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Kommentar Merkels Treffen mit ErdoğanVerrat an türkischen Demokraten

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Die deutsche Kanzlerin legitimiert den türkischen Präsidenten. Das ist der Preis dafür, dass Flüchtlinge die Türkei im Wahljahr nicht verlassen.

Die Kanzlerin, hier bei einem Treffen mit Er­do­ğan 2014 in Berlin Foto: dpa

A m Donnerstag kommt Angela Merkel zum neunten Mal während ihrer Kanzlerschaft in die Türkei. Was immer sie mit diesem Besuch offiziell bezweckt, im Land selbst vermittelt er vor allem eine Botschaft: Recep Tayyip Er­do­ğan, der Mann, der sich gerade anschickt, die Türkei in eine finstere Autokratie zu verwandeln, ist für die wichtigste Regierungschefin der Europäischen Union ein honoriger Gesprächspartner.

Der Grundsatz, man könne sich in der Außenpolitik seine Gesprächspartner nun mal nicht aussuchen, ist in diesem Fall abwegig. Denn es ist Merkel, die in Ankara das Gespräch sucht. Es ist Merkel, die Erdoğan ihre Aufwartung macht – und das zu einem Zeitpunkt, in dem dieser Aufmerksamkeit aus Europa gut brauchen kann.

Schließlich steht Erdoğan kurz davor, das wichtigste Ziel seiner gesamten politischen Laufbahn zu erreichen und sich durch eine neue Präsidialverfassung die Alleinherrschaft in der Türkei zu sichern. Auch wenn die WählerInnen nach wie vor noch alle fünf Jahren einmal ihre Stimme abgeben dürfen, Sinn und Substanz der Demokratie werden mit der neuen Verfassung ausgehebelt. Mit ihrem Besuch legitimiert Bundeskanzlerin Merkel dieses Vorhaben und lässt ein weiteres Mal erkennen, dass ihr die Demokraten in der Türkei völlig egal sind.

Wie schon im Herbst 2015, vor der entscheidenden Wahl am 1. November, als Merkel mit einem Besuch kurz vor der Wahl Erdoğan entscheidende Reputationspunkte verschaffte, signalisiert sie mit ihrem heutigen Besuch erneut, dass ihr das Regime Erdoğans lieber ist als eine demokratische Alternative. Denn Merkel interessiert nur eins: Dass ­Er­do­ğan nicht im Wahljahr 2017 erneut Hunderttausende Flüchtlinge nach Europa ziehen lässt. Dafür verrät sie die Demokratie in der Türkei.

Merkel interessiert nur eins: dass keine Flüchtlinge nach Europa kommen

Sie glaubt, wie auch die türkischen Er­do­ğan-Fans, dass nur das autoritäre Regime des Mannes mit seinen Wurzeln im politischen Islam die Stabilität der Türkei garantieren kann – angeblich die Voraussetzung dafür, dass der Nahe Osten nicht völlig kollabiert. Doch das Gegenteil ist der Fall. Erdoğan ist mit seinem Totalitarismus im Innern und seiner aggressiven Außenpolitik längst selbst zum Sicherheitsrisiko geworden. Vielleicht nicht mehr Merkel als Kanzlerin, aber Deutschland und Europa insgesamt wird das noch schmerzlich erfahren.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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27 Kommentare

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  • WENN...

    im september die "weiter-so"-kanzlerin abgelöst wird, werden wir 12 jahre verluste verbuchen: mit der "verostung der republik" hat zugleich eine "verrostung" eingesetzt: präsident gauck fand dank seiner ddr-vita nur die formel "freiheit von...?",statt "freiheit wozu...?

