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Kommentar MigrationspolitikWanderung gehört zum Alltag

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Migration innerhalb des Kontinents ist in Afrika weitaus weniger umstritten als in Europa. Damit ist Afrika im Vorteil.

Angekommen im Sandsturm: Flüchtlingscamp in Dadaab an der keniaschien Grenze zu Somalia Foto: reuters

E s ist der uralte panafrikanische Freiheitstraum: offene Grenzen für alle. Wenn einmal die europäische Dominanz Afrikas überwunden ist, können auch die einst von europäischen Eroberern gezogenen Grenzen zwischen afrikanischen Staaten fallen, die künstlich Gesellschaften spalten und Brüder und Schwestern voneinander trennen.

Während es in Europa beim Traum vom grenzenlosen Kontinent um das Einebnen der eigenen Nationalstaatlichkeit und damit auch tiefverwurzelter Identitäten geht, kann sich Afrika beim Niederreißen seiner Grenzen auf die Überwindung der Relikte einer verhassten kolonialen Fremdherrschaft berufen und auf die Rückkehr zu sich selbst. Deswegen sind Appelle der Afrikanischen Union, die Einheit des Kontinents herzustellen, in Afrika viel weniger umstritten, als es ähnliche Vorhaben in Europa je sein können.

In der aktuellen globalen Migrationsdebatte ist Afrika gegenüber Europa damit entscheidend im Vorteil. Migration und Zuwanderung, ob freiwillig oder erzwungen, kann in afrikanischen Staaten nur in Ausnahmefällen zur identitätsgefährdenden Bedrohung hochstilisiert werden. Dass Wanderung, ob freiwillig oder erzwungen, zum Alltag und zur eigenen Geschichte gehört, haben die meisten afrikanischen Gesellschaften längst verinnerlicht – die meisten afrikanischen Gründungsmythen und Identitätsgewissheiten beruhen auf der Herkunft von anderswo, von Nomaden in den Savannen bis zu Wanderarbeitern in den Städten, und auch weltweit gehört die Entwurzelung mit der Erinnerung an das Trauma der Versklavung zum Kern schwarzer Identitätsstiftung.

Wenn jetzt die Afrikanische Union davon spricht, Migration als Normalität zu begreifen, ist dies auch ein Appell an Europa, im Hinblick auf Afrika einen Perspektivwechsel zu vollziehen. Wer in Afrika auf Abschottung und Migrationsverhinderung setzt, verbaut den Menschen die Zukunft.

Noch sind in Afrika viele Diktatoren an der Macht

Zwar sind auch in Afrika noch allzu viele Diktatoren am Werk, die genau das tun, um sich international einzuschmeicheln, und denen das Schicksal der eigenen Bevölkerung herzlich egal ist. Aber eine zukunftsorientierte europäische Afrikapolitik sollte sich andere Maßstäbe setzen – und auf zukunftsorientierte afrikanische Partner bauen, die es inzwischen ebenfalls an höchster Stelle gibt.

Es sollte eigentlich nicht so schwer sein, dass eine Europa verpflichtete Europäische Union mit einer Afrika verpflichteten Afrikanischen Union auf Augenhöhe über Migrationsfragen spricht. Nicht zuletzt wäre das von europäischer Seite ein Akt der historischen Wiedergutmachung für die Verbrechen Europas in Afrika. Die gemeinsamen Herausforderungen eines schrumpfenden und alternden Europa und eines rasch wachsenden und dynamischen Afrika können nur gemeinsam gelöst werden.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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21 Kommentare

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  • " Europäische Union mit einer Afrika verpflichteten Afrikanischen Union auf Augenhöhe über Migrationsfragen"

    Der eine will Hilfe - der andere will nichts abgeben - wo sehen Sie denn da Augenhöhe?

  • Wo haben Sie denn die "2-3 Kinder" gesehen?

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    • @agerwiese:

      Ich bin öfters Westafrika und die jüngere gebildetere Generation denkt mittlerweile so.

  • "kann sich Afrika beim Niederreißen seiner Grenzen auf die Überwindung der Relikte einer verhassten kolonialen Fremdherrschaft berufen und auf die Rückkehr zu sich selbst."

    Der Autor hat scheinbar gravierende Lücken was die vorkoloniale Geschichte Afrikas betrifft und eine durch exotisch-idealistische Schwärmerei gefärbte rosarote Brille an.

  • "Es sollte eigentlich nicht so schwer sein, dass eine Europa verpflichtete Europäische Union mit einer Afrika verpflichteten Afrikanischen Union auf Augenhöhe über Migrationsfragen spricht."

    Genau das wären aber die Diktatoren, die eben sich nicht ihrem Land verpflichtet fühlen. Seien wir doch ehrlich, egal was die EU in dem Thema macht, es würde zu Maßnahmen gegen Migration nach Europa führen. Migration in Afrika ist Konfliktgrund genug, und da geht es noch nicht mal um die Wanderung in den Sozialstaat, sondern "nur" um ethnische Konflikte. Es ist ja ein bisschen naiv das Ausmaß an Gewalt zu verniedlichen, was sich hier in afrikanischen Staaten Bahn bricht.

    Klischeebeladener Postkolonialismus, etwa in der Gleichsetzung oben von Afrikanern mit Sklaven, ist nicht zeitgemäß. Er übersieht auch die wirtschaftliche Dynamik in diesen Ländern.

  • Also, vor der Ankunft der Europäer gab es den großen Freiheitstraum, jeder konnte seine Ziegen weiden lassen wo er wollte, jede Familie einfach in die Nachbarregion ziehen? Die Freiheiten waren größer, weil die Räume leerer waren. Aber es gab auch Königreiche, Kriege, Stämme und Stammesgebiete. Grenzenlose Freiheit gab es immer nur für den Stärkeren.

    • @fly:

      Die Afrikaner gehen auf jedem Fall mit dem Thema Migration entspannter und toleranter um als Europäer. Dort ist auch Rassismus und Nationalismus nicht so verbreitet wie bei uns.

      • @Andreas J:

        "Dort ist auch Rassismus und Nationalismus nicht so verbreitet wie bei uns."



        Boah, glauben Sie das eigentlich selber????



        Völkermord in Ruanda, Bürgerkrieg im Sudan, Stammeskriege im Kongo usw. usf., schon mal was davon gehört?

        • @sb123:

          Und was hat das alles mit Rassismus und Nationalismus zu tun? Die Konflikte haben andere Ursprünge.



          Um zum Thema zurückzukommen, in Westafrika haben die Leute weniger Probleme mit Migranten als wir Europäer. Dort leben Menschen aus allen teilen Afrikas meist friedlich zusammen. Konflikte entstehen aus anderen Gründen. Meist geht es um Armut und Verteilung oder politischen Machtspielchen der Eliten. Ich bin oft in Westafrika.

      • @Andreas J:

        Rwanda vergessen? Auch ansonsten gibt es Beispiele en masse: der arabische Norden gegen den schwarzen Süden, Afrikaner, die Jagd auf andere machen und sie als Sklaven verkaufen, Bantu gegen die Pygmäen, Kuschiten gegen die Bantus usw usf.

  • 8-Kind-Politik? Noch nie gehört. Klingt nach Blödsinn.



    Ich bin oft in Westafrika und die jüngere Generation will meist nicht mehr als 2-3 Kinder.

    • @Andreas J:

      War für Schoenerrein

  • Solange in Afrika jeden Tag 70.000 Menschen mehr geboren werden als sterben



    und alle diese Menschen verständlicherweise nach dem gleichen Wohlstand



    (und damit Ressourcenverbrauch) streben wie die sog. "entwickelte westliche Welt",



    sind alle Klimaschutzprogramme und die jahrzehntelangen Hilfprogramme durch die reichen Länder an Afrika nur Augenwischerei.



    Wenn Länder wie Ägypten mit über 90 Mio. Einwohnern jedes Jahr um weitere 2 Mio. Menschen wachsen



    und andere Länder in Afrika zur "Belebung" der Wirtschaft die 8-Kind-Politik (!) fordern,



    dann sollten wir mal langsam aufhören, daran zu glauben, daß wir als Europa und insbesondere Deutschland die Welt retten könnten.

    • 8G
      81331 (Profil gelöscht)
      @schoenerrhein:

      ...es geht hier nicht darum, dass "Europa und insbesondere Deutschland die Welt retten könnten", nein, es geht darum, dass Europa und insbesondere Deutschland Menschenleben retten könnten.

  • Bin mir jetzt nicht sicher, ob ich diesen Kommentar für besonders schlau oder - angesichts der überwiegenden Migrationonsgründe in Afrika /Hunger, Verfolgung, Krieg/ - für besonders zynisch halten soll....

  • Lieber Kolumnist,



    in Afrika existiert kein Sozialstaat und nationale Arbeitnehmerrechte existieren auch nicht wesentlich.



    Wie gedenkt die Internationale diese Hauptprobleme zu lösen?



    Wie sollen internationale Konzerne (strukturelle Abhängigkeiten lokaler Arbeitnehmer) eingehegt werden und mit welcher Machtinstanz?

    Menschen sind leider zur kurzfristigen Opportunität fähig, weshalb sich Verrat unterschiedlicher Menschengruppen ohne Abhängigkeit (die kennen sich auch nicht) lohnt.



    Wie löst man das konkrete Problem oder in welcher Literatur wird das systematisch behandelt?

    • @marxscheEffizienz:

      Vom Autor zu verlangen die Probleme Afrikas mal eben zu lösen, ist schon ziemlich schräg.



      Es gibt einiges an Literatur: Ndongo Samba Sylla, Fanny Pigeaud, Achille Mbembe, Séverine Kodjo-Grandvaux, Léonce Ndikumana und einige mehr. Weniger meckern und selbst informieren.

      • @Andreas J:

        Probleme löst man nicht durch Weglassen der Informationen, warum die Menschen wandern.



        Eines der Hauptprobleme bei Rohstoffreichheit wird absehbar nicht lösbar sein, weil es "sich lohnt zu putschen":



        www.youtube.com/watch?v=rStL7niR7gs



        Einzig Norwegen hat das bis jetzt geschafft und was die Golfstaaten fabrizieren weiß ich nicht so recht.

  • ...und genau so normal war es, dass Volk A nicht besonders von der Durch-oder Einwanderung von Volk B war, und dies auf Vertreibung oder Assimilierung eines der beiden hinauslief. Aber das passt nicht zu Ihrer Utopie. Migration ist keine Abenteuer-Gruppenwanderung, sie ist Folge und Ursache sozialen Übels.

    • @Linksli:

      Das hat rein gar nichts mit Utopie zu tun. Das ist afrikanische Realität und schon immer so gewesen. Ich bin regelmäßig an der Elfenbeinküste. Dort gibt es einen sehr hohen Anteil an Einwanderern und es gibt wenig Probleme, weil es normal ist. Nicht immer von der eigenen europäischen Kultur auf andere schließen!