piwik no script img

Kommentar „Kalifat“ im IrakGrausamkeit und Größenwahn

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Das „Kalifat“ der Isis-Miliz im Irak ist weit weg davon, ein wirklicher Staat zu sein. Doch seine Ausrufung hat ohnehin eher propagandistische Zwecke.

Schreckensgeschichten überall, wo die schwarze Fahne der Isis weht. Bild: reuters

E in Kalifat, das klang mal nach Tausendundeiner Nacht, nach Harun al-Raschid und Scheherazade. Doch ein märchenhaftes Großreich voller Prunk und Verschwendung ist nicht gerade das, was Miliz-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi und seinen Dschihadisten vorschwebt. Sie orientieren sich nicht am ausschweifenden Lebensstil früherer muslimischer Herrscher, sondern an einer imaginierten Frühzeit des Islam, die sie sich als besonders asketisch und zugleich brutal ausmalen. Überall, wo ihre schwarze Fahne weht, machen sie durch extreme Grausamkeiten von sich reden.

Die vielen Berichte über Massenerschießungen und sogar Kreuzigungen, die über ihr Terrorregime kursieren, sind zwar schwer nachprüfbar – aber sie verfehlen ihre Wirkung nicht. Sie festigen den Ruf der Dschihadisten, „grausamer als al-Qaida“ zu sein, und verbreiten Angst und Schrecken.

In dieser Logik hat auch die eilige Ausrufung eines „Kalifats“, keine drei Wochen nach der Einnahme der Stadt Mossul, vor allem propagandistische Gründe. Die Audiobotschaft, professionell in verschiedenen Sprachen und symbolträchtig zum ersten Tag des Fastenmonats Ramadan lanciert, zeigt, wie sicher sich die Dschihadisten ihrer Sache wähnen, jetzt, wo sie große Teile des Irak überrannt haben. Das Versprechen, hier den Traum von einem Gottesstaat zu erfüllen, soll weitere potenzielle Mitkämpfer ins Zweistromland locken helfen.

Ihre Hybris kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei der Miliz weder um eine klar definierbare Organisation handelt noch bei ihrem „Kalifat“ um einen Staat auf fest umrissener religiös-ideologischer Grundlage. Den Erfolg verdanken die Dschihadisten vielmehr dem Versagen der Zentralregierung in Bagdad, die die Hauptschuld am Zerfall des Landes trägt. Eine heterogene Koalition sunnitischer Stämme fühlt sich von Premier al-Maliki im Stich gelassen. Sie und ehemalige Anhänger von Saddam Hussein haben sich mit den Milizen gemeingemacht, die sich stark auf ausländische Kämpfer aus Tschetschenien, Libyen und Afghanistan stützen.

Man darf gespannt sein, wie diese Allianz jetzt auf den Größenwahn von Milizchef Abu Bakr al-Baghdadi reagiert, der sich mit seiner Botschaft zum religiösen und politischen Oberhaupt nicht nur aller Sunniten im Irak aufschwingen möchte, sondern gleich aller Muslime weltweit. Das ist eine Kampfansage an alle möglichen Herrscher in der Region, die sich ebenfalls religiös legitimieren, ob in Jordanien, Saudi-Arabien oder Marokko. Es ist aber auch eine Provokation für alle frommen Muslime, die mit Gewalt nichts am Hut haben. Sie müssen ihm jetzt seinen vermessenen Anspruch streitig machen, theologisch und ganz praktisch.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • D
    D.J.

    Naja, Herr Bax, wir sollten aufpassen, dass wir den "ausschweifenden Lebensstil" mancher Kalifen nicht romantisieren. Harem heißt schließlich nichts anderes als das lebenslange Gefangenhalten von Sklavinnen. Waren diese Frauen ja fast alle, da der Koran ja neben den vier legitimen Ehefrauen "nur" den sexuellen Verkehr mit eigenen Sklavinnen (geschenkt, gekauft oder erbeutet) erlaubt. Sollten wir trotz des hohen Einflusses einiger dieser Sklavinnen nicht vergessen.

    • D
      D.J.
      @D.J.:

      Sprachliche Korrektur, sonst missverständlich: "Harem bedeutet" statt "Harem heißt".

  • Genauso wie Al-Kaida (für den Kampf gegen die bösen kommunistischen Russen in Afghanistan) ist auch ISIS von der amerikanischen CIA ins Leben gerufen worden und wird weiterhin von ihr unterstützt.

    Wir wissen, wo unsere wirklichen Feinde sitzen!

    • @Martin1:

      Ist denn unter deinem Alu Hut noch immer nicht angekommen, daß man Al-Kaida und die Mudschahedin nicht verwechseln sollte?

      Das kann doch nicht so schwer sein.

      • D
        D.J.
        @Lasse Einparkinson:

        Verschwörungstheoretiker sind Quasi-Religiöse. Fast sinnlos, denen mit Fakten zu kommen.