    die kanzlerin als gelernte fdj-parteisekretärin hat als politisches ziehkind des autokraten kohl das getan, was alle parteisekretäre beherrschen - sich politisch verschweigen, aber im hintergrund maggeln. sie hat nie ein politisch eigenständiges ziel beschrieben - ausser "pkw-maut wird es mit nicht geben" -, stets hatte sie nur verquaste verfahrensvorschläge - wie das parteisekretären eigen ist, "um die kuh vom eis zu holen": "flüchtlings-ströme" - "wir schaffen das" statt fluchtursachen wie kriege und ungleichheit anzugehen, "geld an die türkei" statt einwanderungsregeln und legale fluchtwege nach deutschland. ihr wandel in der atompolitik nach fukushima ist die schlechtere wiederauflage des zustands, der 2005 bestand. "europa" - abgewirtschaftet, weil sie ihrem kettenhund schäuble erlaubte, mit seiner austeritätspolitik die jährlichen handelsbilanzüberschüsse nicht abzuschöpfen, sondern mit verfassungswidrigen unternehmns- und erbschaftssteuerregeln die ungleichheit in europa zu vertiefen. sie wird mir immer mehr zur totengräberin von demokratischen errungenschaften und sozialem ausgleich; sie zerstört die einzige hoffnung, dem erwachten chauvinimus mit einem starken europa gegen den imperialen anspruch der usa zu begegnen. aber ... wir wissen: poitik ist nicht bestenauslese, dort ist viel platz für viele parteisekretäre, für die "demokratie" bis 1989/90 eine nicht erlebte leerformel war - und ist, indem sie unsere republik der finanz- und wirtschaftswelt, den ackermanns und den winterkorns zum frass vorgeworfen hat - armes deutschland.

  • Deutschland ist indirekt daran beteiligt, dass in der Türkei Erdogan sich stark und sicher fühlt, eine Pseudo-Demokratie durch eine Allein-und-Gewaltherrschaft zu ersetzen. Die Opposition sitzt in Haft oder wird gar beschossen, wie etwa die Kurden im Südosten. Diese Verhältnisse nimmt Deutschland bewusst in Kauf - Merkel bringt einen unglaublichen Zynismus auf und unterstützt all dies. Und das ist unglaublich.

  • Ja, türkisches Militär schießt auf syrische Flüchtlinge. Das hat Human Rights Watch wiederholt dokumentiert und angeprangert.

     

    Natürlich müssen AsylantragstellerInnen aus der Türkei aufgenommen werden.

     

    Natürlich gibt es auch im Islam ein universelles humanistisches Element - was durch die Großmachtbestrebungen und Konkurrenzen immer hintenrunter fällt.

     

    und die Leute hier sollten sich entscheiden, mit welcher Kritik sie ageren wollen: Mauerbau und deutscher Imperialismus oder sozialpolitische Opposition im Kontakt mit den anti-Diktaturkämpfen und Umverteilung des Reichtums.

  • Aus welcher Glaskugel stammen die Informationen, was Merkel glaubt?

  • Mich würde mal interessieren, ob syrische Flüchtlinge beim verzweifelte Versuch in die Türkei zu gelangen von türkischen Grenzbeamten erschossen werden? Gehört das auch zum Flüchtlingsdeal mit der Türkei?

    • @Daniblume:

      Dazu ein Bericht von mehreren:

      http://www.taz.de/!5314484/

       

      Frau Merkel redet aber nur davon, dass die Außengrenzen der EU wirkungsvoll gesichert werden müssen. Darüber hinaus wäscht sie ihre Hände in Unschuld. Sie zahlt ja auch nur dafür....

  • Hab ich irgendwas verpasst? Redet Frau Merkel nicht auch mit Oppositionellen? Hat sie nicht Erdogan gerade kritisiert? Aber klar: Einseitige Berichterstattung - einseitige Leserbriefe. So in der Filterblase ists kuschelig.

  • Angela Merkel ist eine tolle Kanzlerin und ist immer bestrebt deutschlands Interessen, bestmöglich wahrzunehmen. Merkel weiß freilich, dass Deutschland eine große Exportnation ist. Deshalb macht Deutschland auch gute Geschäfte mit Saudi Arabien, früher mit Ghaddafi, Saddam Hussein oder Israel. Schließlich "Zuerst kommt das Fressen und dann die Moral", sagt der Volksmund.







    Und, was macht die LINKE, was macht Wagenknecht für Deutschland?



    Dass gerade Wagenknecht, die im Falle Russlands ständig zum Dialog mahnt, bei der Türkei Gesprächsverweigerung fordert, ist weniger sachlich als ideologisch motiviert. [...]

