Kommentar Kritik an der Kanzlerin: Die ganz große Anti-Merkel-Koalition

Nach der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern prügeln die Parteien links der Union auf die Kanzlerin ein. Davon profitiert nur die AfD.

Nahaufnahme von Angela Merkels Augenpartie und Haaren

Die Probleme der Kanzlerin führen einige bei SPD, Linken und Grünen in Versuchung Foto: dpa

Es ist schon ein bisschen billig. SPD-Chef Sigmar Gabriel schimpft, „Frau Merkel“ habe es nur beim Satz „Wir schaffen das“ belassen. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kritisiert, die Große Koalition habe verabsäumt zu sagen, „wie das zu schaffen ist“. Und Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht macht ihrem Ärger angesichts von „Merkels unsäglicher Politik“ Luft – einschließlich deren Flüchtlingspolitik. Nach der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern wird auf die Kanzlerin eingeprügelt, sie ist der Sündenbock beziehungsweise die Sündenziege.

Die Parteien links der Union geben sich einer Dynamik hin, die von der AfD ausgeht. Die Rechtspopulisten haben gekonnt Angst und Aggression angefacht, vor der sich SPD, Linke und Grüne nun fürchten. Den Missmut möchten sie an sich vorbeiziehen lassen, indem sie ihn auf Merkel lenken. Doch was sich daraus ergibt, ist ein bizarrer Schulterschluss mit der AfD, eine ganz große Kampagnenkoalition gegen die Kanzlerin.

Das Motiv ist nicht bloß Feigheit. Die Probleme der Kanzlerin führen einige bei SPD, Linken und Grünen tatsächlich in Versuchung. Ein Jahrzehnt hat sich die Politik der Republik um die CDU-Chefin gedreht. Aber ein Jahr vor der Bundestagswahl steckt Merkel in der Bredouille. Vergleiche zu den letzten Regierungsjahren von Helmut Kohl machen die Runde. Das Kalkül geht so: Egal, ob wir es damals mit den Flüchtlingen genauso gehalten hätten oder haben – sie ist angeschlagen, vor der Bundestagswahl 2017 können wir sie schwach machen wie nie.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Deutliche Kritik an Merkel ist berechtigt. Ihre Steuer-, Sozial- oder Rüstungsexportpolitik etwa muss in den bevorstehenden Wahlkämpfen in Bund und Ländern aufgespießt werden. Auch ihre Entscheidungen und Pläne in Flüchtlingsfragen dürfen inhaltlich kritisiert und abgelehnt werden. Doch so wird die Debatte eben nicht intoniert.

Sachfragen – etwa die Finanzierung der Integration – werden eher unbeholfen vorgeschoben. Die ständige, fast höhnische Wiederholung des „Wir schaffen das“ verrät, dass die Kritik Befindlichkeiten abfischen will. Auf einmal entstehen viele Anti-Merkel-Parteien, bei denen es gegen die Selfie-Kanzlerin und ihren ach so gefährlichen Symbolsatz geht. Von dieser Erzählung wird allerdings nur das Original profitieren: die AfD.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Viele Jahre bei der taz als Volontär, Redakteur, Reporter und Chefredakteur.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.