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Verhandlung zum Paragraf 219aBefangenheitsantrag gegen Richter

Im Prozess gegen zwei Frauenärztinnen in Kassel hat es noch kein Urteil gegeben. Sie werfen dem vorsitzenden Richter Befangenheit vor.

Wegen Informationen über Schwangerschaftsabbrüche angeklagt: Natascha Nicklaus und Nora Szász Foto: dpa

Kassel taz | Im Prozess gegen die beiden Frauenärztinnen Nora Szász und Natascha Nicklaus in Kassel hat es am Mittwoch kein Urteil gegeben. Szász und Nicklaus sind angeklagt, weil sie in einem Halbsatz auf der Website ihrer Gemeinschaftspraxis darüber informieren, Schwangerschaftsabbrüche zu machen. Laut Staatsanwaltschaft verstößt dies gegen den Paragrafen 219a, der Werbung für Abtreibungen verbietet.

Szász stellte gegen den Vorsitzenden Richter des Amtsgerichts einen Befangenheitsantrag. „Ich hatte den Eindruck, es gibt eine Vorverurteilung“, sagte sie der taz. „Ich möchte gern an unseren Rechtsstaat glauben, aber hier habe ich gewisse Grenzen gesehen.“ Szász störte sich unter anderem daran, dass der Richter von „Kunden“ statt von „Patientinnen“ gesprochen hatte. Schwangere seien keine „Kundinnen“, die geworben werden könnten.

Die Verteidigung warf dem Richter zudem mangelndes Aufklärungsinteresse vor. Er hatte mit nur kurzer Begründung mehrfach den Antrag abgelehnt, einen Sachverständigen zum Thema zu hören. Dieser sollte beweisen, dass die Strafvorschrift des Paragrafen 219a verfassungswidrig ist.

Die frauenpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Ulle Schauws, sagte der taz: „Die Verhandlung zeigt sehr deutlich, dass Gerichte mit dem Paragrafen 219a nicht angemessen umgehen können.“ Der Paragraf sei viel zu unklar. „Wir müssen in Berlin rechtspolitisch für Klarheit sorgen.“

Linke und Grüne wollen Paragraf 219a abschaffen

Auch Cornelia Möhring, frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, sagte: „Die SPD sollte sich nicht länger von der Union hinhalten lassen und endlich politisch durchsetzen, was sie beschlossen hat: Die Streichung von 219a.“ Linke und Grüne im Bundestag wollen den Paragrafen abschaffen, die Union will ihn beibehalten, die SPD wackelt.

In Kassel wird nun wird ein anderer Richter des Amtsgerichts entscheiden, ob der Vorwurf der Befangenheit berechtigt ist. Einen Termin für eine Fortsetzung der Verhandlung gab es noch nicht. Sollte kein Termin in den nächsten drei Wochen gefunden werden, muss das Verfahren neu aufgerollt werden.

Gabriele Heinecke, die Anwältin von Natascha Nicklaus, sagte, beide Frauen würden wenn nötig bis vor das Bundesverfassungsgericht oder auch den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg ziehen.

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1 Kommentar

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  • Ein krawalliger Befangenheitsantrag nach Art der sonst immer (nicht zu Unrecht) kritisierten Konfliktverteidiger, der hoffentlich abgewiesen wird - wenn das im Artikel Genannte alles an Gründen ist, was er aufzubieten hat.

    Zum Einen ist es gar nicht einfach zu sagen, ob es nun ein vielsagender Versprecher war, der zu dem "Kunden" führte. Man könnte umgekehrt auch finden, dass es eine berufstandsdünkelnde Spitzfindigkeit ist, sich über die Missachtung des Unterschieds zu echauffieren: Dass ein Arzt Dienstleister ist und diejenigen, die die Dienste eines Dienstleisters in Anspruch nehmen, allgemein als "Kunden" bezeichnet werden können, und die "Patienten" von Ärzten da vielleicht eine besondere Untergruppe darstellen aber keine andere Qualität, sollte jedenfalls festzustellen sein, ohne eine Vorverurteilung darzustellen. Ja es geht hier um Werbung, aber wenn eine Ärztin sich auf den Standpunkt stellt, wenn sie werbe, sei das keine Werbung, weil sie ja keine Kunden sondern Patienten habe, dann befindet sie sich GANZ klar im Konflikt mit der Rechtsordnung, und dem Gericht ist kein Vorwurf zu machen, wenn es von vorneherein auf deren Seite steht.

    Zum Zweiten: In den USA würde so ein verfassungsrechtlicher Beweisantrag wie der zitierte wahrscheinlich spätestens beim zweiten Stellen nicht mehr nur abgewiesen sondern als "Missachtung des Gerichts" geahndet, weil der Verteidiger dieses offenkundig verhohnepiepeln will. Den Verteidigern der Ärztinnen dürfte völlig klar sein, dass ein Sachverständiger nur zum Beweis einer Tatsache eingesetzt werden kann, nicht zur Untermauerung einer Rechtsansicht. Im Übrigen sitzen mit dem Richter, dem Staatsanwalt und den Verteidigern bereits mindestens vier "Sachverständige" in Sachen Rechtswissenschaft (die auch das Verfassungsrecht umfasst) im Saal. Der Beweisantrag ist also im Zweifel selbst auch nur Krawall.

    Peinlich. Wer sich im Recht sieht, sollte nicht mit den typischen Tricks von Schwerverbrechern arbeiten.