     

    Beitrag gekürzt. Bitte verzichten Sie auf Spekulationen. Danke, die Redaktion

  • Die Frau soll einfach wieder in ihr Robotron-Kombinat zurückverschwinden, wo sie einst aus Latten und fehlerhaften Microchips zusammengenagelt wurde oder Taxi fahren - wie viele andere Physikabsolventen ohne sonstige erkennbare Begabungen auch! Der Schaden, den sie der Demokratie in Deutschland und Europa zugefügt hat, ist kaum noch zu toppen! Erinnert irgendwie an die Minions, wie sie sich bei diesem Verbrecher anbiedert...

  • "..Denn es ist Merkel, die in Ankara das Gespräch sucht. Es ist Merkel, die Erdoğan ihre Aufwartung macht – und das zu einem Zeitpunkt, in dem dieser Aufmerksamkeit aus Europa gut brauchen kann..."

     

    Unsere exFDJ-Sekretärin - Back to the roots.

    Geübte SED-Winkelementeschwingerin -

    Der Firnis dünn. Ab der Lack alllang.

    Kurz der Wahn. Gescheut die Reue.

    Angie asi - Auf´s neue!

    Ja. Sie - tut´s.

    • @Lowandorder:

      Oder die Frage: Wurde die BRD nicht eigentlich an die DDR angeschlossen?

      • @lions:

        Das würde Mielke uns alle liebend by arte freuen & nicht weiter wundern!

        Hannah Arendt aber grad dorten -

        "Keiner hat das Recht zu gehorchen!" &

        "Die Zeiten sich vorbei - wo nur einer bestimmt!" - Als Balken überquerall

        Honis-blöd-Offizial & Mit SED-Bonbon!

        kurz - Was dem einen sein SED-Bonbon

        Is ihr schonn - Diese dammelige Raute!

        Nu. Schon immer mir vor ihr - Graute!

  • Wäre es nicht bei Weitem gerechter, Deutschland würde weiter Flüchtlinge aufnehmen und für jeden eine Rechte Scherge von AfD, Pegida, NPD etc. auf dem Mittelmeer aussetzt, damit sie Gelegenheit bekommen, aus eigener Erfahrung zu lernen, wie sich so eine Situation anfühlt...

    • @amigo:

      Das würde die Betreffenden nur noch verstockter machen.

      Außerdem könnten dann einige auf die Idee kommen Antifa-Leute (oder überhaupt Linke) über dem Mittelmeer (oder dem Sudan) abzuwerfen.

      Ihr Vorschlag Mißliebige nach Afrika zu bringen würde wohl in einer Sackgasse enden. Weil am Ende JEDER sich dieser Gefahr ausgesetzt sieht.

  • "Der Grundsatz, man könne sich in der Außenpolitik seine Gesprächspartner nun mal nicht aussuchen, ist in diesem Fall abwegig."

    ... postfaktisch oder wie?

    Schauen Sie sich die Zustimmungswerte Erdogans im Paralament und der Bevölkerung an und Sie werden erkennen was abwegig ist.

    Der Zug hier was zu ändern ist abgefahren, auch wenn das schmerzlich ist.

     

    Natürlich könnte Sie auch (und am besten nur?) mit der Opposition reden. Schön für die linke Seele aber für die Realpolitik ohne Relevanz.

  • Die große Chance, Erdogan los zu werden, war zur Zeit der Proteste in der Türkei. Etwa 2013. Hätte es da Statements Merkels gegeben, wie dass wer auf sein eigenes Volk schießt, jegliche Legitimation verloren habe und es internationalen Druck gegeben hätte, Solidarisierung mit den Protestanten, die eben nicht nur im Gezi-Park demonstrierten, wäre eine Absetzung möglicher gewesen.

     

    Aber es hieß, er sei nun mal demokratisch gewählt... Auch zuvor wurde Erdogan häufig von der EU für seine "demokratischen Reformen", etwa Verfassungsreform 2010, gelobt. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass die Türkei in der NATO ist. Das jetzt aber auf Merkel abzuschieben, ist etwas billig. Deutsche Medien verhielten sich im Gros über Jahre entsprechend.

  • Den Verrat an den türkischen Demokraten begehen in erster Linie die (Deutsch)Türken die Erdogan gewählt haben und ihm auch weiterhin zujubeln. Soviel Zeit muss sein.

