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Kommentar Hilfsgüter für VenezuelaTaktisches Verhältnis zum Leid

Bernd Pickert
Kommentar von Bernd Pickert

Guaidó inszeniert sich als um die Menschen besorgter Präsident. Doch scheint er zur Not der Bevölkerung ein taktisches Verhältnis zu haben.

Es geht ihm um die Inszenierung: Juan Guaidó Foto: reuters

E ine politische Show sei es, was der selbsternannte Interimspräsident, der oppositionelle Parlamentschef Juan Guaidó, da gerade veranstalte, erklärt Venezuelas amtierender Präsident Nicolás Maduro tagein, tagaus. Und einmal, diesmal, hat er recht.

Denn der Zweck der von Guaidó vermarkteten US-Hilfsgüter ist ganz sicher nicht die Linderung der Not der venezolanischen Bevölkerung. Wenn das so wäre, könnten die Hilfsgüter über einen der anderen Grenzübergänge, zur Not zu Fuß, ohne Weiteres ins Land gebracht werden.

Aber darum geht es Guaidó und der US-geführten Anti-Maduro-Allianz eben nicht. Sondern es geht um die Produktion genau jener Bilder, die gerade um die Welt gehen: hier ein um die Menschen besorgter legitimer Präsident Juan Guaidó, dort der skrupellose Diktator Nicolás Maduro, der das Militär einsetzt, um zu verhindern, dass seinem notleidenden Volk von den Falschen geholfen wird. Das ist ziemlich widerlich.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Maduro selbst steht dem in nichts nach. Seit den verlorenen Parlamentswahlen Ende 2015, die der Opposition die Mehrheit bescherten, hat er die Verfassung ausgehebelt und das Parlament entmachtet, die Pressefreiheit weiter eingeschränkt und mit nichts auch nur angedeutet, dass er eine Idee hätte, wie er die selbstverschuldete Krise der venezolanischen Wirtschaft mit ihren katastrophalen sozialen Auswirkungen lösen könnte.

Es geht um die Produktion genau jener Bilder: hier ein um die Menschen besorgter Juan Guaidó, dort der skrupellose Diktator Nicolás Maduro

Wenn „das Volk“ hinter ihm steht, wie er bei jedem Auftritt vor bewaffneten Bataillonen und seiner in Caracas vergangene Woche auf die Straße gebrachten Basis versichert, dann würde er auch in sauberen Wahlen wiedergewählt werden. Wenn nicht, und dafür spricht vieles, gehört er definitiv nicht in den Präsidentenpalast.

Mit ausländischen Sanktionen allerdings die Krise noch zu verschärfen und sich dann zwischen Babynahrung als Retter der Notleidenden filmen zu lassen, wie Guaidó das gerade tut, ist eklig. Und lässt vermuten, dass auch diese Opposition zur realen Not der Bevölkerung ein rein taktisches Verhältnis hat.

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Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
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14 Kommentare

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  • Verstehe die Logik des Kommentars nicht: Wenn die Hilfsgüter nur „ for show“ sind - warum lässt Maduro sie nicht rein? Er könnte dann doch locker zeigen, dass sie nicht nötig sind (was er natürlich nicht kann). Und was ist denn falsch daran, das Maduro- Regime auch mit kraftvollen Symbolbildern anzugehen? Nur weil die Container aus den USA kommen? Die These, dass die Sanktionen die Krise verschärften, ist angesichts der sich seit Jahren hinschleppenden Misere lachhaft.

    • @Heiliger Stein:

      "Verstehe die Logik des Kommentars nicht: Wenn die Hilfsgüter nur „ for show“ sind - warum lässt Maduro sie nicht rein?"

      Dazu müssten sie erst einmal vor der Tür stehen.

  • 9G
    96177 (Profil gelöscht)

    "Taktisches Verhältnis zum Leid"

    wer was anderes erwartet hat, dem kann man zu so viel Naivität nur gratulieren. Der glaubt auch noch an die Verbreitung von freedom und democrazy, wenn die USA mal wieder auf Befreiungsfeldzug sind.

  • "Seit den verlorenen Parlamentswahlen Ende 2015, die der Opposition die Mehrheit bescherten, hat er die Verfassung ausgehebelt und das Parlament entmachtet"

    Ist dem denn so? Leider bringt die taz irgendwie nie genauere Analysen zu diesem Vorwurf. Hintergrund der Entmachtung des Parlaments ist der Vorwurf, dass 3 dem Oppositionsbündnis MUD nahestehende, indigene Abgeordnete angeblich auf Video dokumentiert Stimmen gekauft haben. Das ist insofern brisant, weil diese drei Abgeordneten der MUD die Zweidrittelmehrheit eingebracht haben, mit der sie laut Verfassung Präsidialdekrete kippen können. Im Übrigen war ein Abgeordneter der Regierungspartei PSUV vom gleichen Vorwurf betroffen. Vor Bekanntwerden der Vorwürfe hatte Maduro die Wahlniederlage akzeptiert. Ein paar Wochen später, nachdem die Vorwürfe ans Licht gekommen waren, hat dann das Oberste Gericht die Mandate aller Betroffenen für zunächst ungültig erklärt. Die Opposition hielt das für nicht rechtmäßig und hat die Abgeordneten trotzdem vereidigt und damit Fakten geschaffen. Darauf hin gab es einiges hin und her und letztlich folgte dann Anfang 2017 tatsächlich die Entmachung des Parlaments. Auf Grundlage der venezolanischen Verfassung, wohlgemerkt, durchgesetzt durch das Oberste Bundesgericht - das ähnlich wie auch hier in Deutschland politisch besetzt wird. Man kann das sicher an vielen Stellen berechtigt als undemokratisch kritisieren - aber das Bild wird deutlich weniger schwarz-weiss, wenn man solche Hintergrundinformationen einbeziehen würde.

    • @Kawabunga:

      Danke für die Hintergründe!

      • @Sandor Krasna:

        Ein paar weitere Fakten:



        Das "Tribunal Supremo", also oberste Gericht ist nicht nur hochgradig politisch, sondern auch unter Verstoß gegen Artikel 264 der Verfassung besetzt worden. Dieser schreibt einen mind. 30tägigen mehrstufigen Auswahlprozess vor. Besetzt wurde aber am 23.12.2015 in einem Schnellverfahren, obwohl die Legislaturperiode des Parlaments bereits am 15.12. beendet war. Hintergrund dafür waren die Wahlen vom 6.12.2015, in denen die Opposition die Mehrheit gewonnen hatte. Maduro wollte schlichtweg verhindern, dass das neu gewählte Parlament Einfluss auf die Besetzung des Gerichts nehmen kann. (also ähnlich schäbig wie Trump, der noch schnell seinen extrem rechten Richter durchgeprügelt hatte … dabei im Gegensatz zu Maduro aber zumindest keinen Verfassungsbruch beging). Vor dem Hintergrund dieser Information sollte man recht gut Vorwürfe und Entscheidungen gegen Parlamentarier einordnen können.



        Die Entmachtung des Parlaments geschah faktisch durch die Konstituierung der „Asamblea Constituyente“ (Verfassungsgebende Versammlung), die ebenfalls unter Missachtung der geltenden Verfassung zustande kam. Laut Artikel 348 kann der Präsident die Initiative für eine solche Versammlung starten, muss aber gemäß Artikel 347 das Volk befragen, ob es Wahlen zu einer solchen Verfassungsgebenden Versammlung geben soll. Im Wissen um die Stimmung in der Bevölkerung verzichtete Maduro auf eine Volksbefragung und verstieß somit erneut gegen die Verfassung.



        Ein Bild wird erst wirklich bunt, wenn man alle Hintergründe beleuchtet.

  • Der erste vernünftige Kommentar zur Situation in Venezuela und zum "Gegenpapst".

  • "könnten die Hilfsgüter über einen der anderen Grenzübergänge, zur Not zu Fuß, ohne Weiteres ins Land gebracht werden."

    Tolle Idee des Autors, logistisch allerdings nicht ganz ohne bei mehreren Tonnen. Zu glauben, das Militär des Diktators würde tatenlos zuschauen, wenn die LKWs in Richtung eines anderen Grenzübergangs bewegt werden, halte ich jedoch für ein wenig naiv.



    Offenbar hatte man in Venezuela schon zuvor genau die selbe Idee. Auf der Webseite www.voluntariosxvenezuela.com können sich Freiwillige registrieren. Nach Medienberichten sollen es bereits 250.000 Menschen sein. Für den 23.2. ist eine Massenkarawane geplant, um die Güter von Cúcuta über die Grenze zu holen.



    Ich bin gespannt, ob das Militär des Diktators die Menschen passieren lässt.

    • @Claudia M.:

      " Zu glauben, das Militär des Diktators würde tatenlos zuschauen, wenn die LKWs in Richtung eines anderen Grenzübergangs bewegt werden, halte ich jedoch für ein wenig naiv."

      Man könnte es ja probieren und damit Maduro unter Druck setzen.

    • @Claudia M.:

      Wieso bringt man Güter an einen Grenzübergang, der seit 2014 geschlossen ist?

    • @Claudia M.:

      Bei Cúcuta gibt es zwei weitere Grenzübergänge die mit LKWs überquert werden können. Und auf der venezolanischen Seite werden die Menschen bereits durch die Hilfskräfte der Regierung (Maduro) versorgt.

  • Im aktuellen medico newsletter ist ein sehr gutes aktuelles Interview zu der dortigen Situation. Erinnert mich ein wenig an die Sandinisten.....

  • "Denn der Zweck der von Guaidó vermarkteten US-Hilfsgüter ist ganz sicher nicht die Linderung der Not der venezolanischen Bevölkerung. Wenn das so wäre, könnten die Hilfsgüter über einen der anderen Grenzübergänge, zur Not zu Fuß, ohne Weiteres ins Land gebracht werden."

    So ist es. Der nächste reguläre und ganz normal geöffnete Grenzübergang ist nur wenige Kilometer von der Brücke entfernt. Was mich verwundert ist wie nachlässig und schlecht die Propaganda von Guaidó mittlerweile inszeniert wird, da hätte selbst ein Relotius seine Schwierigkeiten eine gute Story draus zu basteln.

  • Vielen Dank. Endlich lese ich mal eine andere Perspektive.



    Hier ein Kommentar zu Venezuela von Mike Prysner, den ich empfehlen kann,



    weil er sich mit USAID auseinandersetzt und den das in Relation setzt mit den



    anderen 56! US Interventionen in Südamerika:



    www.youtube.com/watch?v=_fV-C1Ag5sI