Kommentar IWF und Griechenland: Verabschiedete Demokratie

Der Internationale Währungsfonds muss dringend raus aus Europa. Er stellt Ultimaten, die Griechenland wirtschaftlich ruinieren werden.

Christine Lagarde und Mario Draghi im Gespräch

IWF-Chefin Lagarde und EZB-Chef Draghi mussten sich keinem demokratischen Votum stellen. Foto: dpa

Es sind verstörende Fotos, die derzeit aus Brüssel übermittelt werden. Immer wenn es bei den Verhandlungen mit Griechenland wichtig wird, sind die gleichen Granden abgebildet. Da sieht man dann EZB-Chef Mario Draghi – nicht demokratisch gewählt. Neben ihm steht IWF-Präsidentin Christine Lagarde – nicht demokratisch gewählt. Außerdem ist noch Rettungsschirm-Chef Klaus Regling anwesend – nicht demokratisch gewählt. Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker musste sich nie einem echten Votum der Bürger stellen.

Nur der Premier Alexis Tsipras wurde tatsächlich von den Griechen ins Amt gehoben. Ein einsamer Regierungschef begegnet vier Technokraten.

Diese Bilder aus Brüssel zeigen, dass die Eurokrise weit mehr ist als nur ein Schuldenproblem. Die Demokratie wird entmachtet und vermeintlichen Sachzwängen unterstellt.

Besonders seltsam ist die Rolle des IWF. Was hat er eigentlich in Europa zu suchen? Diese Frage stellen sich auch viele Mitarbeiter des IWF. Bekanntlich sitzt diese Institution in Washington, hat 188 Mitgliedsstaaten und ist eigentlich dazu gedacht, bei Währungsturbulenzen einzugreifen und überschuldete Entwicklungs- und Schwellenländer zu unterstützen. Das reiche Europa gehörte bisher nicht zu seinem Einsatzgebiet.

Extrem reiche Entwicklungsländer

Doch jetzt haften ausgerechnet arme Länder wie Kenia oder Sambia für Kredite, die an das deutlich wohlhabendere Griechenland fließen. Indem sich die Eurozone dem IWF ausgeliefert hat, hat sie sich selbst zu einer Ansammlung von Entwicklungsländern deklariert. Ein extrem reicher Kontinent tut so, als könne er die eigenen Schulden nicht finanzieren. Seltsamer geht es nicht.

Der finanzielle Beitrag des IWF war allerdings nie groß. Stattdessen sollte er vor allem technische „Expertise“ liefern, wie man mit überschuldeten Staaten umgeht. Seit Frühjahr 2010 ist der IWF in Griechenland im Einsatz, und seine Bilanz fällt vernichtend aus.

Der IWF bewegt sich in einer Scheinwelt, die durch die eigene Machtfülle komplett abgeschirmt ist. Die Ideologie lautet: Wer hart spart, der wächst. Es kam anders, wie inzwischen jeder weiß. Die Griechen kürzten zwar ihren Staatshaushalt um über 30 Prozent – aber Wachstum stellte sich nicht ein. Stattdessen schrumpfte die Wirtschaft um ebenfalls 28 Prozent, und die offizielle Arbeitslosigkeit schnellte auf etwa 27 Prozent hoch.

Doch der IWF bleibt unbeeindruckt. Bei den jetzigen Verhandlungen verlangt er erneut, dass die Griechen sparen. IWF-Chefvolkswirt Olivier Blanchard hat es jüngst in seinem Blog vorgerechnet: Vor allem bei den Renten sollen noch einmal 1,8 Milliarden Euro herausgekürzt werden – also 1 Prozent der griechischen Wirtschaftsleistung. Blanchard ist gern bereit, von den Griechen andere Sparvorschläge entgegenzunehmen. Aber 1 Prozent der Wirtschaftsleistung muss sein.

Diktat statt Verhandlungen

Diesen Wahnsinn wollte Tsipras bisher nicht unterschreiben. Wenn die Renten erneut sinken, sinkt auch die Nachfrage – und die griechische Wirtschaft schrumpft weiter. Am Ende wären die griechischen Schulden nicht geringer, sondern sogar höher. Doch Gegenargumente interessieren den IWF nicht, wie Blanchard klar erkennen lässt. Seine Behörde verhandelt nicht. Sie diktiert und stellt Ultimaten.

Genau das macht ihren Charme aus. Jedenfalls für Kanzlerin Merkel. Ihre Idee war es 2010, den IWF nach Europa zu holen – und seither wälzt die deutsche Regierung alle Verantwortung auf die Troika ab.

Dieser Trick war auch am Freitag zu beobachten, als Gerüchte die Runde machten, die Eurozone hätte den Griechen einen „neuen Deal“ angeboten. Dabei glich dieses Angebot genau den Vorschlägen, die die Troika schon immer unterbreitet hatte. Neu ist nur, dass das Hilfsprogramm bis November laufen könnte. „Dann macht auch der IWF mit“, raunten deutsche Politiker. Genau. So kann man den Abschied von der Demokratie auch nennen.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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