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Kommentar Eroberung AfrinsMoment des Triumphs

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Viele Türken sehen Erdoğan als einen ihrer großen Sieger. Auch wenn er in Syrien kein Gebiet besetzen will, wird er dort doch die Fäden ziehen.

Die Freie Syrische Armee hat mit Unterstützung der türkischen Afrin eingenommen und posiert als Sieger Foto: reuters

E s ist ein Triumph für Recep Tayyip Erdoğan. Ausgerechnet am 18. März, dem Tag, an dem in der Türkei der Sieg an den Dardanellen im Ersten Weltkrieg gefeiert wird, kann er jetzt die Einnahme von Afrin verkünden.

Für die Mehrheit seiner Landsleute steht er damit in der Tradition der großen türkischen Sieger und Eroberer. Als Mehmet II. 1453 Konstantinopel einnahm, erhielt er den Beinahmen ­„Fatih“, der Eroberer. Am liebsten würden seine Fans Erdoğan bereits jetzt mit diesem Beinamen schmücken.

Mit der weitgehenden Eroberung der Stadt Afrin dürfte der kurdische Widerstand im ganzen Kanton gebrochen sein. Die überlebenden Kämpfer der Kurdenmiliz YPG werden versuchen, sich in ihre verbleibenden Gebiete im Osten Syriens zurückzuziehen. Erdoğan wird nun als nächstes versuchen, Manbidsch zu erobern, den letzten Zipfel, den die YPG westlich des ­Euphrats noch kontrolliert. Gelänge ihm das, dann würde er den nördlichen Teil Syriens vom Euphrat bis einschließlich der Provinz Idlib beherrschen.

Auch wenn Erdoğan behauptet, die Türkei wolle kein syrisches Gebiet besetzen, so soll dies doch die Einflusszone werden, in die als nächstes so viele syrische Flüchtlinge wie möglich zurückkehren sollen. Auch wenn dort befreundete syrische Milizen die Verwaltung übernehmen, wird die Türkei letztlich die Fäden ziehen.

Damit zeichnen sich die Konturen der künftigen Teilung Syriens ab. Wenn Assads Truppen erst die Ost-Ghouta erobert haben und die letzten Dschihadisten nach Idlib abziehen, kontrolliert Assad wieder die Trümmer aller großen Städte des Landes. Für die Kurden bleibt dann das Gebiet östlich des ­Euphrats, falls die USA sie dort weiterhin unterstützen. Sollte Washington die Kurden fallen lassen, wird Erdoğan seinen Vormarsch entlang der Grenze fortsetzen und versuchen, die kurdischen Autonomieträume zu zerschlagen. Möglich, dass er sich damit übernimmt. Erst einmal aber triumphiert er.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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16 Kommentare

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  • Unglaublich beschämend die bisherige Reaktion der EU-"Wertegemeinschaft". Und der sozialdemokratische Außenministerdarsteller? Nichts! Da muss aber noch viel erneuert werden bei der SPD. Von der Raute erwarte ich sowieso nichts.

    Die Zeiten werden immer finsterer. Nirgends eine demokratische Bewegung, die gegen diese Sympathisanten der Türkei demonstriert.

    • @Rolf B.:

      Nachsatz:

      Natürlich gibt es Demokraten in DE, die gegen den Terrorismus des türkischen Sultans demonstriert. Das sind unsere kurdischen Mitbürger, die ständig der Gefahr ausgesetzt sind, von unseren Medien kriminalisiert zu werden.

       

      In ZDF heute plus wurde am 19.3. 2018 intensiv dargestellt, warum die YPG in Afrin bekämpft wird. Wörtlich sagte Jörg Brase auf die Frage, ob die Türkei "zu recht" in Afrin einschmiert ist, dass „kaum jemand bestreitet, dass die Türkei ein berechtigtes Sicherheitsinteresse in der Region hat. Dann sagte er, dass die YPG, „der syrische Ableger der PKK“ die Region unter Kontrolle hat und auch schon türkische Grenzdörfer angegriffen hätte. Durch den US Beistand für die YPK wäre für die Türkei die rote Linie überschritten gewesen.

