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"Die Bundesländer müssen laut Gesetz sicherstellen, dass es ausreichend Einrichtungen gibt, die Abbrüche durchführen."
Da steht aber nichts davon, diese Einrichtrungen aktiv zu bewerben. Die Beratungsstellen sind verpflichtet, über erreichbare Einrichtungen zu informieren, öffentlich-rechtliche Stellen haben die Möglichkeit, das auch zu tun. Damit IST der staatliche Auftrag einschließlich Information erfüllt. Jede Eigeninitiative eines Arztes, über seine(!) Abtreibungsleistungen zu informieren, geht darüber hinaus und ist nunmal WERBUNG - simple, aber trotzdem wirksame und den nicht gewollten Vorgang der Normalisierung unterstützende Werbung.
Aber mal gesetzt den Fall:
"Ärzt*innen wären weiterhin den Anzeigen fundamentalistischer „Lebensschützer“ ausgesetzt,... Anstößigkeit scheint für diese Menschen eine dehnbare Kategorie zu sein."
Nur zur Info: Der Antößigkeitsbegriff irgendwelcher Lebensschützer ist nicht der Maßstab des deutschen Strafrechts. Die Anzeigen wären folgenlos. Aber um sie von vornherein zu vermeiden, soll dann auch gleich jede WIRKLICH anstößige und reißerische Werbung für Schwangerschaftsabbrüche vollständig legalisiert werden?? Thomas Fischer hat in der Zeit das Beispiel eines Mülleimerbildes mit dem Text "Schwanger? Kein Problem!" gebracht - ohne § 219a wäre das legal.
Schwer vorstellbar, dass das Verfassungsgericht einer solch einseitigen Argumentation folgt.
Kurz:
Was ist so schlimm an dem Kompropmiss, den das Verfassungsgericht einst zwischen Lebensschutz, Würde der Schwangeren und Würde des Embryos gefunden hat?
Er eröffnet alle Möglichkeiten eines vernünftig abgewogenen, frühzeitigen Schwangerschaftsabbruchs, aber er gibt den Lebensschutz nicht auf. Das ist doch gangbar und klug - und es enthält eben notwendigerweise ein Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche.
Zitat: „Anstößigkeit scheint für diese Menschen eine dehnbare Kategorie zu sein.“
Das genau ist das Problem mit abstrakten bzw. moralisch gefärbten Formulierungen: Sie bedeuten für jeden etwas anderes. Im Fachjargon heißen sie deswegen unbestimmte Rechtsbegriffe.
Eigentlich dürfen solche Begriffe in Gesetzen nicht verwendet werden. Den Bürgern soll ja schließlich klar sein, welche Regeln gelten und welche nicht. Leider hält sich kaum jemand an das Vernünftige. Es will halt jeder*r klarstellen, dass er*sie*es ein*e so richtig Gute*r ist.
Die Guten, weiß man, das sind die, die das totale Anrecht haben auf alle Privilegien, die sie besitzen. Ein Recht zumal, das größer ist als das der Leute, die nicht ganz so gut oder gar schlecht sind ihrer Ansicht nach. Nur wer so richtig guten, darf ganz ohne jeden Skrupel herrschen über die Anderen, die es noch so geben muss in ihrer Welt.
Und was wünscht sich das deutsche Volk? Es wünscht zu fühlen, nicht zu denken. Es will sich wohl fühlen im unbestimmt-überwältigenden Verbal-Mief, den seine Vertreter von sich geben. Weil es dann glauben darf und nicht entscheiden braucht.
Von wegen: Gott ist tot! Gott lebt – und ist zum Hinduismus konvertiert. Er ist jetzt 330 Millionen Götter. Vermutlich sogar noch viel mehr. Dürfte für jeden (mindestens) ein Gott dabei sein, oder etwa nicht? Wie gut, dass Götter keine materielle Basis brauchen! Das könnte schließlich eng werden bei dieser Art "Realteilung…"!
