Kommentar Lungenarzt-Rechenfehler: Keine Bühne für Scharlatane
Eine Einzelmeinung ohne Expertise, die zudem Rechenfehler enthält: Lungenarzt Köhler so viel Raum zu geben, war ein Fehler.
D ie Stellungnahme der 107 LungenärztInnen, die im Januar so viel Aufsehen erregt hat, ist ein Musterbeispiel dafür, was schiefläuft im Spiel zwischen Medien, Wissenschaft und Politik. Problematisch ist dabei nicht so sehr, dass bis heute niemandem die Rechenfehler aufgefallen sind, die das Dokument enthält. Wenn das keiner der 107 ÄrztInnen gemerkt hat, die das Dokument unterzeichnet haben, kann man das auch von JournalistInnen nicht ohne Weiteres erwarten.
Die falschen Zahlen und Rechnungen verstärken nur die Zweifel an der Kompetenz des Hauptautors Dr. Dieter Köhler, die ohnehin offensichtlich waren. Der pensionierte Lungenfacharzt hat nie wissenschaftlich zum Thema Stickoxid publiziert und ignoriert den aktuellen Stand der Forschung. Darauf haben WissenschaftlerInnen, die tatsächlich zu diesem Thema arbeiten, von Anfang an hingewiesen.
Trotzdem hat Köhler eine große Bühne bekommen, dominierte Titelseiten und Talkshows gleichermaßen. In Bild und Welt durfte er seine Thesen anfangs ohne jede Einordnung oder Zweitmeinung äußern, was eindeutig nach einer gezielten Kampagne aussieht. Andere Medien arbeiteten sorgfältiger und kontrastierten Köhlers Darstellung mit der Fachwelt – doch auch hier musste bei vielen LeserInnen oder ZuschauerInnen die Meinung entstehen, dass sich die „ExpertInnen“ nicht einig sind und unterschiedliche Einschätzungen gleichberechtigt gegeneinander stehen.
In Wahrheit steht die Meinung eines einzelnen Arztes, der selbst nicht forscht, aber allen WissenschaftlerInnen, die Stickoxid und Feinstaub für gefährlich halten, Datenmanipulation vorwirft, gegen die gesammelte Meinung der weltweiten Gesundheitsforscher. Verstärkt wurde das Problem, das viele Medien nicht korrekt dargestellt haben, dadurch, dass es in der Öffentlichkeit wie in der Politik viele Akteure gibt, die die Grenzwerte nur zu gern infrage stellen möchten und denen dazu jeder noch so dubiose Kronzeuge recht ist.
Dass sich Politiker wie CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer, dessen Pressesprecher übrigens vorher bei der Bild gearbeitet hat, auf angebliche Fakten stürzen, die ihnen politisch ins Programm passen, können Medien natürlich nicht verhindern.
Ebenso wenig die Tatsache, dass sich durch Köhler viele Menschen in ihrer Meinung bestärkt sehen, dass die geltenden Grenzwerte eine einzige große Verschwörung finsterer Mächte sind. Aber JournalistInnen sollten in Zukunft durch sorgfältige Gegenrecherche zumindest stärker dazu beitragen, dass Scharlatane nicht mehr Aufmerksamkeit bekommen, als angemessen ist.
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