      Dass Zivilisten dabei umgebracht werden liegt eben daran, dass die YPG unter der Zivilbevölkerung lebt. Selber schuld.

      https://downloadzdf-a.akamaihd.net/mp4/zdf/18/03/180319_heuteplus_hep/1/180319_heuteplus_hep_1496k_p13v13.mp4

      ab 8:30

       

      Wenn das kein Versuch ist, uns Erdogan schmackhaft zu machen.

  • Was mich persönlich nicht überrascht, ist das ohrenbetäubende Schweigen der EU (hatten die nicht irgendwann mal den Friedensnobelpreis bekommen - was zeigt, was der noch wert ist) und der USA zu dem völkerrechtswidrigen Massenmorden, das dort verübt wird. Was auch in der Beschreibung zu dem Foto fehlt, ist, dass sie mit dem Bagger den Schmied Kava vom Sockel geholt haben, also dem Freiheitssymbol der Kurden.

  • Die YPG kämpft gegen den IS und befreite die Jesiden aus dem Sindschargebirge. Anstatt ihnen dafür dankbar zu sein und sie zu unterstützen, werden sie von ihren s. g. Verbündeten nun verraten und verkauft.







    Und was macht die deutsche Regierung? Sie macht weiter Geschäfte mit dem Despoten Erdogan. Selbst nach dem türkischen Einmarsch in Afrin genehmigte die geschäftsführende Regierung, wenn man diversen Berichten glauben darf, auch weiterhin Rüstungsexporte in die Türkei. Vermutlich ausgekungelt an Gabriels Kaffeetisch. Das ist erbärmlich.







    Da führt Erdogan einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg und Deutschland unterstützt ihn dabei. Und so wird Erdogan nicht in Afrin bleiben. Er wird weiter ziehen. Nach Manbidsch und in den Irak, wo er dann deutschen Soldaten, die die Peschmerga ausbilden, gegenüber steht.







    Wenn Erdogan jetzt nicht gestoppt wird, wird er erst aufhören, wenn die Kurden vernichtet sind. Hier bahnt sich, nach dem Genozid an den Armeniern unter den Osmanen, ein neuer Völkermord an. Und es steht zu befürchten, dass er damit durchkommen wird. Sind doch, wie immer, wirtschaftliche Interessen wichtiger als Menschen.

     

     

     

  • DER GRIFF...

    in die kiste abendländischer geschichte versperrt dem kommentator offensichtlich die sicht auf die gegenwart. da "triumphiert, erobert, besetzt, kontrolliert, beherrscht, teilt, zerschlägt" ein aggressor ein anderes land und volk - und kein wort über einen schamlosen "völkerrechtswidrigen angriffskrieg eines nato-mitglieds", kein wort über "annektion" durch die türkei und die usa - wenn das mal putin liest, dann...

  • "Es ist ein Triumph für Recep Tayyip Erdoğan. Ausgerechnet am 18. März, dem Tag, an dem in der Türkei der Sieg an den Dardanellen im Ersten Weltkrieg gefeiert wird, kann er jetzt die Einnahme von Afrin verkünden."

     

    Das macht ja Hoffnung. Schließlich ist bekannt, wie der Krieg ausging.

  • Erdogan hat allen Grund zum feiern, denn die Kritik aus der EU und von anderen NATO-Staaten ist bisher ausgeblieben.

     

    Nur in Frankreich läuft es nicht so gut. Aber gemeßen daran, dass es sich um einen illegalen Angriffskrieg handelt und 200.000 Kurden wohl für sehr lange Zeit, wenn nicht für immer vertrieben wurden, ist es ein Riesenerfolg. Und heute nacht werden vermutlich die verbliebenen kurdischen Frauen vergewaltigt und der Rest der Männer dort getötet.

     

    Und das ist offenkundig der angestrebte Erfolg für Erdogan und der dürfte auch innenpolitisch so weitergehen: Mit der Rückendeckung aus Russland, die wichtigen Genehmigungen zu Luftangriffen in Afrin durch die NATO, dazu noch die sprachlose, aber höchst effektive Unterstützung durch Angela Merkel, das alles spricht für Erdogan.

     

    Und man kann die Uhr danach stellen: Es wird nicht lange dauern, weitere Gruppen, Angehörige der HDP, Journalisten, Anwälte, Gewerkschafter, Bürgermeister und jede Mengen unwichtige Kurden werden verhaftet werden.

     

    Die Unterdrückungsmaschine läuft eben auf Hochtouren und man darf gespannt sein, wann die letzten westlichen Journalisten zum Flughafen gebracht werden. Erdogan hat einen Freibrief im Schrank liegen und den nutzt er, nutzt er ihn nicht, wird er abgewählt und seine Vergangenheit, seine Verwandten und alles kommt hoch und eine lange Haftstrafe wäre wahrscheinlich.

     

    Was mich persönlich niederschlägt, ist, dass Erdogan einen Genozid mit jihadistischen Kräften in Afrin anrichtet. Es sind wohl die gleichen Kämpfer, die schon für Nusra und den 'Islamischen' Staat agierten. In allen EU-Staaten Personen, die sofort in U-Haft wandern würden.

  • 8G
    81622 (Profil gelöscht)

    Die deutsche oportunistische Aussenpolitik wird auch ohne Gabriel und Steinmeier der Türkei weiter in ihren Allerwertesten kriechen und die letzten Fähnchen des kurdischen Protests verbieten, gleichzeitig aber von Zivilcourage und Widestandsrecht gegen Diktatoren schwafeln...mir wird übel.

    • @81622 (Profil gelöscht):

      Dem ist nichts hinzu zu fügen.

  • Kriegsspektakel und chauvinistische Lärmerei als Zaubermittel bei innenpolitischen Schwierigkeiten. Der älteste Trick im politischen Buch. Und wie es scheint, folgt die Mehrheit in der Türkei wie blökende Schäfchen diesem Manöver.

    • @El-ahrairah:

      Dabei werden sie auch noch von 61% der türkischen AKP-WählerInnen in Deutschland unterstützt. Nur müssen sich die deutsch-türkischen WählerInnen nicht persönlich am Schlachten der Kurden beteiligen. Erinnert an die NS-Auslandsorganisationen der NSDAP.

  • Ob die syrischen Flüchtlinge wirklich in die von Erdogan kontrollierten Gebiete zurückkehren werden bzw. wollen, sei dahingestellt.

  • Über 32 Millionen Kurden, die für eine vereinte Demokratische Republik Kurdistan kämpfen werden, kann es keinen Sieg der AKP-Regierung und deren Nato-Militärs und deutschen Waffenlieferenten geben!

  • Ich glaube nicht daß sich Erdogan mit Afrin, auch nicht wen er Manbidsch erobern sollte, zufrieden gibt. Er will ein großes, osmanisches Reich aufbauen. Dazu kommt ihm der Einmarsch in Syrien gerade gelegen. Erdogan wird weiter gehen, nur ob es ihm letztendlich gelingen wird ist eine große Frage, die persönlich mit einem Nein beantworten werde. Jeder Größenwahnsinnige ist schon mal gestopt worden.

  • Ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg unter Einsatz deutscher Panzer gegen das Nachbarland ist ein “Triumpf”?

    • @Volker Birk:

      Erdogan triumphiert, wie auch Hitler triumphiert hat. Aber Sie haben recht - da berichtet selbst die Welt kritischer als dieser taz-Artikel. In anderen durch die Türkei besetzen Gebieten in Nordsyrien, richtet die türkische Post Filialen ein und in türkischen Schulen wird die türkische Sprache und Kultur vermittelt. Auch hat Erdogan den Anspruch auf das Gebiet bekundet. Daher wird er sicher nicht nur die Fäden ziehen. Erdogan wird sich dann überheben, wenn Putin und Trump sich nicht mehr gegeneinander ausspielen lassen und dem Spuk ein Ende setzen. Putin gefällt es, Zwietracht in das westliche Bündnis zu streuen und ihm ist daher ein türkischer Aggressor lieber als eine kurdische mit den USA verbündete Demokratie. Trump dagegen will verhindern, dass die Türkei zu Russland überläuft und ihm ist es im Endeffekt egal, ob die Türkei mit Islamisten von der "Freien Syrischen Armee" oder Kurden Nordsyrien kontrollieren - Hauptsache es ist der russischen Einflußsphäre entzogen. Erdogan spielt da ein riskantes Spiel, welches nicht nur die Kurden sondern die ganze Welt in einen Krieg führen kann.