Respekt vor so viel Mut und Beharrlichkeit und Dank dafür, dass Frau Hänel, Geld, Nerven und Lebenszeit in die Waagschale wirft und all das für uns Alle durchsteht.
Ob sich die Politik ihrer eigenen Erbärmlichkeit in der Sache noch bewusst wird, bevor Frau Hänel und das BVG den Prozess für mehr Rechtsicherheit zwangsweise anstoßen müssen?
Die Parteien der Mitte meinen, mit empathischer Kümmerergeste „das Ossi“ für sich gewinnen zu können. Sie sollten sie lieber zum Mitwirken auffordern.
Kommentar Prozess um § 219a: Verlieren heißt gewinnen
Von der Bundesregierung ist eine Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes nicht zu erwarten. Doch das Bundesverfassungsgericht könnte helfen.
Kristina Hänel wünscht sich keinen Freispruch (Archivbild 2017) Foto: dpa
Kristina Hänel wünscht sich keinen Freispruch. Die Ärztin gesteht, was man ihr vorwirft: Sie informiert auf ihrer Webseite darüber, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. Und sie will daran auch nichts ändern. Was sie ändern will, ist die Rechtslage. Dass sie dafür inzwischen auf das Bundesverfassungsgericht setzt und nicht auf die Politik, ist nur nachvollziehbar.
Noch Anfang des Jahres sah es so aus, als sei die Abschaffung von Paragraf 219a ein Selbstläufer; übrig geblieben ist davon nicht viel. Die SPD bereitet sich verbal schon auf einen Kompromiss mit der Union vor. Die aber hat bisher keine Einsicht erkennen lassen und will stattdessen wahlweise die Pflichtberatung noch weiter ausbauen oder Listen etwa auf den Seiten von Ämtern oder Ministerien einführen, ohne Paragraf 219a zu ändern.
Beides wären faule Kompromisse. Selbst eine Änderung im Strafrecht, wonach nur noch anstößige oder reißerische Werbung unter Strafe stünde, wäre kaum befriedigend: Ärzt*innen wären weiterhin den Anzeigen fundamentalistischer „Lebensschützer“ ausgesetzt, die mitunter Abtreibungen mit dem Holocaust gleichsetzen. Anstößigkeit scheint für diese Menschen eine dehnbare Kategorie zu sein.
Perspektiven auf Informationen zum Schwangerschaftsabbruch. Interviews des Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. (AKF) mit Ärztinnen und interessierten Frauen:
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Schwangerschaftsabbrüche gelten nach wie vor als „Straftaten gegen das Leben“ – ebenso die sachliche Information durch eine Ärztin, dass sie diese durchführt. Die Bundesländer müssen laut Gesetz sicherstellen, dass es ausreichend Einrichtungen gibt, die Abbrüche durchführen. Die Ärzt*innen erfüllen quasi einen Staatsauftrag, wie der Jurist Reinhard Merkel anmerkte – sie dafür zu bestrafen ist absurd.
Die Chancen, dass auch das Bundesverfassungsgericht dies so sieht, stehen gut. Und so wäre eine klare und endgültige Entscheidung aus Karlsruhe im Zweifel zielführender als ein Irgendwie-Kompromiss aus Berlin. Für den Gesetzgeber wäre es reichlich peinlich, sich derart von einem Gericht in die gesellschaftliche Gegenwart tragen zu lassen – mal wieder.
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Schwerpunkt Paragraf 219a
Kommentar von
Dinah Riese
Ressortleiterin Inland
leitet das Inlandsressort der taz. Davor war sie dort seit Oktober 2018 Redakteurin für Migration und Integration und davor von 2016-17 Volontärin der taz Panter Stiftung. Für ihre Recherche und Berichterstattung zum sogenannten Werbeverbot für Abtreibungen, Paragraf 219a StGB, wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Im März 2022 erschien von Gesine Agena, Patricia Hecht und ihr das Buch "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.
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