in Europa. Nicht nur das Atatürk sein Erbe verloren gegangen ist. Sie führen Krieg in jeder Hinsicht. Wer ihr Programm mein Kampf

  • "...und das ist zu respektieren."

    Wieso?

    Wieso?

    Wieso müssen freiheitlich denkende, weltoffene, diskussionsbereite Menschen, die die schwierigen Prozesse der demokratischen Entscheidungsfindung bereit sind zu durchlaufen, eigentlich Menschen repektieren, die Andersdenkende diskriminieren, einsperren, foltern oder töten?

    • @chillbill:

      Wer sich weltoffen nennt, darf nicht herabschauen, sondern muss die Probleme sachlich betrachten.

      Die Geschichte von Erdogan in der Türkei beginnt mit einem nie dagewesenen Wirtschaftsboom. Es ist überall ähnlich: Ob USA, ob Iran, ob Türkei. Es verläuft einen Grenze zwischen der urbanen und der ärmeren, ruralen Bevölkerung. Und so lange die "freiheitlich denkenden, weltoffenen" Politiker kein entsprechendes Angebot für die abgehängten Schichten haben, werden sich diese Trends fortsetzen.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @chillbill:

      Wäre schön, wenn Sie als Antwort auf meinen Kommentar diesen nicht verdrehten, sondern auch wirklich "antworteten".

  • Im Gegensatz zu Deutschland und Europa, waren in Trumps-USA und Kanada 80 Prozent der Wahlbeteiligten für die Beibehaltung der bürgerlichen Demokratie und Medienfreiheit!

     

    Aber in Deutschland und Westeuropa waren 63 Prozent bzw. 70 Prozent für die Diktatur und damit auch für die Abschaffung der Medien- und Pressefreiheit in der Türkei!

     

    Damit ist auch die "Integrationspolitik" aller Regierungsparteien und Parlamentsparteien in Deutschland und Westeuropa nachhaltig gescheitert!

     

    Woran mag das wohl liegen? (?)

     

    Sprüche von der Parlaments- und Regierungsbank können keine sozialen Investitionen in Erziehung und Aufklärung, Bildung und Berufsbildung -so auch nicht in der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union- ersetzen!

     

    Als Basis hierfür bedarf es eben doch auch der sozioökonomischen Umverteilung von oben nach unten und damit der sozialen Gleichstellung der ärmeren Bevölkerungen!

    • @Reinhold Schramm:

      Vielleicht liegts einfach daran, dass USA und Kanada oder auch Kanada so weit weg sind von der Türkei. In den VAE und Bahrein haben übrigens weniger als 15 % mit Ja gestimmt. Auch in Tschechien, Bulgarien, GB und Aserbaidschan war die Zustimmung sehr gering. Vielleicht weil es Länder sind, für die Erdogan sich nicht interessiert?

    • 6G
      60440 (Profil gelöscht)
      @Reinhold Schramm:

      Vielleicht gab es in den USA und Kanada weniger gesellschaftlichen Rassismus ? Können die Kinder und Kindeskinder der Einwanderer vielleicht jenseits des Atlantik eher ankommen in ihrer neuen Heimat ? Hierzulande tut man sich ja bis heute schwer damit, sich als Einwanderungsland zu begreifen und ein Bundespräsident, der verkündet, der Islam gehöre zu Deutschland, ist mannigfachen Anfeindungen ausgesetzt. Und wo gab es in den USA oder Kanada einen annähernd so erfolgreichen Hetzter wie Sarazzin ?

      • 0G
        0371 (Profil gelöscht)
        @60440 (Profil gelöscht):

        Naja. Manchmal werden die Hetzer sogar Präsi.

      • @60440 (Profil gelöscht):

        Herr Kreibig, mein Verwandter begab sich in den 1960er Jahren nach Australien und wurde, nach harten Jahren der täglichen persönlichen Arbeit, australischer Staatsbürger, - ohne Rückversicherung [ohne Doppelpass].

