Kommentar Flüchtlingspolitik: Überforderte Kommunen
Die Bundespolitik hat zu lange ignoriert, dass die Folgen der Kriege und Krisen auch etwas mit Deutschland zu tun haben.
S ie „strömen“ herbei. So viele sind sie, dass das Land unter ihnen „ächzt“. Sie „schwemmen“ ins Land, sie „überrennen“ es. Schon bilden sie eine „Welle“. Die Politik reagiert auf sie mit Taskforces und „Rückführungszentren“.
Schon ein oberflächlicher Blick auf die Wortwahl in Bezug auf die nach Deutschland kommenden Flüchtlinge offenbart die geradezu paranoide Angst des deutschen Bürgers und seiner politischen Vertreter vor dem Unbekannten. Dem nicht Geplanten. Denn derlei kennt man hier nicht.
Jedes Kreissportfest ist besser organisiert als jenes Desaster, das sich in diesen Wochen vor den Augen der interessierten Öffentlichkeit ereignet: Zeltstädte stehen in sengender Sonne, darin hausen Menschen ohne Privatsphäre bei minimaler hygienischer und medizinischer Versorgung, sie sind verdammt zum Warten. Auf dass die deutsche Bürokratie sich ihres Schicksals annehme.
Und diese Bürokratie scheitert gerade großflächig daran, Flüchtlinge angemessen unterzubringen. Aber was ist in der jetzigen Situation schon angemessen?
Der Winter kommt
Selbstverständlich wäre es für die meisten wünschenswert, wenn alles wie in den zurückliegenden Jahren klappen würde. Störungsfrei und unsichtbar. Die Ankömmlinge würden in Unterkünften dem öffentlichen Blick entzogen. Sie bezögen Zimmer statt Zelte. Sie benutzten Waschräume statt Duschcontainer. Sie kochten ihr Essen selbst, statt Kantinenessen aufgekellt zu bekommen. Sie redeten mit Sozialarbeitern, statt Nummern zu ziehen.
Aber so läuft es eben gerade nicht. Stattdessen sehen wir immer mehr Zeltstädte auf deutschen Kasernenhöfen entstehen. Die Angst, dass sie zu Dauereinrichtungen werden könnten, scheint nicht unberechtigt. 45.000 Erstaufnahmeplätze gibt es derzeit im gesamten Bundesgebiet. Aber allein im Juni wurden 33.000 Anträge auf Asyl gestellt. Die Zahlen des Bundesinnenministers lassen Schlimmes für den bevorstehenden Herbst, gar den Winter befürchten.
Dennoch ist es wohlfeil, jetzt mit dem Finger auf die Kreise und Kommunen zu zeigen, ihnen gar die Absicht zu unterstellen, Flüchtlinge planvoll menschenunwürdig zu behandeln. Quasi eine abschreckende Bilderpolitik zu betreiben. Wer so denkt, glaubt offenbar an einen omnipotenten Staat, der in der Hinterhand eine Art Reserve-Infrastruktur bereithält. Einen Staat mithin, der alles regelt.
Fieberhafte Arbeit
Dabei zeigen die Missstände bei der Unterbringung der Flüchtlinge wieder einmal deutlich, was Fremdenfeinde so gern anzweifeln: Deutschland hat ein Fachkräfteproblem. Dieses wirtschaftlich starke Land fährt seine Verwaltungen seit Langem auf Verschleiß, das wird dieser Tage offenbar.
Den Machern vor Ort Kaltherzigkeit zu unterstellen stärkt nur die Argumentation jener, die meinen, den Flüchtlingen mit den Smartphones gehe es hier eh schon viel zu gut. In den Stadt- und Kreisverwaltungen arbeiten Menschen fieberhaft für Menschen. Dass sie jetzt den Mangel zu verwalten haben, ist nicht ihre Schuld.
Eher schon muss man der Bundespolitik vorhalten, viel zu lange ignoriert zu haben, dass Kriege und Krisen auch etwas mit diesem Land zu tun haben werden. Dass deutscher Waffenhandel und globale Rohstoffausbeutung durch deutsche Unternehmen das Leben von Menschen vor Ort konkret betreffen.
Dass die Opfer globaler Auseinandersetzungen selbstverständlich auch bis nach Deutschland kommen, weiß man in Berlin seit Langem. Sich auf viel mehr Flüchtlinge, auf Menschen in Not logistisch und haushalterisch vorzubereiten, hätte jedoch das Bekenntnis vorausgesetzt, dass dieses Land auch bereit ist, die Ursachen der Flucht zu bekämpfen.
Aber das hätte ja zur Folge, dass wir unser Leben ändern müssten. Ruhe im Lande – diese innenpolitische Denkfigur scheitert gerade sichtbar und spürbar. Ausbaden müssen das die Flüchtlinge.
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