Kommentar Feministische Revolution: Keep the Binnendiskussion
Wie weiter? Mit einer Revolution. Und zwar ausgelöst von Feminist*innen jeder Couleur. Der weltweite „Women’s March“ hat es vorgemacht.
E s war ein elektrisierender Moment: Zwischen hunderttausend Menschen in London zu stehen, die für eine gleichberechtigte Gesellschaft auf die Straße gehen. Es ist der 21. Januar 2017 und weltweit hatten Gruppen zum „Women’s March“ aufgerufen. Jetzt tragen sie auf ihren Köpfen aus pinker Wolle gestrickte „Pussy Hats“, in ihren Händen Schilder mit Sprüchen von „Grab’em by the patriarchy“ über „Make college affordable“ bis „Girl Power“.
Sie – das sind diesmal nicht nur die üblichen feministischen Verdächtigen. Das sind junge Frauen, alte Frauen, Transfrauen, Gender-Queers, junge Männer of Color, alte Männer of Color, weiße Männer jeden Alters, Kinder, Kleinfamilien, Menschen in Rollstühlen, die ausnahmsweise mal nicht behindert werden und stattdessen auf derselben Welle wie alle anderen sich demonstrierend durch die Straßen der Stadt bewegen. Jetzt geht es um etwas, jetzt müssen „wir“ zusammenhalten. So fühlt sich das an. Aber geht das eigentlich? Diesen gemeinsamen Nenner zu finden?
Es ist eine alte Regel in Sachen Gruppendynamik: Gibt es einen gemeinsamen Feind, ist der Zusammenhalt besonders stark. Gerade scheinen sich viele auf einen gemeinsamen Feind einigen zu können: Donald Trump.
Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, der sich öffentlich über einen Journalisten mit Behinderung lustig machte, der in einem Gespräch meinte, er könne jeder Frau zwischen die Beine fassen, und der dermaßen viele rassistische Kommentare verantwortet, dass ein Beispiel daraus gar nicht das Ausmaß seiner Haltung klarmachen würde.
Vereinfacht gesagt: Trump ist gegen Vielfalt und eine immer größer werdende Protestbewegung in den USA verteidigt diese. Das passiert auf der anderen Seite des Atlantiks. Aber schon beim „Women’s March“ in London mutet es irritierend an, wenn Personen sich auf ihren Protestschildern an Trump abarbeiten.
Zwei Demos, die zusammentreffen
Geografisch und politisch noch etwas weiter entfernt, waren in Berlin zum „Women’s March“ sogar nur ein paar Hundert Demonstrant*innen gekommen. Der gemeinsame Feind Trump trägt hier nicht. Hier formiert sich der Protest gegen Front National, AfD, die Neue Rechte. So eindeutig wie gegen Trump ist dieser allerdings zumindest auf den ersten Blick nicht.
So starten am Frauentag zwei Demos in Berlin. Auf der einen dürfen Cis-Männer, also Männer, deren biologisches und soziales Geschlecht männlich ist, nicht mitlaufen. Dafür sehen sich hier vor allem Personen of Color vertreten. Auf der anderen Demo dürfen Cis-Männer mit, auch Parteien und Gewerkschaften sind dabei.
Zum Weltfrauentag bekommen wir virtuelle Unterstützung – von einem Social Bot. Wir haben ein Programm geschrieben, das die Frauenbewegung auf Twitter unterstützen soll. Ein Social Bot, der feministische Fakten verbreitet und frauenfeindliche User zurechtweist. Meet @JudithBotler.
Schon wieder konnte man sich nicht auf eine gemeinsame Aktion einigen – so kann man es sehen. Andererseits: Die Demonstrationen treffen sich am Oranienplatz, haben einen gemeinsamen Schlusspunkt. Und dieser steht stellvertretend für aktuelle feministische Bündnisse überhaupt.
In keiner anderen linken Bewegung wurde in den vergangenen Jahren so intensiv, teilweise auch beschwerlich über Intersektionalität diskutiert wie in feministischen Kreisen. Dadurch lassen sich jetzt schneller Lösungen finden.
Auf dem „Women’s March“ in London sind keine Sprecherinnen of Color eingeplant? Das Problem wird benannt und angegangen. Die Pussy Hats schließen Transpersonen aus, die keine Pussy, also Vulva haben? Pussy Hats für alle! Oder: Zwei Demos legen ihren Schwerpunkt auf unterschiedliche Aspekte? Am Ende kommen beide zusammen.
Eine gemeinsame Zukunftsvision
Innerfeministische Diskussionen müssen kein Widerspruch zu dem Wunsch sein, die Gesellschaft als Ganzes zu verändern. Im Gegenteil. Durch diese Vielfalt an Positionen konnte die feministische Bewegung überhaupt erst so eine breite Klammer bilden, wie sie es für den „Women’s March“ tut. Ja, in feministischen Gruppen wurde schon lange ausdiskutiert, ob Männer auch Feminist sein „dürfen“. Wenn sich jetzt Männer dem Protest anschließen, laufen sie in offene Arme.
Es reicht nicht, nur ein gemeinsames Feindbild zu haben. Es braucht auch eine positive, eigene Zukunftsvision. Feminist*innen haben diese schon lange: eine Gesellschaft, in der alle Menschen gleichberechtigt leben können. Unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Sexualität, ihrer Herkunft, ihrer Ausbildung, ihrer Arbeit, ihres Körpers.
Rechtspopulisten wollen uns einheitlich und schwach: als deutsche, heterosexuelle Frau und Mutter. Wir halten dagegen: Wir sind People of Color, muslimisch, migrantisch. Wir sind hetero, queer, divers. Wir sind viele. Und wir sind stark.
Lesen Sie am 8. März 11 Sonderseiten der taz zum Internationalen Frauen*tag. Mit Texten u.a. von und mit: Christa Wichterich, Hengameh Yaghoobifarah, Amina Yousaf, Judy Gummich.
Das steht im Grundgesetz, ja. Trotzdem verdienen Frauen weniger, trotzdem werden Personen of Color häufiger von der Polizei kontrolliert und die Polizei für diese rassistische Praxis auch noch gefeiert. Trotzdem fragen wir uns kaum, wie selbstbestimmtes Leben in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung überhaupt möglich ist.
Feminist*innen stellen sich genau diese Fragen. Und sie fordern eine Politik, die sich dieser Fragen konsequent annimmt. In Deutschland, in Polen, in Argentinien, in Italien, in den USA, weltweit. Man kann lachen über pinke Pussy Hats. Man kann sie für eine ästhetische Entgleisung halten. Nur ignorieren kann man sie nicht mehr.
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