Kommentar Flugzeugabsturz: Warum uns dieses Unglück nahegeht
Ist es nationalistisch, Betroffenheit nach dem Absturz eines deutschen Jets zu zeigen? Nicht unbedingt, es zeigt erst einmal nur: Wir fühlen lokal.
H undertfünfzig Menschen kommen beim Absturz einer Maschine der Fluggesellschaft Germanwings ums Leben. Wir sind schockiert, betroffen, traurig. Alle Zeitungen berichten groß, Merkel sagt alle Termine ab, auf allen Fernsehkanälen kommen Fachleute und Betroffene zu Wort. In den sozialen Netzwerken wird aber genau darüber genörgelt: Nur weil unter den Opfern vor allem Deutsche sind, zeigen wir so viel Betroffenheit. Das gleiche Unglück woanders wäre uns keine Zeile wert.
Das stimmt. Ein Flugzeugabsturz in Bangladesch wäre allenfalls ein Kurzmeldung. Das hat aber weder mit überbordendem Nationalismus noch mit internationaler Ignoranz zu tun, wie die weltwärts blickenden Kommentatoren über Twitter und Facebook geflissentlich unterstellen.
Nein, das Airbusunglück der deutschen Fluggesellschaft geht uns nahe, weil es uns nahe ist. Wir identifizieren uns damit; es hätte uns selber treffen können, einen Geliebten oder Angehörigen. Es untergräbt unser Gefühl von Sicherheit mehr, wenn das eigene Haus brennt, als ein Erdbeben in Somalia. Und es schürt unsere Flugangst mehr, wenn die als sicher geltende Lufthansa-Tochter betroffen ist, als ein anonyme Billigairline in Malaysia.
So funktionieren wir. Empathie, Mitgefühl hat immer etwas mit Sich-hinein-versetzen-Können zu tun, und das fällt uns selbstverständlich leichter, wenn es unsere vertraute Umgebung, das bekannte Gegenüber betrifft.
Lokal fühlen
Es ist pure Heuchelei, so zu tun, als würden wir uns gegen Unterdrückung in Afrika genauso einsetzen wie gegen die eigene Unterdrückung vor Ort. Es ist auch verlogen, dass uns die Interessen der Fabrikarbeiter in Bangladesch genauso beschäftigen wie die eigenen Lohnverhandlungen. Und wenn bei dem Flugzeugunglück die Zahl der 67 deutschen Passagiere zuerst genannt wird, so ist auch das nicht nationalistischer Engstirnigkeit geschuldet, sondern durch die deutschen Opfer verbindet uns etwas mit dem Ereignis, unsere Aufmerksamkeit wird geweckt.
Die Werbung spielt genauso damit und lockt uns mit dem Vertrauten, egal ob sie Margarine oder politische Programme verkaufen will. Wir denken vielleicht kosmopolitisch, aber wir fühlen lokal, denn unser Gefühl braucht das konkrete Gegenüber. Und deshalb erschreckt uns das Flugzeugunglück vor unserer Haustür mit einer Airline unserer häufigen Wahl ganz direkt und unmittelbar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter