Friedensprozess in Eritrea: Aus Feinden werden Freunde
Seit Äthiopien und Eritrea Frieden geschlossen haben, belebt sich der Handel zwischen den beiden Ländern. Aber die Wehrpflicht für Eritreer bleibt.
Jahrzehntelang war Eritrea komplett von der Außenwelt abgeschottet, die Ausreise aus dem Land nicht erlaubt. Seit Kurzem können Eritreer ohne Papiere und ohne Genehmigung die Grenze zu Äthiopien überqueren. Seitdem im Rahmen des Friedensschlusses zwischen den beiden verfeindeten Nachbarländern im September die Grenze nach zwanzig Jahren Sperrung wieder geöffnet wurde, kommen sie mit Bussen und Ochsenkarren oder laufen einfach die Straße entlang. Es gibt sogar wieder eine Flugverbindung zwischen den beiden Hauptstädten Asmara und Addis Abeba.
Die meisten Eritreer versuchen, dem verpflichtenden, viele Jahre dauernden Wehrdienst zu entkommen, der jeden Erwachsenen betrifft. Andere sind auf der Suche nach einem besseren Leben in Äthiopien oder weiter weg in Europa.
Da keine Kontrollen mehr stattfinden, weiß niemand, wie viele Eritreer die Grenze überquert haben. Lokale Behörden auf der äthiopischen Seite sagen, dass auf jeden Fall mehr als 25.000 Menschen angekommen sind. Andere Quellen schätzen die Zahl höher. Die Neuankömmlinge lassen sich als Flüchtlinge registrieren, aber bleiben meistens nicht lange im Flüchtlingslager. Viele haben angeheiratete Familien in Äthiopien, wo sie Unterkunft finden, oder ziehen weiter, um anderswo ein neues Leben aufzubauen.
Jahrelang war die heimliche Flucht Hunderttausender Eritreer über Sudan, Ägypten und Libyen Richtung Europa eines der düstersten Kapitel der europäischen Flüchtlingspolitik gegenüber Afrika. In den vergangenen zwanzig Jahren sind nach Schätzungen etwa 600.000 der fünf Millionen Einwohner aus ihrem Land geflohen, zumeist unter Lebensgefahr und mit hohem Risiko für zurückbleibende Angehörige. Jetzt plötzlich lässt das Regime des autoritär regierenden Präsidenten Isaias Afewerki große Teile der Bevölkerung ohne Hinderung ziehen.
In Eritrea herrscht Verwirrung
Eritrea ist ein politisch undurchsichtiges Land, und man kann nur mutmaßen, was hinter der Öffnung steckt, meint die britische Journalistin und Eritrea-Kennerin Michela Wrong. „Ich denke, dass die Behörden ein wenig ratlos darüber sind, wie sie auf die neue Beziehung mit dem Nachbarn und ehemaligen Feind reagieren sollen. Die Situation der Abschottung war jedem vertraut. Jetzt, da sie beendet ist, herrscht Verwirrung.“
Äthiopien und Eritrea waren lange verfeindet. Eritrea, einst italienische Kolonie, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg vom unabhängigen Äthiopien übernommen und errang erst 1993 seine Unabhängigkeit nach einem blutigen Befreiungskrieg. Zwischen 1998 und 2000 führten die beiden Länder erneut Krieg gegeneinander um ihre nie genau demarkierte Grenze. Mindestens 70.000 Menschen kamen ums Leben.
Das Friedensabkommen aus dem Jahr 2000, das unter anderem Äthiopiens Rückzug aus umstrittenen Gebieten vorsah, wurde aber von Äthiopien nicht umgesetzt. Erst als im April 2018 der neue Premierminister Abiy Ahmed in Addis Abeba die Macht übernahm und politische Reformen einleitete, vollzogen die beiden Länder endlich ihren Friedensschluss auf einem Gipfeltreffen im Juli. Es folgte die Öffnung der Grenze am 11. September.
Die Reformpolitik in Äthiopien weckte auch in Eritrea Hoffnungen auf Demokratie. Trotz der Grenzöffnung hat sich in diesem Bereich aber wenig getan. „Äthiopien zieht Truppen von der Grenze ab, und damit ist die andauernde Wehrpflicht in Eritrea nicht mehr gerechtfertigt“, analysiert Wrong. „Aber Präsident Isaias Afewerki hat sie noch immer nicht offiziell abgeschafft. Die Eritreer sind enttäuscht. Indem die Regierung sie nun ungehindert ausreisen lässt, lässt sie jedoch Druck ab.“
Für Äthiopien ist der Zustrom nicht einfach zu bewältigen. Das Land mit rund 100 Millionen Einwohnern beherbergte schon vorher ungefähr 900.000 Flüchtlinge – vor allem aus den Nachbarländern Sudan, Südsudan, Somalia und eben Eritrea. Durch ethnische Konflikte in verschiedenen Regionen Äthiopiens gibt es auch noch rund 1,4 Millionen Binnenvertriebene. Und dann sind da noch jährlich Zehntausende unfreiwillige äthiopische Rückkehrer, die zurückgeschickt werden aus Ländern, in denen sie illegal arbeiteten, vor allem aus Saudi-Arabien.
Die Geschäfte auf beiden Seiten laufen jetzt gut
Wirtschaftlich betrachtet ist die Grenzöffnung für beide Länder gut. Eritrea hatte sich nicht nur selbst abgeschottet, sondern wurde auch vom Rest der Welt jahrelang mit Sanktionen belegt und isoliert. Es gab kaum noch Außenhandel, viele Güter waren Mangelware. Jetzt kommen täglich äthiopische Händler über die Grenze, um ihre Waren ohne Zollgebühren oder Inspektionen in Eritrea zu verkaufen. Aus Eritrea kommen dagegen viele Busse mit Fahrgästen, die in Äthiopien einkaufen. Die Geschäfte auf beiden Seiten laufen gut.
Äthiopien hat nun auch erstmals seit dem Krieg wieder Zugang zu den eritreischen Häfen von Assab und Massawa am Roten Meer. Die Reisen für äthiopische Laster sind kürzer als nach Dschibuti, bis voriges Jahr der Haupttransitpunkt für Äthiopiens Außenhandel. Von der Wiedereinbindung in die regionalen Wirtschaftskreisläufe profitiert auch Eritreas Regierung,
Michela Wrong sieht auch persönliche Motive des eritreischen Machthabers am Werk. Der Machtwechsel in Äthiopien, der Abiy Ahmed an die Macht brachte, bedeutete vor allem eine Entmachtung der im Land bislang mächtigsten ehemaligen Guerillabewegung TPLF (Tigray People’s Liberation Front). Deren historischer Führer, Meles Zenawi, bis zu seinem Tod 2012 äthiopischer Regierungschef, war der Hauptgegner und Erzfeind des eritreischen Präsidenten, Isaias Afewerki.
Im Guerillakampf waren Isaias und Meles einst Waffenbrüder, doch überwarfen sie sich, nachdem sie in ihren Ländern die Macht ergriffen. Die Rivalität der beiden war auch der Hauptgrund für den objektiv absurden Grenzkrieg von 1998 bis 2000. Jetzt, da Meles tot ist und seine TPLF entmachtet, pflegen Isaias und sein Regime freundliche Beziehungen mit dem neuen äthiopischen Premierminister, Abiy, den Isaias schon zweimal besucht hat.
Dies könnte nun auch das Ende der Diktatur in Eritrea einläuten, so Wrong. „Nun, da die Grenze geöffnet ist, wird es für Isaias unmöglich sein, seinen autoritär und streng kontrollierten Staat gegen die Auswirkungen der sanften Revolution in Äthiopien abzuschotten“, meint Wrong. „Letztendlich werden die Änderungen auch auf Eritrea übergreifen, ob Isaias mitmacht oder nicht.“
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