  • "Denn Merkel interessiert nur eins: Dass Erdoğan nicht im Wahljahr 2017 erneut Hunderttausende Flüchtlinge nach Europa ziehen lässt. Dafür verrät sie die Demokratie in der Türkei."

     

    Oder noch deutlicher gesagt: Merkel interessiert nur eins: Sie will auf Biegen und Brechen ihre eigene Macht erhalten. Dafür muss dann eben alles andere geopfert werden: Die Rechte und Interessen von türkischen und deutschen Staatsbürgern sowie die Rechte und Interessen von Flüchtlingen aus aller Welt.

     

    Nicht erst jetzt zeigt die Kanzlerin ihr wahres Gesicht. Das Ganze erinnert erschreckend an die Zeit vor hundert Jahren. Damals wurde von den Mächtigen Europas sogar ein Weltkrieg angezettelt, im Wesentlichen, um das eigene Gesicht zu wahren. Angesichts der jetzigen Verhaltensweisen Merkels muss ernsthaft die Frage gestellt werden, wo bei ihr die moralischen Grenzen politischer Aktionen liegen, wenn es um den eigenen Machterhalt geht.

    • @Urmel:

      Dem schließe ich mich an, und zu den moralischen Grenzen, die gibts nicht.

  • Erdogan macht sowieso was er will, Merkel zu unterstellen, sie erkauft sich ein Stopp der Flüchtlinge ist billig. Ich denke, es ist ähnlich wie bei Trump, narzistisch-diktatorische Autokraten erzeugen Hilflosigkeit und... da muß man wenigstens mit dem Patienten sprechen auch wenn man überhaupt keinen "Bock" hat.

    • @Lore Schmitt:

      Ja wenn da eh nichts bei rauskommt, also völlige Hilflosigkeit, warum also mit dem Narziss erst reden. Auf die Weise, wie merkelsche fühlt sich dieser sogar noch in seiner Eigenart bestätigt. Also recht widersprüchlich, Frau Schmitt.

    • @Lore Schmitt:

      Was hat das jetzt mit "Bock" zu tun? Das Merkel Erdogan ihre Aufwartung macht, verschafft dem ungeahnte Aufwertung. Die türkische Opposition kann das nur als einen Schlag ins Gesicht werten. Schade, Frau Merkel.

  • Wenn die Kanzlerin nach Ankara fährt, um einen "islamistischen Autokraten zu hofieren" (Sarah Wagenknecht), dann wird nur allzu deutlich dass Herr de Maizière falsch liegt, wenn er meint, Frau Merkel brauche keinen Rat diesbezüglich von außen. Sie bräuchte ihn wohl, ignoriert aber offensichtlich alle Bemühungen, ihr einen solchen guten angedeihen zu lassen.

    Sie ruht in sich selbst und das in immer gefährlicher werdender Hartnäckigkeit (Sturheit?)

    Diese Anbiederei an Erdogan ist einfach nur noch widerlich.

    Die Auswirkungen werden fatal.

    • @Trabantus:

      Da haben Sie und Wagenknecht eben etwas missverstanden . Merkel fährt nicht dorthin, um einen islamistischen Autokraten zu hofieren, sondern um konkrete Probleme mit einem ungeliebten, aber real existierenden Politiker (Flüchtlingsabkommen, das im Sinne Wagenknechts die Flüchtlinge von D. fernhält, Rückweisung der Forderung Erdogans auf Auslieferung der türkischen Soldaten etc) aus dem Weg zu räumen.

      Und diese Probleme stehen jetzt(!) an.

      Welche Lösungsvorschläge haben Sie oder Wagenknecht ?

      • @Parisien :

        Ist schon drollig, zitiert man Frau Wagenknecht, sofort mit ihr gleichgesetzt zu werden.

        Irgendwie phobisch, oder ;-)

        • @Trabantus:

          Lesen Sie doch mal Ihre Begründung, warum Merkel Beratung braucht: Weil W. dies und das gesagt hat.

          Und was daran phobisch ist, müssen Sie mit sich selbst ausmachen.

          • @Parisien :

            Fallen Ihnen denn so gar keine weiteren Gelegenheiten ein, wo eine Berater*in im Zuge von Entscheidungen von Frau Merkel hilfreich gewesen wäre? (Außer Frau Wagenknecht natürlich ;-))