Kommentar Marco Bülows SPD-Austritt: Richtiger Schritt zur falschen Zeit
Der SPD-Linke Marco Bülow hat der Partei den Rücken gekehrt. Das mag nachvollziehbar sein, doch es schwächt den kraftlosen linken Flügel weiter.
D ie Liste der strategischen Fehler der SPD ist ziemlich lang. Es war nicht klug, Martin Schulz autoritär von seinem Vorgänger inthronisieren zu lassen und unvorbereitet in den Wahlkampf zu schicken. Es war nicht klug, in diesem Wahlkampf kein erkennbares Thema zu haben. Es war nicht klug, danach erst mit dröhnender Entschlossenheit die Große Koalition auszuschließen, und dann verdruckst eine Wende um 180 Grad zu vollziehen.
Die SPD regiert seit 1998 mit einer kurzen Unterbrechung – und hat an der Seite der Union dramatisch an Erkennbarkeit verloren. Die Große Koalition wirkt wie ein Wackerstein, der die SPD in Tiefe zieht. Ob die CDU der SPD den Gefallen tut, Friedrich Merz zu wählen und die Groko zu beenden, ist zweifelhaft. Nach den Wahldebakeln in Bayern und Hessen hielt es die SPD-Spitze für eine gute Idee, gemeinsam vor Kameras zu posieren anstatt sich selbst radikal in Frage zu stellen.
Die Liste lässt sich fortsetzen. Der SPD-Linke Marco Bülow hat der Partei nun den Rücken gekehrt. Ist das nicht logisch angesichts der Dickfälligkeit der SPD-Spitze, die scheinbar regungslos ihrem Untergang zuschaut? Anscheinend ja. Aber der Zeitpunkt ist seltsam. Warum jetzt und nicht nach dem Eintritt in die Große Koalition? Jetzt ist das Bild finster, aber nicht monochrom. Die SPD löst sich, ausgelöst durch die Wahldesaster, von Hartz IV und unterzieht die Agenda einer kritischen Revision. Wie viel Panik dabei im Spiel ist und wie viel Opportunismus, wie viel seriöse und schonungslose Selbstkritik, wie viel echter Wille, sich als Mitte-links-Partei neu zu erfinden, das ist offen.
Aber: Die Krise ist derartig heftig, dass die SPD zum ersten Mal seit Jahren in der Lage zu sein scheint, endlich mit der Agendapolitik zu brechen. Auch das wäre keine Garantie fürs Überleben, aber eine Chance. Die zu nutzen wird nur gelingen, wenn die SPD-Linke, ein weitgehend blutarmes Geschöpf, diesen Prozess vorantreibt. Bülows Austritt mag nachvollziehbar sein. Aber er kommt zur falschen Zeit. Er schwächt den Flügel, der das Gegenteil braucht: mehr Entschlossenheit und Stärke.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin