Kommentar Inobhutnahmen in Hamburg: Die Angst vor dem bösen Staat
Mit dem Herausnehmen von Kindern aus ihren Familien wähnen sich Jugendamtsmitarbeiter auf der sicheren Seite. Doch sie erzeugen Leidensdruck.
E s wäre vermutlich falsch, jetzt sofort hektisch hunderte von Kindern aus ihren Heimen zu holen. Doch die Führungsetage der Hamburger Sozialbehörde sollte gucken, wie es den Kindern in auswärtiger Unterbringung geht – und Fälle mit Kontaktverbot zu Eltern überprüfen. Wie kam es dazu, wer hat es veranlasst, will das Kind seine Eltern sehen?
Die vergangenen Jahre waren geprägt von medial groß aufgearbeiteten tragischen Fällen wie dem Tod der kleinen Jessica 2005 und Kevin 2006. Dann wurden die Gesetze verschärft. Nach dem Motto: Wir gucken nicht mehr weg, der Staat greift ein und rettet jedes Kind. Es hieß Kinder gegen Eltern.
Die Jugendämter erhielten die Befugnis, ohne Gerichtsentscheid ein Kind in seine Obhut zu nehmen. Das Gesetz zur „Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen“ machte es möglich, Kontaktverbote für Eltern zu verhängen. Und seither muss ein Gericht den Eltern nicht mehr nachweisen, dass sie in der Erziehung versagen, wenn man ihnen das Sorgerecht nimmt.
Doch engagierte Jugendamtsmitarbeiter warnten davor, dass ihr Amt so zu einer Schreckenseinrichtung wird, Teil eines bösen Staats, vor dem die Menschen Angst haben müssen. Inzwischen sind jüngere Kollegen da und die Zahl der Inobhutnahmen steigt rasant. Was mal als äußerstes Mittel galt, wird augenscheinlich zum Mittel der ersten Wahl.
Mit dem Herausnehmen von Kindern aus ihren Familien wähnen sich Jugendamtsmitarbeiter auf der sicheren Seite. Doch sie erzeugen Leidensdruck bei Kindern und Eltern, die keine Lobby haben.
Die Gesetzesverschärfungen der Nullerjahre gehören überprüft. Es wäre ein guter Schritt, wenn sich die von Markus Weinberg (CDU) geforderte Kommission zügig an die Arbeit macht.
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