Abschaffung von §219a: Ein Paragraf aus Absurdistan

Der §219a verbietet nicht nur Werbung für Schwangerschaftsabbrüche, sondern auch Infos. Grüne, SPD, Linke und FDP wollen das ändern.

Im Vordergrund viele Menschen, die alle ein weißes Kreuz vor sich hertragen, im Hintergrund der Berliner Dom und der Fernsehturm

Abreibungsgegner*innen hatten die Ärztin Kristina Hänel angezeigt Foto: ap

BERLIN taz | „Paragraf 219a ist schlicht und einfach falsch und muss weg“, sagt Renate Künast. Mit dieser Haltung sind die Juristin und Grünen-Abgeordnete sowie ihre Fraktion nicht allein – gleich drei Gesetzentwürfe liegen inzwischen vor oder sind in Arbeit, um das Verbot von „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ aus dem Strafgesetzbuch zu streichen.

Ein denkwürdiger Moment: An den strafrechtlichen Regelungen rund um das Thema Abtreibung wurde in Deutschland seit mehr als 20 Jahren nicht mehr gerührt – seit dem Kompromiss von 1995, der den Schwangerschaftsabbruch zwar als Straftat gegen das Leben verbietet, diesen aber unter bestimmten Bedingungen straffrei stellt. Und mit genügend Verhandlungsgeschick könnte die Initiative im Bundestag tatsächlich eine Mehrheit bekommen.

„Wir haben das Problem jetzt erkannt und sollten deswegen auch jetzt loslegen, unabhängig von Regierungsbildung und Koalitionsverhandlungen“, sagt Eva Högl, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Denn der Paragraf 219a macht gerade Schlagzeilen: Vergangene Woche war in Gießen die Ärztin Kristina Hänel zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt worden, weil auf ihrer Webseite das Wort „Schwangerschaftsabbruch“ Teil des Leistungsspektrums ist.

Angezeigt hatten sie radikale Abtreibungsgegner*innen. Diese machen sich den Paragrafen systematisch zunutze – bestraft dieser doch auch die sachliche Information über die Leistung als Werbung. Strafbar macht sich demnach, wer Schwangerschaftsabbrüche in „grob anstößiger Weise“ oder „seines Vermögensvorteils wegen“ öffentlich „anbietet“, „ankündigt“ oder „anpreist“. Allein die Tatsache, dass Ärzt*innen für den Eingriff ein Honorar erhalten, erfüllt in diesem Fall die Definition.

„Ein Stück aus Absurdistan“

„Das Urteil des Amtsgerichts Gießen ist in meinen Augen eine sehr harte Entscheidung“, sagt Högl der taz. „Vor allem aber zeigt es: Es gibt gesetzgeberischen Handlungsbedarf beim Paragrafen 219 a.“ Deswegen habe die SPD-Bundestagsfraktion einen Gesetzentwurf formuliert, der die ersatzlose Streichung des Paragrafen fordert. Er soll noch vor der Weihnachtspause in der Fraktion beschlossen werden.

„Es kann nicht sein, dass wir Regeln schaffen, nach denen Schwangerschaftsabbrüche straf­frei sind – und dann dürfen Ärztinnen und Ärzte, die die ­Eingriffe vornehmen, nicht darüber informieren“, sagt auch Renate Künast. Die derzeitige Situation sei „geradezu ein Stück aus Absurdistan“.

Angst vor blinkenden Werbetafeln ist unbegründet – denn solche Werbung ist für egal welche ärztliche Leistung durch die Berufsordnung für Ärztinnen und Ärzte verboten

Auch die Grünen arbeiten an einem Gesetzentwurf, um gesetzgeberische Klarheit zu schaffen. Auch Künast will diese Initiative nicht auf den unbestimmten Zeitraum nach einer Regierungsbildung vertagen: „Wenn Dinge vor einem liegen, kann man nicht warten“, sagt sie. „Wir stellen hier einen Mangel fest, also muss das Thema auf die Tagesordnung.“

Das Strafrecht müsse immer Ultima Ratio sein und dürfe nur als letztes Mittel in Betracht kommen, sagt Künast. Sie versuche, mit ihrer Kollegin Ulle Schauws einen Gesetzentwurf möglichst für die kommende Sitzungswoche einzubringen. „Ich bin optimistisch, dass wir hier fraktionsübergreifend etwas hinbekommen“, sagt Schauws. „Eine Streichung oder Reform des §219 a ist jetzt notwendig. Wir als Grünen-Fraktion werden dafür alles tun.“

Angst vor blinkenden Werbetafeln

Die Linksfraktion hatte ihren Gesetzentwurf bereits vor dem Prozess gegen Hänel am 24. November vorgelegt. Für einen interfraktionellen Antrag wäre man aber bereit, ihn zurückzuziehen, sagt Cornelia Möhring, frauenpolitische Sprecherin der Fraktion. „Uns geht es nicht um die Lorbeeren, sondern darum, dass der Paragraf wegkommt. Alle drei Fraktionen sind mit­ein­ander in Kontakt.“

Und eine Mehrheit gegen den Paragrafen 219a in seiner jetzigen Form scheint durchaus machbar – denn auch die Liberalen sehen ihn kritisch. „Die Regelungen des Paragrafen 219a StGB werden von den Freien Demokraten als nicht mehr zeitgemäß erachtet“, sagt der FDP-Abgeordnete Hermann Otto Solms. „Für uns gehören sowohl das Angebot, wie auch die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen zu einer flächendeckenden ärztlichen Grundversorgung. Wir treten für die freie Arztwahl ein und die ärztliche Freiberuflichkeit ist für uns ein hohes Gut.“ Deswegen befürworte man eine moderate Änderung des Paragrafen.

Ganz streichen wollen die Liberalen den Paragrafen aber nicht. Sachliche Information solle möglich sein, so Solms – nicht aber „reißerische Werbung“. Ein Szenario, das auch die Union beschwört: „Es darf kein Geschäftsmodell gefördert werden, das auf der Tötung ungeborenen Lebens beruht“, erklärt etwa Elisabeth Winckelmeier-Becker, rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion. „Wer den Paragrafen 219a StGB ersatzlos aufhe­ben möchte, muss in Zukunft mit offener Werbung im Internet und Fernsehen, in Zeitschriften etc. für Abtreibungen rechnen.“

Angst vor blinkenden Werbetafeln, die die besonderen Vorzüge eines Schwangerschaftsabbruchs in schrillen Farben anpreisen, ist allerdings unbegründet – denn solche Werbung in Deutschland ist für egal welche ärztliche Leistung durch die Berufsordnung für Ärztinnen und Ärzte verboten. Diese regelt die „Vermeidung einer dem Selbstverständnis der Ärztin oder des Arztes zuwiderlaufende Kommerzialisierung des Arztberufs“. Somit sei sachliche, berufsbezogene Information gestattet, eine „anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung“ hingegen berufswidrig.

Arztpraxis als „Kinderschlachthof“

Sollten SPD, Grüne und Linke in der Lage sein, die FDP ins Boot zu holen, so gäbe es rein rechnerisch eine Mehrheit im Bundestag gegen Paragraf 219 a: Gemeinsam könnten sie auf 369 von 709 Stimmen kommen. Die Union stünde dann vor der Entscheidung, sich anzuschließen, oder gemeinsam mit der AfD dagegen zu stimmen.

Die Streichung des Paragrafen würde vor allem eine Gruppe schwer treffen: radikale Abtreibungsgegner*innen, die 219 a zunehmend systematisch nutzen, um Ärztinnen und Ärzte zu stigmatisieren. Die Zahl der Ermittlungsverfahren ist in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen: Waren es von 2010 bis 2014 2 bis maximal 14 pro Jahr, lag die Zahl 2015 bei 27 und 2016 bereits bei 35 Fällen.

Dabei scheinen die Abtreibungsgegner*innen kaum Grenzen zu kennen: Zuletzt wurde sogar der Limburger Bischof nach Paragraf 219a angezeigt. Auf einer zum Bistum gehörenden Webseite wurde unter anderem auf die Möglichkeit hingewiesen, sich bei der evangelischen Diakonie Hochtaunus den für einen Abbruch notwendigen Beratungsschein ausstellen zu lassen, berichtete die Frankfurter Rundschau.

Hinter der Anzeige steckt anscheinend Gerhard Woitzik, Bundesvorsitzender der christlich-konservativen Deutschen Zentrumspartei. Dieser verantwortet auch einen in München kursierenden Flyer, der wie die Werbung einer Pizzeria aussieht – im Innenteil aber die Praxis eines Arztes als „Kinderschlachthof“ bezeichnet und Bilder von Pizzen belegt mit zerstückelten Föten abbildet.

Wer sich vor geschmacklosen Kampagnen fürchtet, wird hier sicher fündig.

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