         

        Als "Deutscher" [- aber vor allem auch wegen seiner hohen beruflichen Arbeitsleistung -] hatte er sich in den ersten Jahren mit viel Widerstand gegen seine Person und Herkunft auseinanderzusetzen!

         

        Mit Ausdauer und Beharrlichkeit, sowohl im Arbeitsleben und mit seinen (überdurchschnittlichen) sportlichen Leistungen, aber auch wegen seiner fortwährenden Nachbarschaftshilfe [soziale Hilfsbereitschaft] konnte er sich bei der (einheimischen) Bevölkerung durchsetzen! Was damals äußerst schwierig war, so in Australien für einen deutschen Staatsbürer, so auch in gewerkschafts-politischen Gremien. Er wurde im Laufe der Jahre von einer Mehrheit in Interessenvertretungen gewählt.

         

        Anm.: Eine vergleichbare psychische Belastung sind nur die wenigsten Menschen gewachsen. Aber auch für Migranten und Menschen türkischer Herkunft gibt es keinen anderen Weg, als sich mit der Gesellschaft in der sie leben wollen, dauerhaft zu beschäftigen und auseinanderzusetzen! - Und hierbei natürlich "ohne Rückversicherung" [also, kein "Doppelpass"]!

      • @60440 (Profil gelöscht):

        Spontan fällt mir da der Donald ein.

         

        Aber Sie haben schon Recht. Die Unfähigkeit unserer Politik die Tatsache zu akzeptieren, dass D ein Einwanderungsland ist und die entsprechenden Schlüsse zu ziehen, hat dazu geführt, dass viele Türken auch politisch noch an der Türkei hängen, weil sie sich nicht voll unserem Land zugehörig fühlen.

  • "Europa sollte den Visazwang für türkische Bürger so schnell wie möglich aufheben. Denn nur so kann die türkische Zivilgesellschaft den Kontakt zu Europa aufrechterhalten, auf den sie so dringend angewiesen ist."

    Dieser letzte Absatz ist so unreflektiert wie falsch.

    Zum einen ist die Welt so weit vernetzt dass es für den "Kontakt" keine ständige physische Anwesenheit braucht, zum anderen hätte die Reise- und Immigrationsfreiheit zwei weitere extreme Folgen:

    Die Unzufriedenen fliehen und die Ungewollten werden vertrieben.

    Dann bleibt nur noch das "wahre Türkentum" in der Türkei übrig.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    "Die urbanen, gebildeten, weltoffenen Menschen der Türkei" sind eben nicht die Mehrheit der türkischen Bevölkerung und das ist zu respektieren.

    Die britische Entsprechung kennen wir vom Brexit.

    Was sonst noch auf die urbanen, etc., Menschen Europas und der Welt zukommt, wollen wir doch jetzt noch lieber nicht so genau wissen.

    Die Ahnung davon reicht schon und ist beunruhigend genug.

    • 6G
      60440 (Profil gelöscht)
      @571 (Profil gelöscht):

      Wir wissen nicht genau, was die Mehrheit will. Da fängts schon mal an ...

  • (...) Denn nur so kann die türkische Zivilgesellschaft den Kontakt zu Europa aufrechterhalten, auf den sie so dringend angewiesen ist. (...)

     

    Ja, das ist die richtige Richtung! Mut machen! Das konnte auch für mich der Report

    von Erich Rathfelder über Izmir! Mut machen für ein offenes und buntes Europa.

     

    Vielen Dank Herr Rathfelder.

  • "Denn nur so kann die türkische Zivilgesellschaft den Kontakt zu Europa aufrechterhalten, auf den sie so dringend angewiesen ist."

     

    Europa ist weder auf den Kontakt mit den Erdogan-Anhängern noch mit deren Gegner angewiesen. Die Türken müssen ihre Gesellschaft selbst gestalten. Und wenn dabei ein islamischer Führerstaat herauskommt, dann ist das halt so. Je weniger türkische Probleme nach Europa kommen, um so besser für Europa. Nachdem Europa sich schon für die Lösung Ukrainischer-, Afghanischer-, Malischer-, Syrischer Probleme für zuständig hält, jetzt auch noch die Türkey?