Kommentar Eskalationen im Nahen Osten: Gewalt wird mit Gewalt vergolten
Der Abschuss eines syrischen Kampfflugzeugs ist Symptom eines erbitterten Verteilungskampfs. Der findet längst nicht mehr nur in Syrien statt.
E rstmalig wurde ein Kampfflugzeug der syrischen Regierungsstreitkräfte durch die USA abgeschossen. Diese jüngste Eskalation im syrischen Vielfrontenkrieg war schon länger absehbar. Denn neben der Verdrängung des „Islamischen Staats“, die alle inner- wie außersyrischen Kriegsbeteiligten laut eigener Bekundung angeblich anstreben, geht es bei den Schlachten um Takba, Rakka sowie demnächst auch das ölreiche Deir al-Sor in Ostsyrien längst um die Verteilung der Beute.
Syrische Regierungsstreitkräfte, „radikal islamistische“ wie „gemäßigte, demokratische“ Rebellengruppen und auch die Kurden kämpfen zumeist gegeneinander. Manchmal – aus taktischen Gründen – aber auch miteinander, sowie mit Unterstützung ihrer jeweiligen ausländischen Verbündeten (Iran, Saudi-Arabien, USA oder Russland) um die Kontrolle der ehemals oder zur Zeit noch vom IS beherrschten Städte und Regionen.
Eine ähnliche Auseinandersetzung führen im Nachbarland Irak die dortigen Regierungstruppen und die Kurden bei der Schlacht um das derzeit noch zur Hälfte vom IS besetzte Mossul. Hier droht zudem, nach der jüngsten Ankündigung eines Referendums über einen unabhängigen Kurdenstaat im Nordirak, das militärische Eingreifen der Türkei.
Die USA bemühen sich um Entspannung im Streit mit Russland nach dem Abschuss eines syrischen Kampfjets. Generalstabschef Joseph Dunford kündigte an, an einer Wiederaufnahme der von Russland gekappten Kontakte zur Vermeidung von Zwischenfällen im syrischen Luftraum zu arbeiten. Als Reaktion auf den Abschuss des Kampfflugzeugs durch einen US-Jet hatte die russische Regierung angekündigt, alle Objekte im russischen Einsatzgebiet über Syrien als Ziele zu betrachten. Australien hat seine Luftangriffe auf IS-Ziele in Syrien deswegen ausgesetzt. Es war der erste Abschuss eines syrischen Kampfflugzeugs in dem seit sechs Jahren anhaltenden Bürgerkrieg.
Doch nicht nur in Syrien und im Irak eskalieren die Konflikte. Saudi-Arabien nahm am Wochenende drei iranische Soldaten fest, die angeblich mit terroristischen Absichten in die saudischen Hoheitsgewässer im Golf eingedrungen waren. Iran beschoss am Montag zur „Vergeltung“ der jüngsten Terrorakte in Teheran, für die der lange Zeit von Saudi-Arabien unterstützte IS die Täterschaft reklamiert hat, IS-Stellungen in Deir Essor mit Raketen.
Zur Begründung dieses ersten iranischen Raketenangriffs auf Ziele im Ausland seit dem Golfkrieg gegen Irak in den 80er Jahren erklärte die Armeeführung in Teheran, dass sich „die Verteidigung Irans angesichts der Bedrohung durch Terroristen und andere Feinde nicht mehr auf die Grenzen des Landes beschränkt“.
Dieser Satz erinnert in fataler Weise an die Rechtfertigungen, mit denen die USA seit den Anschlägen vom 11. September 2001 den weltweiten, überwiegend mit völkerrechtswidrigen Mitteln geführten „Krieg gegen den Terrorismus“ betreiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht