Kommentar Kölner Wahlskandal: Stadt im Niedergang
Köln hat eine lange Klüngel-Tradition, NRW eine lange Geschichte des SPD-Filzes. Der Wahlskandal nun kostet Rot-Grün die Mehrheit im Stadtrat.
A uf den ersten Blick kann man den Skandal rund um die Neuauszählung der Stimmen in Köln-Rodenkirchen für eine Lokalposse halten. Sie ist es aber nicht. Die Domstadt hat eine lange Klüngel-Tradition, Nordrhein-Westfalen eine lange Geschichte des SPD-Filzes. Aber am Heiligsten der Demokratie, den Wahlen, hat sich vor Rodenkirchen noch niemand zu vergreifen versucht.
Die Kölner SPD verweigerte monatelang eine Neuauszählung und wurde dabei vom Düsseldorfer Innenministerium unterstützt, obwohl offensichtlich war, dass Wahlhelfer die Stapel der SPD- und CDU-Stimmen verwechselt haben mussten: Zustände, die man bisher in den USA für möglich gehalten hätte, nicht aber in Deutschland. Jetzt brachten die Sozialdemokraten nicht einmal eine Entschuldigung zustande, nur eine verquaste Erklärung.
Köln befindet sich seit Langem auf dem absteigenden Ast. Was die Stadt auch überregional interessant gemacht hat, die innovative Musikszene etwa, ist längst nach Berlin abgewandert. Geblieben ist die Provinzliebe zum FC und zum Karneval. Die Stadt müsste sich neu erfinden, kann es aber nicht, weil ihre politische Führung im Klüngel feststeckt. Die jetzige SPD-Spitze stieg in der Partei auf, als um die Jahrtausendwende die damalige Führung von Affären dahingerafft wurde. 2009 nahm CDU-OB Fritz Schramma nach dem Einsturz des Stadtarchivs den Hut. Jetzt also der Wahlskandal von Rodenkirchen, der Rot-Grün die Mehrheit im Rat kostet.
Die Linken, die sich ebenfalls gegen eine Neuauszählung ausgesprochen hatten, fordern nun die Bildung einer „progressiven, linken Mehrheit im Rat“ unter Einschluss von Piraten und ihnen selbst. Aber ein Bündnis von Parteien, die nach Wahlen keinen Wert auf das richtige Ergebnis legen, kann niemals progressiv sein.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott